Martin Walsers persönliche Vorliebe für Leipzig als literarischen Ort
In der Edition Isele sind seine Reisenotizen erschienen
Von Manfred Orlick
Der Schriftsteller Martin Walser hat den größten Teil seines Lebens am Bodensee verbracht. In Wasserburg wurde er am 24. März 1927 geboren, und er starb am 26. Juli 2023 in Überlingen. In seinem Werk hat Walser immer wieder seine Heimat gepriesen und den Menschen rund um den Bodensee mehr als nur ein Denkmal gesetzt.
Die Heimatverbundenheit war aber nur die eine Seite seiner Schriftstellerkarriere. Die andere war das Reisen, denn Walser war mit Lesungen in ganz Deutschland unterwegs. In Spitzenjahren kam er mitunter auf 200 Reisetage. Die Lesungen waren auch eine wichtige Einnahmequelle für den Schriftsteller und seine Familie. Walser las immer mit körperlichem Einsatz, mit Leib und Seele, selbst bis ins hohe Alter. Die Reiseeindrücke hielt er in Tagebuchnotizen fest – mitunter nachträglich. 1981 unternahm Walser eine erste Lesereise in die DDR, die ihn zuerst nach Leipzig führte. Im März 1981 war eine DDR-Lizenzausgabe seines Romans Das Schwanenhaus erschienen, während die Ausgabe in der Bundesrepublik erst im Herbst 1981 folgte.
In der Edition Isele sind jetzt die Leipziger Notizen erschienen, die Walser erst 2009 und zwar auf die Rückseiten von Typoskriptblättern seines Romans Angstblüte (2006) niederschrieb. Sie werden auch im eigenhändigen Originalmanuskript mit zahlreichen Streichungen und Zusätzen wiedergegeben. Walser erinnerte sich genau an die Lesung im Gewölbe der Moritzbastei vor Studenten und seine Übernachtung im Hotel Astoria. Weitere Lesungen folgten u. a. im Gohliser Schlösschen, in der Stadtbibliothek oder im Alten Rathaussaal.
Gegenüber DDR-Kulturverantwortlichen setzte sich Walser für seinen DDR-Kollegen Gerd Neumann ein, der in seinem Roman Elf Uhr die trostlosen Zustände in der DDR schilderte und dadurch in Ungnade gefallen war. Walser wurde jedoch deutlich gemacht: „Neumann gefährde den Weltfrieden und die Existenz der DDR.“ Der Tagebuchroman erschien dann 1981 im DuMont Verlag, mit einem Vorwort von Martin Walser, und erst 1990 im Rostocker Hinstorff Verlag. Neben Neumann traf Walser in Leipzig auch Wulf Kirsten und Wolfgang Hilbig.
Walser betrachtete Leipzig als die „Lesestadt Nummer 1“. „Leipzig wurde mit München und Bonn zu einer Stadt, in der die Zuhörer feiner, schneller, genauer und stimmungsreicher reagieren als etwa in Ulm, Duisburg und Aachen.“ Mitunter entdeckten sie Sätze oder Formulierungen, die ihm selbst noch nicht aufgefallen waren. Vielleicht lag diese besondere Sensibilität auch an der alten Tradition der Buchstadt. Das Publikum bemerkte außerdem, dass Walser ein echtes Interesse an Ostdeutschland hatte.
Der Schriftsteller und Literaturkritiker Jörg Magenau, der 2005 eine Biografie über Martin Walser veröffentlichte, hat die Neuerscheinung mit einem ausführlichen Nachwort versehen, in dem er das Thema „Martin Walser und die DDR“ näher beleuchtet. Walser konnte sich nie an die deutsche Teilung gewöhnen, obwohl die DDR vom Bodensee aus gesehen ja in weiter Ferne lag. Und doch war es keine normale Lesereise wie nach Aachen oder Kiel, sondern doch „ein kleines bisschen Ausland“.
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