Resilienzzone 2

Satoshi Yagisawas Fortsetzungsband zur „Buchhandlung Morisaki“ bietet erneut antiquarische Heilung im Retrorefugium

Von Lisette GebhardtRSS-Newsfeed neuer Artikel von Lisette Gebhardt

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Hauptrolle bei Satoshi Yagisawa spielt ein besonderer Ort, der als eine Art Kraftzentrum fungiert. Es handelt sich um ein Antiquariat mit Familientradition in Japans berühmtem Bücherviertel. Die Abende in der Buchhandlung Morisaki lässt wieder alle in dem von Satoru Morisaki geführten und auf die japanische Frühmoderne spezialisierten Laden zusammentreffen: Takako, die Ich-Erzählerin, der Endvierziger Onkel Satoru und seine kürzlich zu ihm zurückgekehrte Frau Momoko, der scharfzüngige „Stammbummler“ Sabu-san, Professor Kurusu, der „Papiertüten Opa“, Träger eines über die Maßen zerschlissenen Pullovers, sowie „Herr Mori“, Satorus Hämorrhoiden-Kissen in Donut-Form, ein unentbehrliches Requisit für den hypersensiblen Geschäftsinhaber.

Enklave für bibliophile Sonderlinge

Yagisawa schildert die Buchhandlung als Ort der Begegnung Gleichgesinnter, an dem man sich entspannen und – jenseits des japanischen Anpassungsdrucks – frei entfalten kann. Zum einen ist der Laden ein Kulturarchiv für Kenner der literarischen Moderne mit exzentrischen Vertretern wie dem missmutigen Deutschlehrer Uchida Hyakken (1889-1971), dem Methamphetamin konsumierenden Oda Sakunosuke (1913-1947) oder Inagaki Taruho (1900-1977), dessen Texte über romantisch-erotische Beziehungen zwischen heranwachsenden Jungen und sein Lob auf die Homoerotik Vorbild für das Yaoi-Genre waren – auf Taruhos diesbezügliche Neigungen nimmt Yagisawas Darstellung leider nicht Bezug. Das Antiquariat dient der Protagonistin zum anderen als Lebensschule, wenn sie im Bewusstsein, dort schon einmal erfolgreich gearbeitet zu haben und stets willkommen zu sein, allmählich frühere Defizite überwindet. Fortschritte sind beispielsweise in der Beziehung zu Wada zu registrieren: Nicht einmal sein unaufgeräumtes Apartment kann sie aus dem Gleichgewicht bringen, so dass es in dieser gewöhnungsbedürftigen Umgebung sogar zum sexuellen Austausch kommt. Keimen dann doch noch Zweifel bei Takako auf, erhält sie wertvolle Hinweise entweder via Lektüre oder von Personen aus dem Antiquariat.

Literatur lehrt Leben

Die Abende in der Buchhandlung Morisaki nähert sich stellenweise fast dem Format der Ratgeberliteratur an. In der ersten Hälfte des Buchs wird hervorgehoben, wie viel für die eigene Lebensgestaltung gewonnen sei, wenn man sich Kenntnisse über literarische Werke und die Vita von Autoren aneignet, wobei die autobiographische Rezeption der Texte als selbstverständlich gilt:

In dem Streben meines Onkels, das Leben von Schriftstellern in dieser Tiefe nachzuvollziehen, lag meiner Meinung nach übrigens die Hoffnung verborgen, daraus etwas zu lernen und Hinweise für das Verstehen seines eigenen Lebens zu erhalten.

Im letzten Drittel muss Takako erneut die Unwägbarkeiten der menschlichen Existenz bewältigen, da bei Tante Momoko ein Rezidiv ihrer Krebserkrankung auftritt und sie stirbt. Die Protagonistin hat nun die Aufgabe, Satoru, der durch den Tod Momokos in eine seelische Krise stürzt, zurück in den Alltag im Antiquariat zu führen. Während Satoru dort auf „Herrn Mori“ sitzend eine letzte Nachricht seiner Frau liest, entschließt er sich, „seine Trauer zu akzeptieren und weiterzumachen“.

Yagisawas Unterhaltungsroman ist wie der erste Teil der „Buchhandlung“ (Die Tage in der Buchhandlung Morisaki, besprochen in literaturkritik.de 06/2023) ein Bücherbuch aus den 2010er Jahren. Er macht das Medium zum Thema und plädiert für sein Fortbestehen, letztlich für eine Kultur der Belesenheit und Humanität – dies wäre dem Autor jedenfalls zugutezuhalten, auch wenn er ein wenig übertrieben die Rolle der resilienten Gemeinschaft in Gestalt des japanischen Bücherviertels betont und manches Mal zu stark auf der Klaviatur des Emotionalen spielt.

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen

Titelbild

Satoshi Yagisawa: Die Abende in der Buchhandlung Morisaki.
Aus dem Japanischen von Charlotte Scheurer.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2024.
253 Seiten, 20 EUR.
ISBN-13: 9783458644514

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