Liebe, Glück und Tod und Trauer

Mit ihrem Buch „Trauer ist das Glück, geliebt zu haben“ öffnet Chimamanda Ngozi Adichie den Lesenden eine Tür zu ihrer Trauer um ihren verstorbenen Vater

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wohl noch nie in diesem Jahrhundert war der Tod so allgegenwärtig wie in den letzten beiden Jahren, zumindest in den westlichen Ländern, deren Menschen ihn bis dahin mit einigem Erfolg aus ihrem Leben verdrängt hatten. Angesichts all der Toten, die Covid-19 forderte – und noch immer fordert –, ist das kaum mehr möglich. Eine angemessene Trauer- und Gedenkkultur zu entwickeln, gelang bislang dennoch nicht. Was während der sogenannten Trauergottesdienste in Kirchen und den Bestattungen auf Friedhöfen an längst oft als hohl empfundenen Ritualen abgewickelt wird oder beim anschließenden Leichenschmaus geschieht, kann kaum als solche gelten.

Doch nicht nur im Globalen Norden raffte und rafft die Pandemie die Menschen dahin, sondern ebenso in Ländern, die ihre traditionelle Trauerkultur bewahrt haben. Allerdings hindern die weltweiten Maßnahmen gegen die weitere Ausbreitung der Pandemie die um ihre Lieben trauernden Menschen auch dort allzu oft daran, ihre Verstorbenen zeremoniell zu bestatten oder an den Trauerzeremonien teilzunehmen.

So erging es etwa der nigerianischen Schriftstellerin Chimamanda Ngozi Adichie, der es aufgrund des ausgesetzten Flugverkehrs versagt blieb, von den USA in das westafrikanische Land ihrer Geburt zu reisen und an der Bestattung ihres Vaters teilzunehmen, der 2020 überraschend verstarb. Nur über Zoom konnte sie gemeinsam mit ihren Geschwistern um den Vater trauern und weinen. Ob der 88-Jährige an Covid-19 erkrankt war oder es eine andere Todesursache gab, ist zwar unbekannt, aber auch völlig bedeutungslos. Für die Trauer ebenso belanglos ist, „wie alt er war“. Entscheidend ist allein, „wie sehr er geliebt wurde“.

In einem kleinen Band gewährt Adichie den Lesenden nun zutritt zu ihrer Welt der Trauer. Ihnen eine Tür zu ihr zu öffnen, kann nur einer Schriftstellerin von ihrem Format gelingen, die darum weiß, „wie sehr es bei Trauer um Sprache geht, um das Versagen der Sprache und die Suche nach den richtigen Worten“. Dies nicht nur, ja nicht ein Mal in erster Linie, um sie andern mitzuteilen, sondern zunächst und zuallererst, um sie sich selbst verstehbar, fassbar zu machen.

Auch gelang es nur wenigen ihrer Bekannten und FreundInnen, in den Beileidsbekundungen die richtigen Worte an die Trauernde zu richten. So erzählt Adichie davon, wie sie unter den manchmal floskelhaft wirkenden, oft sicher aber aufrichtig gemeinten Worten des Beileids litt, weil für sie in ihnen „kein Trost [ruhte], sondern Spott, der in Schmerz endet“. Einzig angemessen erschienen ihr die „schlichte[n]“ Worte „Es tut mir leid“. Dies wohl auch darum, weil das Wort Ndo ihrer Muttersprache Igbo sehr viel „tröstlicher“ ist und eine stärkere „metaphysische Kraft“ besitzt als deutsche Formulierungen wie „herzliches Beileid“ oder das blasse englische „I’m sorry for your loss“. Mehr noch als alle Beileidsversicherungen aber trösteten sie „konkrete, unverfälschte Erinnerungen von Menschen, die ihn kannten“.

Adichie erzählt einfach und unprätentiös, fast als säße sie den Lesenden gegenüber und spräche sich rückhaltlos ihre Trauer vom Herzen. Zugleich seziert sie ihr Gefühle, ihre Gedanken und ihr Erleben der Trauer, ohne dabei je von ihnen distanziert zu wirken.

So vermittelt sie etwa gleich zu Beginn die heitere Stimmung eines gemeinsamen Zoom-Gespräches der Geschwister mit ihren Eltern, von dem sie nicht wussten, dass es ihr letztes mit dem Vater sein würde. Auf nur ein, zwei Seiten vollzieht sich die Wandlung dieser Stimmung zum Sturz in den Abgrund der Trauer und Verzweiflung bei der Todesnachricht am nächsten Tag.

Die Verbundenheit ihrer Liebe zu dem Verstorbenen spricht bei all dem aus jeder Zeile des Buches. Die Lesenden mögen Adichies Vater so zwar nicht kennenlernen, das wäre zu viel gesagt, aber sie werden den in seiner Heimat angesehenen Statistikprofessor doch schätzen lernen. Mag „zur Tyrannei der Trauer“ auch „gehör[en], dass sie einem die Erinnerung an die Dinge stiehlt, die wichtig sind“, so gewähren Adichies leichte Anekdoten aus dem Leben ihres Vaters Einblicke in Aspekte seines Wesens. Und sind es nicht zuletzt auch gerade die Erinnerungen an sie, die wichtig sind. 

Adichie selbst sind die in der Igbo-Kultur als notwendig erachteten Rituale und traditionellen Gepflogenheiten nach dem Tod eines nahen Verwandten zwar gleichgültig, doch zugleich empfindet sie, dass sie es ihr nicht sein dürfen, da sie ihrem Vater wichtig waren. Als aber ihre Mutter dem Igbo-Brauch folgen will, sich kahl scheren zu lassen, wie es ihre Tradition von Witwen nach dem Tod ihres Mannes verlangt, protestiert Adichie als Feministin doch, weil „niemand Männer kahl schert, wenn ihre Frauen sterben: niemand zwingt Männer, tagelang einfache Gerichte zu essen; niemand erwartet, dass die Körper von Männern Spuren ihres Verlustes aufweisen müssen“.

Angesichts der herrschenden Verwirrung um die mögliche Öffnung der nigerianischen Flughäfen kritisiert Adichie die „Inkompetenz“ der nigerianischen Behörden und Institutionen nicht weniger scharf. Sie sei „schillernd, weit verbreitet, rührend, verdorben in ihrem bösen Glanz. Die Enttäuschung über mein Geburtsland ist eine Konstante in meinem Leben.“ So ist dieses Buch der persönlichen Trauer auch ein politisches.

Doch vor allem drückt Adichie mit ihm nicht nur das „Bedürfnis“ aus, ihren „Verlust zu verkünden, sondern auch die Liebe, die Kontinuität“. Dies sei „ein Akt des Widerstands und der Verweigerung, die Trauer sagt dir, dass es vorbei ist, und dein Herz sagt, dass es das nicht ist, die Trauer versucht, deine Liebe vergangen zu mache, und dein Herz sagt, dass sie gegenwärtig ist“. So ist Trauer im Grunde auch nicht das Glück, geliebt zu haben, sondern zu lieben. Die Lesenden halten daher ein Buch über die Trauer ebenso wie über die Liebe in der Hand. 

Titelbild

Chimamanda Ngozi Adichie: Trauer ist das Glück, geliebt zu haben.
Aus dem Englischen von Anette Grube.
S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2021.
64 Seiten , 16,00 EUR.
ISBN-13: 9783103971187

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