Kommunist von Hause aus und „Mietkünstler“ von Beruf

In 18 kleinen Texten erzählt Wolf Biermann Anekdoten (nicht nur) aus seinem (Liebes-)Leben

Von Dietmar JacobsenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Dietmar Jacobsen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

2016, anlässlich seines 80. Geburtstages, hat Wolf Biermann seine Autobiografie Warte nicht auf bessre Zeiten! veröffentlicht – und sich darin artig bedankt bei allen, die ihn zu diesem schweren Stück Arbeit ermutigt haben und ihm während der Zeit des Entstehens tapfer zur Seite standen, vornweg jene „Muse“, die den „Poesie-Sprinter“ erst auf die „kräftezehrende Prosa-Langstrecke“ schickte, seine Frau Pamela. Deren Beitrag wird auch in Biermanns neuem Buch an prominenter Stelle hervorgehoben. „Gedichte kann ich, Lieder auch. Aber ohne die Poesie mit Pamela gelänge mir keine Prosa“, liest man in des Autors schöner Handschrift, noch bevor der erste jener 18 kurzen Texte beginnt, die Biermann als Liebesnovellen und andere Raubtiergeschichten bezeichnet und mit dem Frauennamen Barbara überschrieben hat.

Man muss fast bis ans Ende des kurzweiligen Buches blättern, ehe man auf jene titelspendende Figur stößt und erfährt, dass sie unter all den Frauen, die Biermann im Verlauf seines Lebens kennen und in etlichen Fällen auch lieben gelernt hat, wohl die beißwütigste war. Begegnet ist der Liedermacher der Ballett-Tänzerin im kalten Winter 1961/62, ein paar Monate nur nach dem Mauerbau, im Ostberliner Künstlerklub „Die Möwe“, einem „Salon für die Kunst-Nomenklatura, eine Art Insel der privilegierten Sich-zur-Schau-Steller“. Dort sann die junge Dame einer durch den Mauerbau abrupt beendeten Liebesbeziehung zu einem aus dem Westen Deutschlands stammenden Tenor nach, ließ sich in Biermanns Wohnung mit ein paar zur Gitarre vorgetragenen Balladen die düstere Stimmung vertreiben und anschließend in klirrend kalter Nacht nach Hause fahren.

Wo es dann geschah, dass sie den ob der Heftigkeit ihres Angriffs Überraschten auf der Rückbank seines Autos „von oben bis unten“ mit Bissen traktierte. Man nennt solche Begegnungen der erotischen Art heute „One-Night-Stands“. Für Biermann war es eine richtige „Raubtiernummer“, die er später in der Ballade von der beißwütigen Barbara als Beweis dafür verewigte, dass eine „verrückte Glückskatastrophe“ wie diese das Gedächtnis weitaus länger zu beschäftigen in der Lage ist als jedes „gemütliche Auf und Ab zwischen Mann und Frau“ in einer längeren Beziehung.

Erotische Begegnungen, Erinnerungen an prominente und weniger prominente Zeitgenossen, Freunde wie Feinde, Ewig-Gestrige wie den ehemaligen SS-Mann, der darauf besteht, auch ein Mensch zu sein, obwohl ihm menschliche Regungen noch immer abgehen, oder die als Kind schauspielerisch begabte Monika vom Hinterhof in der Chausseestraße, deren Leben kein glückliches Ende findet. Das alles muss Biermann in den Kopf gekommen sein, als er an seiner Lebensbeschreibung saß, passte aber wohl nicht so richtig in ein Buch mit dem Anspruch, den eine ernsthafte Autobiografie nun einmal erhebt.

Die wunderbaren, mal heiteren, mal traurigen Erlebnisse zu verschweigen, wäre aber sicher Verschwendung gewesen. Und deshalb hat Biermann sie nun in einen weiteren Prosaband gepackt. Entstanden ist dabei ein Seitenstück zu Warte nicht auf bessre Zeiten!. Darin schlägt der Autor einen ganz anderen Ton an, einen, dem man schon nach wenigen Seiten verfällt, weil schnell deutlich wird, dass er viel besser zu dem erdverbundenen, mit keiner Meinung hinter den Berg haltenden Mann passt als das nüchtern-realistische Abarbeiten von Lebensstationen.

„Novellen“, wie es ein Teil des Untertitels verspricht, sind Wolf Biermanns Geschichten im strengen Sinne dennoch nicht geworden. Für eine der klassischsten literarischen Formen fehlt dem Autor wohl nicht zuletzt die Disziplin, sprudelt er zu sehr über vor Einfällen und Ideen. Aber genau das ist ja gerade das Gute an den vorliegenden 18 kleinen Texten: dass ihr Autor erzählt, wie ihm der Schnabel gewachsen ist. Geradeheraus, mal schnoddrig, mal witzig-ironisch, mal hart am Pathos entlangschrammend, aber immer ohne Rücksicht auf politische Korrektheit.

Als säße man mit dem Erzähler just am Kneipentisch und ihm fiele im Gespräch plötzlich ein, wie das damals war mit einer jungen Geliebten namens Garance, die für die Stasi anschaffen ging. Oder wie das Wiedersehen mit Freund Ekkehard Schall in Hamburg verlief, nachdem der ihm Jahre zuvor auf den Seiten des Neuen Deutschland nicht gerade freundlich in den Westen nachgerufen hatte. Oder jene wunderbare Geschichte, in der sich Manfred Krug und Robert Havemann das Autorennen ihres Lebens liefern.

Gelegentlich sind Biermanns Texte auch ein bisschen eitel und applausheischend. Dann wieder kommen sie verhalten bis geheimnisvoll daher. Dem Berliner Dialekt wird nicht ausgewichen. Und wo die Prosa gar nicht hinreichen will, ist – das kennt man ja schon von der Autobiografie – schnell ein kleines Gedicht aus dem großen Fundus zur Hand. „Dis is jarkeen Leben, dis is ploß Kunst!“, wird Wolf Biermanns Hamburger Großmutter, die als „Oma Meume“ in die Literatur eingegangen ist, zitiert. Ja, sicher! Aber es hat ein Leben mit all seinem Auf und Ab gebraucht, all jene guten und schlechten Erfahrungen mit Menschen, von denen Barbara in 18 Anläufen erzählt, damit jene kleinen Kunststücke, die der Band enthält, entstehen konnten.

Titelbild

Wolf Biermann: Barbara. Liebesnovellen und andere Raubtiergeschichten.
Ullstein Verlag, Berlin 2019.
287 Seiten, 20,00 EUR.
ISBN-13: 9783550200250

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