Wie ein britischer Offizier anständig durch den Krieg irrt

Evelyn Waughs autobiografisch inspirierter Roman „Ohne Furcht und Tadel“ in neuer Auflage

Von Sylvia HeudeckerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sylvia Heudecker

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Guy Crouchback ist ein sonderbarer Mann aus einer bemerkenswerten Familie der englischen Upper Class. Schon die Großeltern waren weltläufig, liebten Europa, besonders Italien. Die Crouchbacks hegen von jeher klare, politisch konservative Ansichten und leben auch in Guys Generation einen überzeugten Katholizismus. Allerdings befindet sich das Haus im Niedergang, sowohl was den ausbleibenden Nachwuchs angeht als auch hinsichtlich des rapide schwindenden Reichtums. Der 1965 veröffentlichte Roman Ohne Furcht und Tadel spielt in der Zeit des Zweiten Weltkriegs und erzählt Guy Crouchbacks Geschichte. Als geschiedener Enddreißiger, saturiert, von den Frauen im Besonderen und vom Leben im Allgemeinen enttäuscht, sucht er eine Aufgabe, die ihn grundlegend fordert – und findet sie im Militär.

Die literarische Kriegsbiografie, die der auch von Schriftstellerkollegen hoch geschätzte Evelyn Waugh (1903–1966) verfasste, bietet gerade dem deutschen Publikum einen ganz ungewöhnlichen Lesestoff. Nicht das Leid der Opfer oder die Grausamkeit der Täter bestimmen den Gang der Dinge. Hier wird aus der Perspektive eines Offiziers vom Leben in der britischen Armee berichtet. Der Ton ist leicht, ironisch, die dargestellten Figuren sind mit satirischem Augenzwinkern gezeichnet. Die Ereignisse in der Truppe, zunächst bei der Ausbildung und später im Einsatz, entsprechen oft so gar nicht dem vermeintlich durchdringenden Ernst der historischen Lage. Im Gegenteil, der Leser erfährt, wie organisatorische Planlosigkeit und chaotische Logistik zu einem fröhlichen Lotterleben der Soldaten führen, vor allem solange sie sich in der Heimat befinden.

Hier schreibt einer zugleich mit kritischer Distanz und patriotischem Idealismus aus der militärischen Innenperspektive über den Zweiten Weltkrieg. Diese Perspektive kennt auch die deutsche Literatur, etwa von Ernst Jünger – aber die Erzählhaltung ist eine gänzlich andere. Und so betrachtet schickt der Roman seinen deutschen Leser auf Erkundung der eigenen Erwartungen an einen Kriegsroman. Allein schon diese Erfahrung lohnt die Lektüre.

Unter dem Originaltitel Sword of Honour erschien die Trilogie erstmals in englischer Sprache. Evelyn Waugh hatte dazu im selben Jahr drei seiner Romane überarbeitet und zu einem einzigen zusammengefasst. Die Erzählungen waren zwischen 1952 und 1961 entstanden; in ihnen setzt sich Waugh literarisch mit seinen eigenen Kriegserfahrungen auseinander. Die Handlung orientiert sich lose an den tatsächlichen Ereignissen aus Waughs Biografie, in chronologische Abfolge nimmt der Leser teil an Crouchbacks Lebensweg von 1939 bis zum Ende des Kriegs mit einer Blende ins Jahr 1951 – Men at Arms (1952), Officers Gentlemen (1955) und Unconditional Surrender (1961). Im Jahr 1979 erschien die Trilogie in deutscher Übersetzung von Werner Petrich im Albrecht Knaus Verlag. Für die Neuauflage wurde Petrichs Arbeit zu Recht nicht ersetzt, sondern nur durchgesehen. Neben dem Erzählfluss, den Petrich mühelos ins Deutsche überträgt, bewährt sich sein Können insbesondere in der Übertragung der militärischen Sprache. Über Fachwörter und den Jargon nicht nur der oberen Ränge verfügt er souverän, die Schilderung militärischer Aktionen scheint aus erster Hand. Wenn ein heutiger Leser es schafft, der Geschichte eines englischen Offiziers im Zweiten Weltkrieg auf nahezu 1000 eng bedruckten Seiten zu folgen, sie zu Ende zu lesen und einigermaßen befriedigt aus der Hand legt, dann hat der Autor ein ziemlich gutes Buch geschrieben und der Übersetzer seine Aufgabe zuverlässig erfüllt. Und doch: Die zeitliche Distanz zum Geschehen jener Jahre ist trotz beständiger Geschichtsarbeit in Schule und Medien beachtlich; die Welt des Militärs dem Großteil des heutigen Publikums nicht einmal annähernd vertraut. Daher sei dem Leser von Waughs Ohne Furcht und Tadel empfohlen, entweder ein Militärlexikon griffbereit zu halten oder aber im Bewusstsein zu lesen, ohnehin nie alles bis in letzte Detail verstehen zu können. Aber die Lektüre ist beileibe nicht zäh, denn die Erzählung pendelt immer wieder aus dem eigentlich Militärischen heraus ins gesellschaftliche Leben hinein. Skurrile Charaktere sind zahlreich in Waughs Trilogie, etwa der alte Haudegen und Leuteschinder Ritchie-Hook. Crouchbacks Mitoffizier Apthorpe, mit dem ihn eine distanzierte Freundschaft und Vertrautheit verbindet, gehört auch dazu. Der erste Romanteil, der sich an das Schema der klassischen Tragödie anlehnt, berichtet über das Kennenlernen und die sich entwickelnde Beziehung zwischen den beiden Männern. Der aus bestem Haus stammende Apthorpe erweist sich als ausgesprochen exzentrisch. Die Verteidigung seiner wertvollen Donnerkiste – eine tragbare Latrine – bringt ihn fast um den Verstand. Familienmitglieder, Freunde, Bekannte und Guys attraktive, lebenslustige Ex-Frau machen das Treiben bunt.

Waugh zeichnet ein erhellendes Porträt seiner Zeit, was gerade dadurch eindrücklich wirkt, dass die Sicht Guy Crouchbacks die eines „einzelnen, ziemlich untypischen Engländers“ ist. So schreibt der Autor in seinem kurzen Vorwort. Denn Guy sieht die Dinge anders als die meisten um ihn herum. Sein Interesse wird vom scheinbar Nebensächlichen angezogen, er stellt das Selbstverständliche in Frage und eröffnet dadurch ungewöhnliche Perspektiven. Zwar gehört er einer kleinen Elite an, doch seine römisch-katholische Sozialisation trennt ihn vom Rest der anglikanischen Oberschicht. Crouchbacks Herkunft ist die eines Außenseiters in der eigenen Kultur, der sich bereitwillig in den Dienst des gemeinsamen Vaterlands stellt. In diesem Spannungsfeld bewegt sich der Roman bis zum letzten Satz: „für Guy ist alles sehr gut ausgegangen.“

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen

Titelbild

Evelyn Waugh: Ohne Furcht und Tadel. Roman.
Übersetzt aus dem Englischen von Werner Peterich.
Diogenes Verlag, Zürich 2016.
976 Seiten, 29,00 EUR.
ISBN-13: 9783257069655

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