Heimat fürs Werk

Thedel von Wallmodens Anthologie „Ein Wort, ein Satz…“ geht in die Autorenwerkstatt und kommt mit Lektorenlob heraus

Von Michael BraunRSS-Newsfeed neuer Artikel von Michael Braun

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wie kommt ein literarisches Werk zum Erfolg? Was muss der Autor tun, was kann oder sollte er besser nicht selbst tun? Und woran sollte die Wirkung eines Werkes messbar sein, an Bestsellerlisten oder an Beständigkeit für den Kanon? Das sind Fragen der „Werkpolitik“. Mit diesem glücklichen Begriff bezeichnet der Germanist Steffen Martus die Aufmerksamkeitsstrategien, mit denen der Autor seinem Werk zur Wirkung verhelfen möchte: Sakralisierung und Selbstgeschichtsschreibung des Autors, Anspruch auf Werkherrschaft, Hegemonie im literarischen Feld, Literaturbetriebspräsenz oder Kultivierung eines Außenseiterhabitus. Aber da gehört noch mehr dazu: die mehr als nur assistierenden Instanzen von Verlag und Lektorat. Der Göttinger Verleger Thedel von Wallmoden hat sich der Aufgabe angenommen und lässt Autorinnen und Autoren das Beziehungsnetz von Autor, Werk und Verlag beleuchten. Was herauskommt, sind Lichtblicke in die Werkstatt der Dichter – und die Bestätigung, dass es der Lektor ist, der Werk und Werkstatt erhellen kann.

Das hatte Thedel von Wallmoden schon in seiner Sammlung Seiltanz (2010) deutlich gemacht. Dort schrieben Autoren über ihren Lektor Thorsten Ahrend anlässlich von dessen rundem Geburtstag. Zehn Jahre später verschiebt und erweitert der Band „Ein Wort, ein Satz…“ die Fragestellung: Was passiert in der Werkstatt mit dem Werk, wie wirken Autor und Lektor zusammen? Das Titelzitat stammt von Gottfried Benn. In seinem Gedicht Ein Wort (1941) setzt er dem schöpferischen Wort des Dichters ein Denkmal. Es steht auf monotheistischem Sockel: Ein Wort, das ist „jäher Sinn“, „ein Glanz, ein Flug, ein Feuer“, inspirierter platonischer Augenblick und Radardenkbild im technischen Zeitalter. Wenn – um in Benns Bildhorizont zu bleiben – das Werk ein Meteor ist, dann sind Lektor und Verleger die Astronomen, denen es auffällt und die es als erste vermessen – das Studium der Einschläge wird den Literaturkritikern und den Philologen überlassen.

Dass sich einige Autoren in Thedel von Wallmodens Sammlung an diesem Konzept starker Autorschaft abarbeiten, ist verständlich und interessant. Denn je weniger Benn nach seinem Comeback 1949 die Literatur seiner Zeitgenossen achtete und wahrnahm, desto stärker orientierten sich diese an ihm. Unseren Gegenwartsautoren jetzt ist ein solches Autorenbild abhandengekommen. Sie schreiben für sich und von sich. Christoph Hein gesellt dem emphatischen Autor einen empathischen Lektor bei und rät jungen Autoren, den Rat von älteren Kollegen zu meiden, weil diese „nicht die Fähigkeit“ besitzen würden, die „ihnen fremden Maßstäbe der Kunst“ jüngerer Autoren zu begreifen (und das ist ironischerweise wiederum der Rat eines älteren Kollegen). Heinrich Detering sieht aus der gemeinsamen Arbeit am Text mit dem Lektor ein „Werkempfinden“ hervorgehen, durch das die Einzelheiten beim Schreiben, Notizen, Ideen, Gedichte, zu einem größeren Ganzen, eben dem Werk („klein, aber mein“) zusammengefügt werden können. 

Daniel Kehlmann bringt in einem findigen Dialog „im alten Stil“ einen verlagstreuen Autor mit einem „polyglotten“ Kollegen zusammen. Die entscheidende Frage legt er dem Schriftsteller und Filmschauspieler Gregor von Rezzori in den Mund: Ob er als Autor unsterblich sein wolle, oder aber lieber reich? Das habe ihn, den Schriftsteller, der gerade das lukrative Angebot eines neuen Verlags für seine Autobiographie bekommen habe, sein Agent gefragt. Die Frage ist tricky. Denn ein Verlagswechsel kann zwar den Autor reich machen. Den Verlag zu oft gewechselt zu haben, ist manchmal ein „Unsterblichkeits-Hindernis“, weil es dann teuer ist, bei einer Werkausgabe beispielsweise die auf mehrere Verlage verteilten Rechte zu kaufen. Aber anders herum garantiert Verlagstreue keine Unsterblichkeit. Siegfried Lenz blieb bei seinem Verlag, seine Werke sind lieferbar, aber der Autor ist aus der Mode. Ökonomischer Wert und ästhetische Bedeutung sind zwei Seiten ein und desselben Werks.

Es sind letztlich der Verleger und der Lektor, die den Autor am Werk betreuen, nicht von oben herab, sondern selbst engagiert und inspiriert – wie Thedel von Wallmoden und Thorsten Ahrend. Darum seien diese „Literaturwerftarbeiter“ (Gregor Sander), Lotsen und Zuhörer auch bedankt. Sie haben dem Autor sein Werk abverlangt, sie geben ihm eine „Heimat“ (Doris Runge). 

Titelbild

Thedel von Wallmoden (Hg.): »Ein Wort, ein Satz…«. Literarische Werkstattgedanken.
Wallstein Verlag, Göttingen 2020.
198 Seiten, 20,00 EUR.
ISBN-13: 9783835337701

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