Translation als literarische Fiktion

Reinhard Babels Dissertation zur Hermeneutik, Poetik und Ethik des Übersetzens

Von Isabelle LuxRSS-Newsfeed neuer Artikel von Isabelle Lux

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die literarische Darstellung von Übersetzung nimmt in literaturhistorisch bedeutenden Werken eine prominente Rolle ein – so die Arbeitshypothese von Reinhard Babel, die er den Literaturanalysen in seiner Dissertation Translationsfiktionen – Zur Hermeneutik, Poetik und Ethik des Übersetzens zugrunde legt.

Babel möchte damit, das legt er in seiner ausführlichen Einleitung dar, an Untersuchungen der Fiktionalisierung von Übersetzung anknüpfen. Er sieht sich mit seiner Arbeit auf einem bereits etablierten Forschungsgebiet, das transdisziplinär von Interesse ist und das, so seine Einschätzung, neben der Literaturwissenschaft insbesondere auch die Kulturwissenschaften, vor allem die Postcolonial Studies, sowie die Translationstheorie bewegen würde. Für letztere nimmt er sogar einen „fictional turn“ an, lässt allerdings eingehendere Belege dafür vermissen. Generell fällt auf, dass Babel an die translationstheoretische Perspektive vor allem durch Arbeiten von Sprachphilosophen wie Bachtin, Derrida, Ricoeur, Austin und Steiner anknüpft, während die Arbeiten von Translationswissenschaftlern im engeren Sinne nur vereinzelt rezipiert werden (Nord, Stolze, Störig, Venuti).

Im eigentlichen Fokus der Untersuchung steht nicht die o.g., von Babel selbst etwas unglücklich als solche bezeichnete Arbeitshypothese, sondern die Fragestellung, ob „die Problematik der Übersetzung als metareflexiver Knotenpunkt literarischer Produktion und Rezeption schlechthin gelten“ kann. Etwas unglücklich gewählt ist die Bezeichnung Arbeitshypothese deshalb, weil Babel mit ihr nicht weiterarbeitet, sondern darauf seine eigentliche Fragestellung aufbauen lässt, wodurch beim Lesen einerseits Verwirrung entsteht – was ist denn nun der Untersuchungsgegenstand? – und andererseits ein Status quo in der literaturhistorischen Forschung angenommen wird, für den wiederum keine eindeutigen Belege erfolgen.

Zwar bespricht Babel in seiner Einleitung mit Goethes Faust, Cervantes’ Don Quijote und Heliodors Aithiopika exemplarisch drei Klassiker und bettet seine Überlegungen fundiert in den Fachdiskurs ein. Allerdings erklärt er nicht, warum seine Auswahl auf eben diese drei Werke fällt. So muss als Erklärung ihre Eignung für die Einführung der drei Untersuchungskategorien Hermeneutik, Poetik und Ethik des Übersetzens genügen. Auch die Auswahl der im Hauptteil der Arbeit untersuchten literarischen Werke wirkt eklektisch. Methodisch kann bestenfalls von einem induktiven Ansatz ausgegangen werden, der die Zielsetzung verfolgt, die drei o.g. Fachdisziplinen und Untersuchungskategorien zusammenzubringen, wodurch sich dann diese Auswahl erklären ließe. Ein solcher methodischer Hinweis erfolgt bei Babel jedoch nicht.

Auch die Annahme, „dass immer dann, wenn Übersetzung literarisch dargestellt wird, hermeneutische, poetologische und ethische Aspekte von Anderssprachigkeit zu Tage treten“, bleibt unbelegt. Dadurch läuft der Versuch, Anschluss an den Fachdiskurs zu finden, ins Leere, weil unklar bleibt, wer sich anderenorts mit dieser Hypothese auseinandersetzte und Argumente für ihre Untermauerung fand. Somit wirkt das Unterfangen der Arbeit zirkulär. Der Autor tritt mit dieser Hypothese an seine untersuchten Arbeiten heran, um sie dann wiederum aus dieser Analyse herzuleiten. Letztlich bleibt offen, warum er genau die drei Kategorien Hermeneutik, Poetik und Ethik auf das Übersetzen bezieht, handelt es sich dabei doch nicht um gleichrangige Kategorien, die zudem von Babel nur vage und keineswegs in den Fachdiskurs eingebettet definiert werden.

Kurz zur Struktur der Arbeit: Bereits in der Einleitung erfolgt die Problemfelderöffnung anhand einer exemplarischen Analyse von Goethes Faust, Cervantes’ Don Quijote und Heliodors Aithiopika. Diese Analyse dient zugleich der Einführung der drei Analysekategorien Hermeneutik des Übersetzens, Poetik des Übersetzens und Ethik des Übersetzens. Der Autor geht davon aus, dass alle drei in einer Übersetzung relevant sind, allerdings mit unterschiedlichem Gewicht, sodass sich die drei genannten Einstiegswerke im Schwerpunkt jeweils einer Kategorie zuordnen lassen.

An die Einführung schließen die Lektüren an, in denen, wieder in die drei Kategorien geordnet, zunächst Heinrich von Ofterdingen von Novalis und Der goldne Topf von E.T A. Hoffmann für die Hermeneutik des Übersetzens, dann Pierre Menard, autor del Quijote von Jorge Luis Borges und Diario para un cuento von Julio Cortázar für die Poetik des Übersetzens und schließlich Arrow of God von Chinua Achebe und The thousand autumns of Jacob de Zoet von David Mitchell für die Ethik des Übersetzens analysiert werden. Eine komprimierte Synopsis und Synthese der gesamten Analysen findet in den Schlussbemerkungen der Arbeit statt.

Vielversprechende Ansätze aus der Perspektive der Postcolonial Studies liefert Kapitel 4.4. Unter der Überschrift „Die Romantik der Übersetzung: Zwischen Aneignung und Verfremdung“ stellt Babel anhand der imperialen Verhältnisse zwischen Römischem und Griechischem Reich in der Antike und der aufstrebenden Nationalstaatsbewegung in der Romantik sehr anschaulich dar, in welchem imperialistisch-nationalen Spannungsfeld sich die Art zu übersetzen, sei es aneignend oder verfremdend, bewegt.

Insgesamt birgt die Untersuchung von Reinhard Babel eigentlich großes Innovationspotenzial: Sie eröffnet drei interessante Hypothesen und betrachtet drei durchaus translationsrelevante Kategorien aus der Perspektive dreier verschiedener, jedoch miteinander in Beziehung stehender Fachgebiete: Literaturwissenschaft, Translationstheorie und Kulturwissenschaften (Postcolonial Studies). Leider erfolgt die Verortung in den Fachdiskursen unpräzise: Neues wird als bereits Bekanntes markiert, ohne dass Bezüge auf einzelne Arbeiten, Autoren o.Ä.. hergestellt werden, die Kategorien werden nicht näher erläutert, es fehlen Begründungen, Ab- und Eingrenzungen. Der Eindruck wird erweckt, der Autor knüpfe mit seiner Arbeit an ein bereits sich etablierendes Forschungsgebiet an, dabei sind die wissenschaftlichen Arbeiten dazu eklektisch über die Jahrhunderte versprenkelt und Babel leistet die Pionierarbeit, sie in dieser Arbeit zu bündeln. Auch im Hinblick auf die Zusammenschau der literarischen Werke, in denen Translation fiktional verarbeitet wird, und auf die der Analysen zugrunde gelegten – wenn auch undiskutierten – Vergleichskategorien Hermeneutik, Poetik und Ethik birgt die Arbeit innovatives Potenzial.

Die Lektüre der Arbeit ist deshalb für alle in Literatur-, Kultur- und Translationswissenschaft empfehlenswert, die einen Blick über den eigenen Tellerrand werfen und einen Beitrag dazu leisten möchten, dass sich die Erforschung der Translationsfiktionen als Untersuchungsfeld etabliert. Das Buch liefert zahlreiche Anknüpfungspunkte zur Erweiterung und Vertiefung dieses Felds.

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen

Titelbild

Reinhard Babel: Translationsfiktionen. Zur Hermeneutik, Poetik und Ethik des Übersetzens.
Transcript Verlag, Bielefeld 2015.
418 Seiten, 44,99 EUR.
ISBN-13: 9783837632200

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