Rebellion, Aufschrei des Ichs und neue künstlerische Visionen

Bernt Ture von zur Mühlen hat eine neue Georg Heym-Biographie vorgelegt

Von Manfred OrlickRSS-Newsfeed neuer Artikel von Manfred Orlick

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Schriftsteller und Lyriker Georg Heym (1887-1912) gilt als eine der zentralen Gestalten des deutschen Frühexpressionismus. Im Jahr 1911 war sein erster und einziger zu Lebzeiten veröffentlichter Gedichtband Der ewige Tag erschienen und ein Jahr später wurden posthum seine nachgelassenen Gedichte unter dem Titel Umbra vitae veröffentlicht. Die apokalyptischen Gedichte mit ihrer bildhaften Sprache, die bis heute die „Leser durchschauert und Kommentatoren beschäftigt“ (Stephan Hermlin) haben, begründeten seinen Platz in der deutschen Literatur. Gedichte wie „Deine Wimpern, die langen“, „Berlin“, „Mit fahrenden Schiffen“, „Alle Landschaften“ oder „Ophelia“, „die stetig wirksam, neu und exemplarisch blieben“, fehlen in kaum einer Anthologie deutscher Lyrik.

Trotz dieser Bedeutung erschienen seine gesammelten Verse und Prosa unter dem Titel Dichtungen erst zehn Jahre nach Heyms Tod. Nach einem weiteren Vierteljahrhundert (1947) veröffentlichte der Züricher Arche-Verlag Gesammelte Gedichte (mit einer Darstellung seines Lebens und Sterbens), ehe dann in den 1960er Jahren die Publikation einer vierbändigen Gesamtausgabe seiner Werke in Angriff genommen wurde. Georg Heym-Biografien sind ebenfalls selten anzutreffen. Die einzigen Ausnahmen bildeten bisher die von Peter Schürmann (1993) und Gunnar Decker (2011). Nun hat der Buchwissenschaftler und Schriftsteller Bernt Ture von zur Mühlen (1939-2021), der schon Biografien zu den eher bürgerlichen Schriftstellern Hoffmann von Fallersleben (2010) und Gustav Freytag (2016) veröffentlichte, eine Darstellung zu Heyms kurzem Lebensweg vorgelegt, den er in immerhin sechzehn Kapiteln auffächert.

Georg (Theodor Franz Artur) Heym wurde am 30. Oktober 1887 als ältestes Kind des Staatsanwaltes Hermann Heym und dessen Frau Jenny, geb. Taistrzik, im schlesischen Hirschberg geboren. Der Junge litt unter dem konservativen Elternhaus und dem autoritären Vater. Im Rückblick auf seine Jugend schrieb er später: „Ich wäre einer der größten Dichter geworden, wenn ich nicht einen solchen schweinernen Vater gehabt hätte.“ Nach der Grundschule wurde er durch die häufigen Umzüge der Familie „über verschiedene Gymnasien hinweg deportiert“, ehe er dann ab Oktober 1900 Schüler des Königlich Joachimsthalschen Gymnasiums in Berlin war.

Einfühlsam macht von zur Mühlen deutlich, wie die Jugendjahre in Berlin Heyms Werdegang zum Dichter nachhaltig beeinflusst und ihn zu ersten Gedichten anregt haben. Den Weg zur Literatur suchte sich der heranwachsende Heym selbst. Auch die Gymnasialjahre werden ausführlich geschildert. Wegen mangelnder Leistungen wurde Heym 1905 nicht in die Oberprima versetzt; doch dem Vater gelang es, ihn am Friedrich-Wilhelms-Gymnasium in Neuruppin unterzubringen, wo Heym im März 1907 schließlich das Abitur ablegte.

Auf Drängen des Vaters studierte Heym zunächst Jura in Würzburg, wo er Mitglied des studentischen „Corps Rhenania“ wurde, das er jedoch nach einem Jahr wieder verließ. 1908 ging Heym nach Berlin, um dort sein Studium fortzusetzen. Hier fand er in der Studenten- und Künstlervereinigung „Der Neue Club“ Anschluss an eine Gruppe junger Expressionisten um Kurt Hiller, Jakob van Hoddis, Ernst Blass oder Franz Pfemfert, die ihn literarisch prägte. Für kurze Zeit wechselte Heym, dem „die juristische Scheiße“ inzwischen vollkommen gleichgültig war, an die Universität Jena und legte dann aber doch im Januar 1911 in Berlin die erste juristische Staatsprüfung ab.

Heyms Referendariat beim Amtsgericht Lichterfelde dauerte allerdings kaum vier Monate, da er wegen der Vernichtung einer Grundbuchakte vorzeitig entlassen wurde. Nachdem auch seine Dissertation von der Universität Würzburg abgelehnt wurde, trug er sich mit dem Gedanken, eine Offizierslaufbahn einzuschlagen. Am 16. Januar 1912 ertrank Georg Heym jedoch beim Schlittschuhlaufen auf der Havel, als er versuchte, seinen ins Eis eingebrochenen Freund Ernst Balcke vor dem Ertrinken zu retten.

Soweit die biografischen Ausführungen. In der Beschreibung der beiden letzten Lebensjahre nehmen Heyms literarische Versuche und erste Veröffentlichungen breiten Raum ein. Seine literarische Entdeckung verdankte Heym dem erst 23-jährigen Ernst Rowohlt, der auf der Suche nach jungen Autoren der neuen literarischen Strömungen für seinen gerade gegründeten Leipziger Verlag war. Hier erschien im Frühjahr 1911 der Gedichtband Der ewige Tag, der 41 Gedichte und Gedichtzyklen versammelte, die voller Visionen sich zumeist als Prophezeiungen eines Unterganges und Weltendes lasen. Die ersten Rezensionen waren überaus positiv, sodass der Name Georg Heym über den Kreis des „Neuen Clubs“ hinaus bekannt wurde. Daneben verfasste Heym auch einige Prosawerke und zahlreiche dramatische Arbeiten, die jedoch fast ausschließlich unvollendet blieben.

Von zur Mühlens Biografie zeigt einen jungen Dichter, der Elternhaus, Gymnasium und Universität „als eine Art Vorstufe zur Hölle“ hinter sich gelassen hatte, um „vielleicht einer der größten Dichter Deutschlands, jedenfalls des 20. Jahrhunderts“ zu werden (Marcel Reich-Ranicki). Auf den knapp 150 Seiten wird nicht nur das kurze und intensive Lebensbild Georg Heyms nachgezeichnet, sondern auch ein Überblick über die Einzigartigkeit seines rebellischen Werkes (u.a. mit zahlreichen Gedichtauszügen und historischen Abbildungen) vermittelt. Da der Autor 2019 an dem bis heute unheilbaren Muskelschwund (ALS) erkrankte, unterstützte ihn sein Bruder, der Politikwissenschaftler Patrik von zur Mühlen, bei den letzten Arbeiten am Manuskript. Davon berichtet er in seinem kurzen, berührenden Vorwort.

Titelbild

Bernt Ture von zur Mühlen: Georg Heym. Biographie.
Vorwort von Patrik von zur Mühle.
Iudicium Verlag, München 2022.
147 Seiten , 18,00 EUR.
ISBN-13: 9783862056378

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