Zwischenmenschliches unter die Lupe genommen

Nina Spangenberger untersucht Paarbeziehungen bei Hartmann von Aue

Von Miriam StriederRSS-Newsfeed neuer Artikel von Miriam Strieder

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Nina Spangenberger hat es sich in ihrer Dissertation zur Aufgabe gemacht, Liebe und Ehe in den erzählenden Werken Hartmanns von Aue zu untersuchen. Auf den ersten Blick mag dies schwierig erscheinen, da die Perspektive auf zwischenmenschliche Beziehungen heute von der des 11. Jahrhunderts teilweise stark differiert. Eine klare Trennung der Begriffe ‚Liebe‘ und ‚Minne‘ ist unumgänglich und Spangenberger stellt nachvollziehbar dar, dass sie den Terminus ‚Minne‘ nicht in ihre Betrachtung mit einfließen lässt, um Verwechslungen mit der hohen Minne des Minnesang vorzubeugen. Stattdessen arbeitet sie mit der Definition Peter Dinzelbachers. Darüber hinaus geht Spangenberger auf das einschlägige ‚De amore’ von Andreas Capellanus und die mittelalterlichen Gesetzmäßigkeiten der Ehe ein, aber entsprechende Zitate und Anmerkungen aus zeitgenössischen Quellen wären – statt in Fußnoten versteckt – schon in der Einleitung sinnvoll und hilfreich.

Der Forschungsüberblick, den Spangenberger ihrer Arbeit vorausschickt, scheint eher nach assoziativen Kategorien geordnet zu sein, was eine Orientierung in der bereits vorhandenen Forschungsliteratur erschwert. Positiv hervorzuheben ist die gewählte Methodik: Die textnahe Analyse ist fundiert und macht es durch passgenaue Zitate und das Herstellen eines Kontextes möglich, die Argumentation ohne lästiges ‚Parallel-Lesen‘ im Originaltext nachzuverfolgen. Die gewählten Kategorien erscheinen sinnvoll, auch wenn Wiederholungen nicht vermieden werden konnten. Trotz dieses Mankos sind die Kategorien interessant und gut gewählt – besonders die Betrachtungen von Liebe in Verbindung mit der höfischen Gesellschaft sind sehr lohnend. Erfreulich sind neben den immer wieder vorkommenden Hinweisen auf realhistorische Ehepraktiken des Mittelalters auch die kritischen Auseinandersetzungen mit der Sekundärliteratur, die leider allzu oft in die Fußnoten verbannt werden, was eine genauere Betrachtung der Sachlage erschwert. Hilfreich, wenn auch nicht zwangsläufig nötig, wären kleinere Zusammenfassungen am Ende einer jeden Einheit gewesen, die die Orientierung in der Argumentation und das Wiederfinden konkreter Ausführungen erleichtert hätten, denn dies können auch die gut strukturierten und knapp gehaltenen Ergebnis-Kapitel nicht ganz leisten.

Desweiteren ist die Erweiterung des Fokus’ von den Protagonistenpaaren auf die Nebencharaktere interessant und konterkariert beziehungsweise bestätigt auf erhellende Weise die Befunde, die die Protagonisten betreffen (so etwa die Grafen im ‚Erec‘ oder die Dame von Narison im ‚Iwein‘). Ebenfalls gelungen sind die wiederholt auftretenden, fundierten Verweise auf die Vorlagen der beiden Artusromane und des ‚Gregorius‘ sowie Seitenblicke auf Hartmanns Lyrik, die das Bild bereichern oder sogar komplettieren. Auch die Reihenfolge der Betrachtungen, die von der Entstehungschronologie der Texte abweicht, erweist sich als zweckmäßig: Die höfischen Romane führen Liebe und Ehe vor, die zwar problematisiert werden, aber sich doch innerhalb moralischer und gesellschaftlicher Konventionen bewegen, während der ‚Gregorius‘ und der ‚Arme Heinrich‘ diese Kategorien überschreiten.

Im ‚Erec‘-Teil werden Schwierigkeiten mit der Gliederung offenbar: Die Gliederungspunkte entziehen sich der Chronologie der Romanhandlung und laden damit zu Wiederholungen ein. Hinzuweisen wäre in der gelungenen Darstellung einzig noch auf Parallelen zur Erzählung von Pyramus und Thisbe aus den ‚Metamorphosen‘ zu Enites Todessehnsucht (und der des Löwen im ‚Iwein‘), was bei der gewählten Thematik von Liebe und Ehe – mit besonderem Augenmerk auf der triuwe – eine tiefere Interpretation ermöglicht hätte. Weitere intertextuelle Verweise hätten vermutlich den Rahmen der Arbeit gesprengt, aber gerade bei der Beschreibung von Enite und ihrer zerrissenen Kleidung wäre zumindest eine Anmerkung zu ihrer Schwester Jeschute und deren Ehemann Orilus im ‚Parzival‘ wünschenswert gewesen. Kleinere inhaltliche Fragen bleiben auch nach den Ausführungen von Spangenberger offen: Zum Beispiel versäumt sie so, auf die offensichtlichen Parallelen Enites und Erecs zu Artus und Ginover im ‚Iwein‘ hinzuweisen; auch die Isolation des Protagonistenpaares in Glück und Unglück müsste genauer ausgeleuchtet werden. Weiterhin wäre die Ehemotivation Erecs, die weit entfernt ist von dynastischen Überlegungen, genauer zu betrachten.

Ein ähnliches Bild lässt sich für die Betrachtung des ‚Iwein‘ zeichnen: Die Nachverfolgung der Motivation der Protagonisten anhand des Textes ist gelungen. Hilfreich sind die Verweise auf Ähnlichkeiten der Motive (wie Selbstmord oder der triuwe-Gedanke) innerhalb der Hartmann’schen Texte und darüber hinaus bei den Vorlagen. Außerdem eröffnen die Bezüge zur mittelalterlichen Rechtspraxis und theologischen Gepflogenheiten einen tieferen Einblick in die zwischenmenschlichen Beziehungen (zum Beispiel Jahresfristen, Konsensehe etc.). Die schiere Fülle an Sekundärliteratur belegt zwar eine intensive, facettenreiche und tiefe Auseinandersetzung mit der Thematik, lässt das Lesen des Textes aber schnell zu einem ermüdenden Suchspiel werden – besonders da, trotz der hohen Anzahl der Fußnoten, eine Trennung in inhaltliche und zitatorische Anmerkungen nicht vorgenommen wurde. Eine große Erleichterung hätten Endnoten für reine Belege dargestellt; so wäre gewährleistet, dass interessante Diskussionen auf ‚Nebenschauplätzen‘ nicht einfach überlesen werden und die eigentlichen Erkenntnisse der Arbeit nicht untergehen. Weiterhin ist zu bedenken, dass nicht alle Anmerkungen dringend erforderlich sind: Die Bedeutung von vrouwe zum Beispiel sollte man als bekannt voraussetzen dürfen.

Ein ähnliches Bild bieten ‚Gregorius‘ und ‚Armer Heinrich‘: Auch hier ist die Textarbeit überzeugend. Rückgriffe auf die Vorlage des ‚Gregorius‘ sind sinnvoll eingebunden und bieten tiefergehende Erkenntnisse; besonders die Deutungen zum ‚Armen Heinrich‘ überzeugen.

Insgesamt bieten die Betrachtungen der vier erzählenden Werke Hartmanns eine sehr gute Grundlage für den Vergleich, der allerdings über weite Strecken in eine Zusammenfassung der vorangegangenen Kapitel mündet. Sehr gut nachvollziehbar und erhellend sind die Darstellungen des Zusammenspiels von Herz und Auge beim Verlieben, der Wirkung von Schönheit (vermehrt weiblich, seltener männlich), und der Rolle der personifizierten Liebe und des Teufels. Auch die Ausweitung des triuwe-Begriffs von rein sexueller hin zu moralischer und emotionaler Exklusivität ist gut herausgearbeitet und begründet.

Gelungen sind ebenfalls die knappen, aber treffsicheren Beobachtungen zu Wolframs ‚Parzival‘ und Heinrichs ‚Eneasroman‘ samt dem kurzen und prägnanten Schluss. Wünschenswert, aber nicht notwendig, wäre ein Ausblick auf die nachklassischen Artusromane wie die ‚Crône‘ Heinrichs von dem Türlin oder den ‚Wigamur‘ gewesen.

Titelbild

Nina Spangenberger: Liebe und Ehe in den erzählenden Werken Hartmanns von Aue.
Peter Lang Verlag, Frankfurt a. M. 2012.
350 Seiten, 59,95 EUR.
ISBN-13: 9783631639238

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch