Nivellierung und Abschied, Gesellschaft und Medien

Stefan Zweigs Feuilletons sind in einer neuen Ausgabe erschienen, ebenso wie Aufsätze über Stefan Zweig in einem von Clemens Woldan herausgegebenen Sammelband

Von Jens FlemmingRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jens Flemming

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Text, veröffentlicht Anfang Februar 1925 im linksliberalen Berliner Börsen-Courier, mutet bei oberflächlichem Hinsehen an wie eine Philippika, geschrieben in elegantem Stil, auf persönliche Angriffe oder gar Verunglimpfungen verzichtend. Als Autor zeichnete Stefan Zweig, sein eben erwähnter Beitrag ist wieder abgedruckt in einem kleinen, von Bernd Schuchter mit einem Nachwort versehenen Büchlein, das vier in verschiedenen Jahren publizierte Feuilletons enthält. Der Titel des ersten lautet: „Die Monotonisierung der Welt“. Schon der Eingangssatz schlägt den Kammerton an, beschwört „ein leises Grauen“ vor einer immer eintöniger werdenden Welt: „Alles wird gleichförmiger in den äußeren Lebensformen, alles nivelliert sich auf ein einheitliches kulturelles Schema.“

Namentlich die Städte seien „einander ähnlich“ geworden, behauptet Zweig. Die spezifischen „Gebräuche der Völker“ seien im Begriff, sich zu entindividualisieren, die Länder wirkten wie „ineinandergeschoben“. Paris sei „zu drei Vierteln amerikanisiert“ und Wien durchdrungen von Budapest. Die Kulturen hätten das „feine“ ihnen anhaftende „Aroma des Besonderen“ eingebüßt. „Immer rascher“, heißt es, „blättern die Farben ab, und unter der Firnisschicht wird der stahlfarbene Kolben des mechanischen Betriebes, die moderne Weltmaschine sichtbar.“ Dieser Prozess, in dem sich die „Präponderanz der Technik“ als essenzielles Merkmal der Gegenwart herauskristallisiert hat, sei längst im Gange, habe tendenziell bereits in der Vorkriegsepoche begonnen. Geradezu „lawinenhaft“ angeschwollen sei das Ganze aber seit den „letzten Jahren.“ Darüber dürfe man die Augen nicht verschließen: „Es ist wahrscheinlich das brennendste, das entscheidendste Phänomen unserer Zeit.“

Worauf gründet Zweig seine Diagnose? Gewonnen hat er sie auf seinen Reisen. Zur Begründung präsentiert er ein paar „Symptome“.  Das „sinnfälligste“ Beispiel sei der Tanz, der längst nicht mehr gebunden sei an überlieferte Gewohnheiten einer Nation und an Neigungen der Tanzenden. Auch die Mode habe sich „blitzhaft“ gleichgeschaltet. Ihre „Diktatur“ globalisiere sich innerhalb eines „Pulsschlages“. Fehlen dürfen in diesem Spektrum weder das Radio noch das Kino. Beide sind Ausdruck moderner Kulturformen. Sie treiben die „vollkommene Aufhebung jeder individuellen Note“ voran, mit und durch den Rundfunk vollziehe sich „eine ungeheure Ernüchterung des Seelischen“, werde ein „Stimulans“ geliefert für die „Masse“, zugleich jedoch verführe er die Leute „zur Passivität“. Auch hier unterwerfe sich der Mensch, gibt Zweig zu bedenken, einem ubiquitären, „herdenhaften Geschmack“. Es wähle „nicht mehr vom inneren Wesen her“, sondern „nach der Meinung einer Welt.“ Der „Sinn für Selbständigkeit“ löse sich auf, die Epoche werde „überflutet“ von „Passivität im Genießen“. Die Leute gefallen sich in gleicher Kleidung und gleicher Schminke, und schlimmer noch: die Monotonie müsse „notwendig“ von außen nach innen dringen. Ohne sich dessen bewusst zu sein: provoziert von einem allenthalben zu beobachtenden „Uniformierungstrieb“, verkümmerten die „Nerven zugunsten der Muskeln“. Individualität werde abgelöst zugunsten des „Typus“, die „Kunst der Rede“ werde „zertanzt und zersportet, das Theater brutalisiert im Sinne“ des Filmwesens, in die Literatur habe sich die „Praxis der raschen Mode“ eingeschlichen.

Wer trägt für diese Tendenzen die Verantwortung? Befangen in bestimmten Strömungen der 1920er Jahre liegt die Antwort auf der Hand: niemand anderes als Amerika, das sich nach dem Krieg anschickt, Europa zu erobern. Mögen Industrielle und Politiker finanzielle Hilfen aus den USA bejubeln, so Zweigs Überzeugung, werden die Nationen des alten Kontinents zu Kolonien einer ihnen nicht gemäßen Lebensweise: Sie werden herabgewürdigt zu „Knechten einer der europäischen im Tiefsten fremden Idee, der maschinellen.“ Die eigentliche „Gefahr“ dieser Bewegung lokalisiert der Autor im „Geistigen“, im, wie er formuliert, „Herüberdringen der amerikanischen Langeweile“. Diese sei „fahrig, nervös und aggressiv“, überhäufe sich mit „eiligen Hitzigkeiten“, wolle sich „betäuben in Sport und Sensationen“.

 Sie sei fern von spielerischem Habitus, flüchte vielmehr in „tollwütiger Besessenheit“ aus und vor der Zeit. Fortwährend erfinde sie neue Kunstmittel, um die „hungrigen“ Gemüter mit „Massennahrung“ zu speisen. Die über den Atlantik schwappende „Welle der Einförmigkeit“ werde ergänzt und komplettiert vom bolschewistischen Russland. Auch dort sei, obwohl fußend auf anderer Begründung und anderer Tradition, der „Wille zur Monotonie“ tonangebend: „der Wille zur Parzellierung des Menschen, zur Uniformität der Weltanschauung“. Noch allerdings existiere als „letztes Bollwerk des Individualismus“ – Europa. Dessen Völker richteten sich zum Teil in überspanntem Nationalismus ein. Zweig allerdings bagatellisiert dies und erblickt darin nur einen „verzweifelten Versuch“, sich vor dem Hang zur „Gleichmacherei“ zu schützen. Indes, und das wiederum ist der Wermutstropfen: schon die „krampfige Form der Abwehr“ offenbare unübersehbare „Schwäche“. Ein Indiz dafür sei, dass Rom, „der Genius der Nüchternheit“, unter Mussolini daran arbeite, „um Europa“, das übriggebliebene „Griechenland der Geschichte“, aus den Annalen und aus dem Bewusstsein zu tilgen.

Mit seinen Aversionen gegen die Vereinigten Staaten stand Zweig nicht allein. Auf die Großmacht jenseits des Atlantiks zu schauen, war in den zwanziger Jahren gängige Münze. Gewöhnlich mischten sich darin Beobachtungen und Erfahrungen mit Bedürfnissen, Wünschen, Erwartungen und Projektionen, auch mit Interessen dieser und jener Art. Individuelle und kollektive, milieubedingte Prägungen spielten eine Rolle; in die Faktizität oder das, was dafür genommen wurde, flossen Ideologien und Illusionen, aus denen mitunter Träume, mitunter Albträume hervorwuchsen. Sie spiegelten und dokumentierten Realitäten, wirkten auf sie ein und modelten sie gebrauchsfertig zurecht. Sie warfen Licht auf gesellschaftliche und kulturelle Konstellationen, waren Vehikel der Aufklärung wie der Gegenaufklärung, bisweilen nichts als glättender Ausdruck propagandistischer Inszenierungen. Zu den Bildern gesellten sich unweigerlich Gegenbilder, zur Kritik meldete sich Antikritik. Im Fall Amerika sprangen diese Doppelungen geradewegs ins Auge. Die USA hatten sich nach dem ersten Weltkrieg politisch zwar aus den europäischen Arenen verabschiedet, wirtschaftlich und kulturell aber nicht. Den einen galten sie als Modell, den anderen als Inbegriff von Verflachung und Verfall, von dem sich das Deutsche und der Deutsche fernzuhalten hätten.

Dabei ging es auch und nicht zuletzt um die Gestalt der Moderne oder was die interessierten Milieus sich darunter vorstellten. In diese Diskussionen reihte Zweig sich nahtlos ein. Er warb jedoch nicht wie die Anhänger von rechts oder links für alternative politische Ordnungen. Weder suchte er im Faschismus das Heil, noch im Bolschewismus. Mit Büchern sei gegen die aktuellen Tendenzen nichts auszurichten, lautete das Fazit. Auch nicht mit Aufrufen „zum Individualismus, zum wahren Europäertum“.  Wie aber war dem Übel zu begegnen? Im Kern durch Rückzug in das Selbst, durch „Bewahrung“ des „unantastbaren Eigenwillens.“ Dies allerdings müsse sich freihalten von ostentativ geübter Abkehr. Wer sich nach innen absondere, solle sich nach außen sämtliche, von der Technik erzeugten „Bequemlichkeiten“ anverwandeln, solle „sich nicht vergeuden in prahlerischer“ Distanzierung. Um seinen spezifischen Takt und seinen Lebensrhythmus zu bewahren, gelte es, sich schlau zu machen. Durchdrungen von Erkenntnis lasse sich nämlich bewusst ablehnen, was nicht zugehörig sei, und ebenso bewusst könne erhalten werden, was „notwendig erscheint.“ In den Entscheidungsräumen des Geistes, resümiert Zweig, erwarte den „Willigen“ in der zunehmend „mechanisch werdenden Zivilisation unendliche Vielfalt“. Dies sei die eigentliche „Werkstatt“, in der sich das Eigene in einer Welt entfalte, die jedweder Monotonisierung widerstrebe.

Gut ein Dutzend Jahre später, am 30. Mai 1939, hält Zweig im Londoner Exil auf seinen Freund Joseph Roth, der in Paris an Alkoholismus gestorben war, eine eindringliche, sehr berührende Rede. Sie portraitiert einen Romancier, der sich „jeder Bruderschaft mit behäbig-bürgerlichem Glück“ verweigerte, wenn man so will, einen Außenseiter par excellence.  Sein Schicksal, konstatiert der Redner, sei – sich ewig wiederholend, „dass wo immer er eine Sicherheit fand, sie erschüttert werden sollte.“ Das hing eng zusammen mit Roths Bindung an die Habsburger Monarchie, die mit dem Ende des Krieges auf immer dahin war. Im Radetzkymarsch habe er sich als “österreichischer Mensch“ offenbart: „Wie die alte vornehme und an ihrer inneren Noblesse unkräftig gewordene österreichische Kultur zugrunde geht, dies wollte er in Gestalt eines letzten Österreichers aus verblühendem Geschlecht zeigen.“ Wolle man künftig die „wahrste Grabinschrift der alten Monarchie“ betrachten, müsse man „sich niederbeugen“ über die „Blätter dieses Buches“.

Manch einer von Roths Kollegen empfand dies als Indiz der Reaktion. Zweig ließ sich davon freilich nicht beeindrucken. Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten sah er den „Antichrist auf Erden triumphieren“. Damit begann, urteilte er, eine „einzige andauernde Verzweiflung.“ Nicht um ihr zu entfliehen, wohl aber um sich gegen sie zu wappnen, strebte er nach „Unterkunft in einer kämpfenden Gemeinschaft.“  Den ihm eigenen habsburgischen „Legitimismus“ ergänzte er mit der Hinwendung zum Katholizismus. Zweig mochte dies nicht „billigen“, die darin ruhende „Ehrlichkeit“ bestritt er aber nicht. Roths Entscheidung allerdings unterminierte dieser selbst mit dem Hang zum Alkohol. Unausgesetztes Trinken war Ausdruck von „Bitternis“, eingeschlossen in unwiderruflicher „Sucht nach Vergessen“. Es war Selbstvernichtung, die sich nicht in Hinterzimmern, sondern in der Öffentlichkeit eines Pariser Cafés vollzog. Dort schrieb und trank, trank und schrieb er. Nach wie vor trug seine Prosa das „Signum der Meisterschaft.“ Da Roth aus der Welt des Kampfes geschieden war, wurde die Aufgabe der Zeitgenossen um so dringender. Seine „vorgeschobene“ Position, appellierte Trauerredner Zweig an sich und seine Freunde, sei nun ihnen „zugeteilt“, ihnen: „den Künstlern, den Schriftstellern der Emigration.“

Drei „Feldern“ der Zweig-Forschung widmet sich das 2024 von Clemens Woldan herausgegebene Buch Stefan Zweig – Biographie, Politik und Medien. Dessen Beiträge umkreisen „Biographie und Netzwerk, Gesellschaft und Politik sowie Film und Intermedialität.“ Dass wissenschaftliche Abhandlungen mit der Eleganz von Zweigs Feuilletons nicht konkurrieren können, liegt auf der Hand. Aber von einem Sammelband ist zu erwarten, dass er einer erkennbaren Systematik folgt, eine nachvollziehbare innere Struktur aufweist. Davon ist leider nichts oder nur wenig zu spüren. Denn er bietet nur ein eigentümliches Sammelsurium feil. Der innere Zusammenhang, abgesehen vom Namen Zweig, lässt sich nicht leicht ergründen. Zu entdecken sind unter anderem „Kindheitserzählungen und späte Schultexte“ im Vergleich mit Ellen Keys Erziehungsprosa, „Zweig und die tschechische Literatur vor dem Ersten Weltkrieg“, ferner die „ambivalente“ Zweig-Rezeption im nachmaoistischen China. Dies alles heißt jedoch nicht, dass die Texte von vornherein jegliche Aufmerksamkeit entbehren sollten. Für sich genommen orientieren sie sich nämlich, wie sich das gehört, an handelsüblichen Standards der Qualität, sie sind materialreich, hier und da originell.

 Das Ganze beginnt mit Jacques Riders detaillierten, wohlinformierten Überlegungen zu den Beziehungen zwischen Zweig und Freud, dessen dauerndes „Verdienst“ gewesen sei, als „kühner liberaler Reformer der zeitgenössischen Sitten“ aufgetreten zu sein, dabei sein Wort einer „freieren Geschlechtsmoral“ leihend. Das „Weltbürgertum“ Zweigs, aus der „Quelle des Judentums“ stammend, analysiert der Theologe Karl-Josef Kuschel. 1914, mit dem Ausbruch des Krieges habe die Beschäftigung mit dem Jüdischen an Intensität gewonnen. In einem Brief an Martin Buber im Mai 1917 macht er keinen Hehl daraus, dass er der „Realisierung“ einer jüdischen „Volksgemeinschaft“ mit Skepsis begegne, die „ewige Heimatlosigkeit“ dagegen akzeptiere. Er halte, schreibt er, „nationale Gedanken“ für eine „Gefahr“. Das Judentum sollte darauf verzichten. Denn womöglich sei es sein „Zweck“, mit Hilfe seiner jahrhundertealten Geschichte zu veranschaulichen, „dass Gemeinschaft auch ohne Erde, nur durch Blut und Geist, nur durch Wort und den Glauben bestehen“ könne. Das war eine Absage an den Zionismus und dessen Streben nach einer „Heimstätte“ in Palästina. Die Aufgabe des Judentums sei es, den „Nationalismus zu entwurzeln“, der jüdische Geist sei „Weltgeist“. Jedenfalls dürfe er sich nicht darauf kaprizieren, „in einem arabischen Winkel ein Natiönchen zu werden.“ Den Weg dahin einzuschlagen, war in seinen Augen keine Lösung dessen, was damals als Judenfrage diskutiert wurde. Zweig, so eine Notiz von 1937, wünschte nicht, „dass das Judentum aus seiner Universalität sich ganz ins Hebräische und Nationale“ einkruste. Darin, so Kuschel, verdichtete sich eine „übernationale“, global ausgreifende Position, die sich von „assimilatorischer Selbstauflösung“ ebenso unterschied wie von „politischem und kulturellem Zionismus“. Zweigs „Weltbürgertum“ habe sein „Judentum nicht ersetzt oder gar abgestoßen, sondern integriert.“

Mit aufschlussreichen Überlegungen zur Bedeutung der Physiognomik beschließt der Literaturwissenschaftler Clemens Woldan den von ihm besorgten Band. Das betrifft ein wesentliches Element im „historisch-biographischen Werk“. Um dies zu fundieren, werden unter anderem Marie Antoinette bemüht, Joseph Fouché oder Maria Stuart. Mit seiner Perspektive ist Zweig auf der Höhe mit zahlreichen Kollegen der literarischen Szenerie, dabei Gemälde für ein „hohes Maß an Plastizität“ seiner Figuren nutzend. Im Mittelpunkt steht die Frage nach der Funktion der Physiognomik „als gestaltdeutender Kulturtechnik“. Der Fouché zeichnet das „Bildnis eines politischen Menschen“, dessen „physische Mängel“ mit seinen „inneren Eigenschaften“ korrelieren und in dieser Kombination einen „bestimmten Menschentyp“ hervorbringen. Marie Antoinette hingegen steht für das „Bildnis eines mittleren Charakters“. Auch hier werden aus der „Beschreibung äußerer Merkmale Besonderheiten“ des Charakters abgleitet: „Auch hier erfolgt“ der Zugang zur Protagonistin über das „Medium des Bildes“. Bilder haben daher eine tiefere, der Erklärung und Erkenntnis dienende Funktion als bloße Illustrationen der Vergangenheit. Die Überzeugung, der „menschliche Charakter“ gründe auf physiognomischen Tatbeständen, sei allerdings, hebt Woldan hervor, mit dem „Streben nach einer von biologischen und gesellschaftlichen Zwängen unabhängigen Existenz nicht vereinbar.“ Damit kehren wir in gewisser Weise zu Zweigs Essay über die „Monotonisierung der Welt“ zurück: mit der Chance, ein neues Feld der Analyse zu eröffnen.

Titelbild

Stefan Zweig: Sinn und Schönheit der Autographen. Feuilletons.
Limbus Verlag, Innsbruck 2023.
96 Seiten, 15,00 EUR.
ISBN-13: 9783990392430

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Titelbild

Clemens Woldan: Stefan Zweig. Biographie, Politik und Medien.
Königshausen & Neumann, Würzburg 2024.
286 Seiten, 44,00 EUR.
ISBN-13: 9783826083532

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