Neues vom Biografienzauberer

Alex Capus’ Roman „Das Leben ist gut“

Von Martin GaiserRSS-Newsfeed neuer Artikel von Martin Gaiser

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Das Leben ist gut – was für ein Romantitel. Ist das esoterisch, ein Kalenderspruch, naiv oder philosophisch? Wahrscheinlich ist es das alles nicht (wobei das mit der Philosophie noch zu klären wäre), sondern es beruht ganz einfach auf eigener Erfahrung. Und das Erlebte wurde niedergeschrieben, zwar nicht eins zu eins – es handelt sich hier schließlich nicht um einen Lebens- oder Erfahrungsbericht – vielmehr um eine zu Literatur gewordene Beschreibung der Realität, des Lebens eben. Der Autor Alex Capus ist – wie man so sagt – mit allen Wassern gewaschen: klug, gewitzt, stilistisch sicher. Nach seinen frühen Romanen Munzinger Pascha, Fast ein bißchen Frühling und Glaubst du, daß es Liebe war?, mit denen er bei Kritikern und Lesern viel Aufmerksamkeit erzielte und sich den Status eines der interessantesten deutschsprachigen Autoren erschrieb, wurde er spätestens mit seinem Bestseller Léon und Louise, der für den Deutschen Buchpreis 2011 nominiert wurde, einem großen Publikum bekannt. Neben diesen auflagenstarken Titeln schrieb und schreibt Capus immer auch Geschichten, biografische Porträts und Miniaturen. Außerdem veröffentlichte er im Oltener Knapp Verlag zwei Bände mit Erzählungen rund um die Stadt, in der er seit seinem fünften Lebensjahr lebt, Olten in der Schweiz.

Dort spielt nun auch der größte Teil seines neuen Buches Das Leben ist gut, dessen Hauptfigur und Ich-Erzähler ein Schriftsteller ist, der in Olten seit einigen Jahren die Sevilla Bar betreibt. Max ist seit vielen Jahren mit Tina verheiratet, das Paar hat drei Söhne, die alle noch zu Hause leben und zur Schule gehen. Nun hat Tina eine einjährige Gastprofessur für internationales Strafrecht mit Forschungsauftrag in Paris angeboten bekommen, die sie selbstverständlich antreten möchte. Und somit tritt etwas noch nie dagewesenes ein: Max wird für lange Zeit wochenweise alleine sein, da Tina meist erst gegen Ende der Woche wieder zurück nach Olten kommt. Alex Capus hat den Erzählzeitraum auf diese knappe Woche, den Zeitraum von Tinas Abwesenheit begrenzt. Er zeigt uns seinen Max in dieser Woche mit all seinen Gefühlen, Gedanken, Tätigkeiten, Begegnungen – er zeigt uns Max’ Leben.

In diesem Buch kulminieren viele Motive und Fähigkeiten Capus’, er beschreibt seine Stadt und ihre Bewohner, zoomt nahe ran (tatsächlich war er in Olten zweieinhalb Jahre politisch tätig, er kennt also sehr viele Zusammenhänge und Hintergründe und – wie es gleich auf der ersten Seite heißt – : „…kenne jeden im Städtchen und fühle mich wohl wie ein Eber im Schweinekoben.“). Max bringt das Altglas mit dem Handkarren zur Sammelstelle, er füllt Getränke auf und schaut, was repariert und in Ordnung gebracht werden muss, bevor um 17 Uhr der Barbetrieb beginnt. Capus schildert den Alltag in der Bar (und auch das kennt er aus eigener Anschauung, seit drei Jahren betreibt er in Olten die Galicia Bar). All das ist mit Leben erfüllt, wirkt keinesfalls ausgedacht, man nimmt dem Autor ab, dass er all die Tätigkeiten und Materialien, über die er schreibt, kennt, das liest sich – so verbraucht der Begriff auch klingen mag – absolut authentisch. Was im übrigen auch an Capus’ großartiger Erzählweise liegt, die immer wirkt, als spräche der Autor zu einem, als würde er diese Geschichten unkonstruiert, quasi am Tresen sitzend, erzählen. Das hat etwas unverbrauchtes und direktes, wie man es selten liest.

Und dann sind da natürlich all die Typen, die die Sevilla Bar bevölkern; ein ideales Spielfeld gerade für einen Schriftsteller, der mit einer solchen Leidenschaft Lebensbilder verfasst, den Menschen und ihre Geschichten immens interessieren und der diese unglaublich plastisch und nah beschreiben kann. Hier ist Alex Capus in seinem Element. Mit wenigen Sätzen hat er beispielsweise einen Freund beschrieben, der einen köstlichen Grund liefert, warum er nie Espresso trinkt. Dieser Miguel ist einer derer, die Max morgens dann und wann in der Bar besuchen, wohl wissend, dass er da sein und Zeit für ein Schwätzchen haben wird. Der Fall Miguel zieht sich allerdings im Gegensatz zu vielen anderen kurzen Schnappschüssen – man kann durchaus sagen, Capus ist ein Biografienzauberer – durch den ganzen Roman, da er den Toro (also den präparierten Stierkopf), der in der Bar hängt, wieder haben möchte, um ihn im Internet zu verkaufen. In dieser köstlichen Geschichte gibt es eine Binnenerzählung über einen fiktiven Mann, der Max’ Ersatztoro von Südfrankreich bis nach Mannheim transportiert, die sich mehr und mehr verselbständigt – ein sehr schönes Beispiel dafür, wie spielerisch Alex Capus in die Fiktion (innerhalb der Fiktion) wechselt, Literatur en passant entstehen lässt. Das gelingt ihm ein weiteres Mal auf bestechende Weise mit der Figur des Tom Stark, eines Amerikaners, der mit einem von Max’ ehemaligen Lehrern befreundet ist und mit demselben zwei launige Abende in der Sevilla Bar verbringt; es mutet so an, als gäbe es diesen Tom wirklich und als hätte Alex Capus ihn längst in Florida besucht.

Das episodische, scheinbar leichte Erzählen bewirkt, dass der Leser sich in diesem mäandernden Geschichtenfluss unglaublich wohl fühlt, was jedoch keineswegs heißt, dass der Autor (und sein Alter Ego) schwierige Themen umgeht. Ganz im Gegenteil, mit Miguels Frau beispielsweise gibt es einen massiven Konflikt, Max denkt beim immerwährenden Denken an seine geliebte Tina auch daran, dass diese in der Stadt der Liebe durchaus auf Verehrer treffen könnte, außerdem spart der Autor nicht mit Zivilisationskritik und er zeigt, welche Tricks windige Immobilientypen anzuwenden in der Lage sind, um Max die Sevilla Bar abzuschwatzen. Trotzdem feiert Alex Capus die Freundschaft, den Optimismus, die Liebe. Und immer wieder fragt sich Max, wann wohl Tina endlich anrufen und ihn um das Auswechseln einer defekten Glühbirne bitten wird. Dann nämlich würde er in den nächsten Zug steigen und zu ihr eilen. Das Leben ist gut kann wie bereits eingangs erwähnt vielfach angegriffen werden, da es gut tut, ohne eine Arznei zu sein; es hebt die Stimmung, ohne Plattheiten und austauschbare Weisheiten aufzulisten. Wäre der Begriff „Geschenkbuch“ nicht so eindeutig und auf alle Zeiten definiert, man könnte dieses Buch so kategorisieren, da man es guten Freunden schenken möchte, um diese originellen und witzigen Geschichten weiterzutragen und sich während der Lektüre schon überlegt, wem man welche der vielen schrägen Episoden erzählen möchte.

Bleibt die Frage, warum Capus über seine Hauptfigur Max (oder ist die meist abwesende Tina die heimliche Hauptfigur?) nicht so locker und souverän schreibt, wie über die vielen anderen Personen seines Romans. Gerade Max bleibt seltsam eindimensional, definiert sich über seine Tätigkeiten, Kontakte und Gedanken, ist der Träger der Geschichten – vielleicht liegt es daran, dass Alex Capus hier ein Selbstporträt geschaffen hat und dass er über sich nicht so unbefangen schreiben will oder kann, wie über viele, viele (erfundene oder tatsächlich existierende) Menschen.

Titelbild

Alex Capus: Das Leben ist gut. Roman.
Hanser Berlin, Berlin 2016.
240 Seiten, 20,00 EUR.
ISBN-13: 9783446252677

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