Wenn nicht nur ein Mann, sondern auch das Leben unfair sein kann

Caroline Rosales erzählt in „Das Leben keiner Frau“ unverblümt über Sex, Männer und das Älterwerden

Von Julia BartschRSS-Newsfeed neuer Artikel von Julia Bartsch

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Melanie Moosburger feiert ihren 50. Geburtstag. Sie scheint alles zu haben: Sie ist stellvertretende Chefredakteurin der Münchener Zeitung, lebt in einer 2.200 Euro teuren Mietwohnung, ist modebewusst, gutaussehend und glücklicher Single. Seit drei Jahren lebt sie von ihrem Ex-Ehemann Laurent getrennt und hat aus vorheriger Beziehung eine 25-jährige Tochter, die gerade mit ihrem zweiten Kind schwanger ist. Doch pünktlich zum Beginn ihrer zweiten Lebenshälfte merkt sie, wie ‚bescheuert‘ das Leben sein kann. Seit ihrer Geburtstagsfeier scheint alles schiefzulaufen – sei es die Bedrohung durch die neueste Konkurrenz in ihrem Job in Form einer blutjungen, erfolgshungrigen ‚Pissnelke‘, die ständigen familiären Dramen oder der Zoff mit ihrer besten Freundin. Murphys Gesetz hat Mels Leben fest im Griff. Die Neuigkeit über den Beginn ihrer Wechseljahre und ihre bescheidene Situation mit den Männern verbessern ihre Laune bei Weitem nicht und treiben die selbstbewusste Frau an ihre Grenzen. Wir werden Zeuge von Ups and Downs – wobei die Downs wohl überwiegen – und werden mit zahlreichen Fragen konfrontiert: Wenn jemand alles hat, hat er dann wirklich alles? Brauchen Frauen einen Mann, um glücklich zu sein? Und warum ist das Leben manchmal so unfair?

Von Oscar de la Renta bis Prada und Hermès

Für alle Markenschweine oder Bewunderer des luxuriösen Lebensstils in Großstädten wie München bietet Das Leben keiner Frau genügend Wohlfühlmomente. Rosales legt in ihrem Schreibstil besonderen Wert auf detaillierte Beschreibungen von Erscheinungsbildern und Modestilen. Ob die Prolls der Gesellschaft, gestylt mit ihren Patek Philippe- oder TAG Heuer-Uhren, am Champagner nippen, Mel ein Oscar de la Renta-Kleid überwirft und nach einer durchzechten Nacht ihre gläsernen Augen hinter der Prada-Sonnenbrille versteckt – beim Lesen fühlt man sich in die Glitzer- und Glamour-Welt mit Partys und Alkohol hineingezogen. Dennoch ist die Glitzer-Fassade vom schicken Lifestyle in der Münchner City nicht grell genug, um die Probleme, die Melanie mehr und mehr belasten, zu überstrahlen: „Das Schlimmste ist, ich weiß nicht, was mit mir los ist. Es ist das Gefühl, alles zu haben, aber nichts zu bekommen. Als wäre alles plötzlich nichts mehr wert.“

Der Ton macht die Musik

Nicht nur der Plot von Das Leben keiner Frau überzeugt – auch stilistisch macht der Roman einiges her. Die Menge von Anglizismen wirkt nicht nur authentisch für die gehobene Schicht, in welche uns Rosales Roman versetzen möchte, sondern akzentuiert ebenfalls den thematisierten Jugendwahn auf sprachlicher Ebene. Die Hauptfigur ist innerhalb des gesamten Romans die Ich-Erzählerin, wodurch ihre Ansichten und Emotionen stark in den Vordergrund rücken. Die Erzählinstanz wird genutzt, um ihre Charakterentwicklung und das innere Gefühlsleben unmittelbar wiederzugeben. Eine Besonderheit bei der Verwendung der Erzählweise ist das Kenntlichmachen einer außerkörperlichen Erfahrung, die durch Schock bei Melanie ausgelöst wird. Dies wird sprachlich markiert, indem die Erzählperspektive wechselt und sich die Ich-Erzählerin in dem Erlebnis in der Dritten Person Singular, von außen beschreibt. Der umgangssprachliche und humorvolle Schreibstil unterhält, welcher dennoch nicht tiefgründige Momente verhindert:

Schlechte Mutter, schlechte Tochter, schlechte Feministin. Zu dünn, um gesund zu sein. Zu ungesund, um als Vorbild zu taugen. Keine Geliebte, keine Ehefrau, keine Freundin. Ich bin als gar keine Frau gut. Mein Leben ist das Leben keiner Frau.

Das Spiel mit den Vorurteilen

Das Leben keiner Frau spielt mit Geschlechter-Stereotypen. Während Männer im Roman schlecht wegkommen und entweder als Karrieristen oder Bad Boys konzipiert sind, werden die weiblichen Figuren als Karrierefrauen, Hausfrauen oder (betrogene) Ehefrauen stereotypisiert. Besonders die Hauptfigur verstärkt durch ihr Schubladendenken diese Wirkung: Dass die junge und attraktive Eilika auf ihrer Arbeit Einzug hält und von ihrem Chef besonders gefördert wird, ist für Melanie nur durch ihre Jugend und ihr gutes Aussehen und nicht durch Eilikas Fleiß oder Erfolg im Journalismus erklärbar. Durch ihre Selbstzweifel und ihren Neid wird ihre neue Kollegin zügig als fachlich inkompetent abgestempelt: „Eilikas erster Text ist ein Riesenhaufen unlesbarer Scheiße. Ein peinliches Zeugnis, was zu viel MDMA-Konsum anrichten kann.“ Selbst in der Familie Moosburger werden Verständnis und Unterstützung kleingeschrieben. Während Mel von ihrer Mutter für ihr entschlossenes Vorantreiben ihrer Karriere trotz damaligem Mann und Kind verurteilt wird, kritisiert auch sie selbst ihre Tochter Mona für deren Neokonservatismus und das reine Dasein als Hausfrau und Mutter. Das Motto „Girls support girls“ sucht man im Roman vergebens. Allerdings wird durch die voranschreitende Handlung – besonders im Falle der Hauptfigur –mit Stereotypen und deren Vorurteilen gebrochen. Die ‚Karrierefrau‘ wird mit den Attributen selbstbewusst, tough und unabhängig verknüpft. Melanie, die diesem Stereotyp entspricht, entwickelt sich allerdings zu einer unsicheren Frau, die sich abhängig von der Bewertung der männlichen Welt macht: „Ich will das mich jemand schön findet.“ Damit einhergehend, werden Männer von Melanie zu einer Referenzgröße für Self-Love gradiert, was allerdings nur dazu führt, dass die Frau in eine erneute Abhängigkeit rutscht, die die Emanzipation bekämpfen wollte.

Wertvoller als jegliches Designer-Stück

Ob Erwähnungen von trendigen Modeerscheinungen wie die buschigen Augenbrauen à la Cara Delevingne, aktuellen Plattformen wie Tinder, Bumble oder auch TikTok und der Hashtag-Maschinerie Instagram – Rosales schreibt so zeitgemäß wie irgend möglich und fängt ein zeitgenössisches Lebensgefühl passend ein, so dass auch jüngere Frauen ohne die Erscheinung lästiger Wechseljahre sich in Das Leben keiner Frau einfühlen können. Sie thematisiert wichtige Inhalte wie Feminismus, Schönheitswahn und Identitätskrisen. Ihr Schreibstil ist bissig mit einem gehörigen Anteil an sympathischer Rotzigkeit, der dennoch Raum für ruhige und nachdenkliche Momente lässt.

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen

Titelbild

Caroline Rosales: Das Leben keiner Frau.
Ullstein Verlag, Berlin 2021.
240 Seiten, 22 EUR.
ISBN-13: 9783550201639

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