Nebenbei bemerkt?

„Keine Gesänge aus dem Elfenbeinturm“ versammelt kleine Reflexionen von Albrecht Schöne

Von Thorsten PaprotnyRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thorsten Paprotny

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Vor allem mit Arbeiten zu Johann Wolfgang Goethe wurde der Göttinger Germanist Albrecht Schöne, geboren 1925, weit über sein Fach hinaus bekannt. Keine Gesänge aus dem Elfenbeinturm, zusammengestellt von Ulrich Joost und Thedel von Wallmoden, gewährt auch Einblicke in die Lebensgeschichte des Gelehrten. Gesammelt werden, so ließe sich mit Arthur Schopenhauer sagen – „Parerga und Paralipomena“. Doch das wäre unangemessen, denn Schöne ist weder ein orakelnder Pessimist noch tritt er als grüblerischer Weisheitslehrer mit einem bunten Strauß an philosophischen Sentenzen auf. Also sei Schopenhauer außen vor, zumal Schöne sich theologisch nicht nur als schriftkundig erweist, sondern auch ein bekennender Christ ist. Kleine Schriften, die zuweilen fast anmuten, als seien diese nebenher entstanden, sind unter einem Titel publiziert worden, der das Selbstverständliche benennt: Oder hätte irgendjemand von Schöne, so bodenständig wie geistreich, wirklich „Gesänge aus dem Elfenbeinturm“ erwartet?

Leidenschaftliche Sorge um Sprache und Literatur kennzeichnet ihn – ob er Goethe oder die Bibel liest, ob er Martin Luthers Deutsch würdigt oder die forciert betriebene Nivellierung der Gegenwartssprache kritisiert. Selbst Matthias Claudius’ Abendlied werde neudeutsch-geschwisterlich modifiziert. Respektlosigkeiten wie diese erregen ihn. Der 2015 in einem lutherischen Gottesdienst in Berlin dargebotene Text lautet: „So legt euch, Schwestern, Brüder, In Gottes Namen nieder, kalt ist der Abendhauch.“ Schöne empört sich über diese „schwachsinnigen Umdichtungen“: „Man muss das ja nicht gleich als eine inzestuöse Aufforderung beim Wort nehmen. Aber ungehörig bleiben dergleichen Eskapaden der Gender-correctness allemal.“

In dem Band memoriert Schöne auch eigene Erfahrungen aus der NS-Zeit. Der Oberfähnrich hatte hinreichend Zeit „auf Hitlers Waffenschule“ zugebracht. Er erinnert sich an die von den Nazis verbotene, 1932 erschienene Geschichte des Nationalsozialismus Konrad Heidens. Der Autor hatte hellsichtig die Partei und NS-Bewegung vor der Machtergreifung analysiert, ahnungsvoll, aber sachkundig, wissenschaftlich gemäßigt im Ton. Heiden wusste noch nichts von der Kriegstreiberei und vom Holocaust, wie sollte er auch. Aber die rabiate Sprache und den Machtwillen erkannte er. Ins Allgemeine gewendet bemerkt Schöne: „Was eine Lektüre bewirkt, hängt halt nie allein am Wortlaut des Textes; bleibt der sich auch gleich, liest man ihn doch anders zu anderen Zeiten.“ Darum liest Schöne, darum lesen wir mit ihm alte Texte immer wieder, immer wieder neu, erkennen, sehen anders und begreifen manches spät, von dem wir früher nichts oder nur wenig ahnten. Der Leser altert, er geht neu und anders auf den Text zu, der ihn begleitet.

So berichtet Schöne auch von der Zeit, als er an der Jerusalemer Universität lehrte. Er trug vor über Bertolt Brecht und Kurt Weill, erzählte vom Jahr 1930. Schöne hatte aufmerksame Zuhörer vor sich, junge Studenten, inmitten dieser auch alt gewordene Einwanderer: „Da redete ich also über die von Kurt Weill vertonte Brechtsche Schuloper ‚Der Jasager‘ und erzählte, daß sie 1930 uraufgeführt worden war von der Karl-Marx-Schule in Neukölln und nach einer Diskussion mit diesen sehr kritischen Schülern umgearbeitet wurde – als plötzlich ein älterer Herr einfiel mit den Worten: ‚Ich war dabei!‘“

Der Band enthält außerdem eine philologisch-geistliche Betrachtung zum Johannes-Evangelium – zu Ehren des protestantischen Theologen Eberhard Jüngel erarbeitet, vorgelegt und vorgetragen. Er sagt zu Beginn, die „hohe Geistlichkeit“ wie die „Gottlosen“ hätten einen „mächtigeren Botschafter“ verdient: „Einen schweren Gang tue ich da wohl, weiß mich Ihrer Nächstenliebe jedenfalls in Form von Nachsicht bedürftig.“ Souverän indessen spricht Schöne über die Formen der Sprache und Schriftlichkeit, über die hellenische Kultur und die „semitische Mundart eines abgelegenen Erdwinkels“. Er äußert sich zu Übersetzungen und zur Sprachkunst. Auch den „Dolmetscher Luther“ würdigt er. Die Worte des Neuen Testaments bedurften der „Zwischenverstärker“. Er sucht nach Verständnis, nicht pastorale Erbauung. Hohe, weil lichtreiche Theologie ist die Reflexion über Simon Petrus: „Ebender, von dem das Matthäusevangelium doch gesagt, dass Jesus auf ihn wie auf einen Felsen seine Kirche bauen wolle, gibt sich da als ein ziemlich erbärmlicher Feigling zu erkennen, als ein schwankendes Rohr jedenfalls – sehr wohl als unser aller Stellvertreter.“ Mit Jüngel hegt er auch ökumenische Gedanken, mit ihm verzichtet er auf spröde kirchenpolitische Statements. Über das himmlische Vaterhaus sagt er: „Einige Wohnungen möchten nach Weihrauch duften, aber nicht alle. In manchen könnten uns die Engelchöre vielleicht durch gregorianische Gesänge, in anderen etwa durch Bachsche Kantaten beseligen.“ Für das neue geistliche Lied scheint der nachdenklich wie heiter gestimmte Germanist kein Obdach in fernen Himmeln vorzusehen. Aber auch für jene Stimmen gäbe es vielleicht irgendeine Nische droben.

Der nur um wenige Jahre jüngere Literaturwissenschaftler Harald Weinrich würdigt 1983 – auch dieser Text ist abgedruckt – Albrecht Schönes Arbeiten. Er schreibt, dass dieser sich nicht scheute, mitten in Berlin, in der aufgewühlten 1968er-Zeit, die doch Politisches, Allzu-Politisches erwartete, über Goethes Wolkenlehre zu sprechen: „Er wollte wirklich von den Wolken reden, mit Goethes Augen Wolken sehen lernen und auf diese Weise Goethes Augenkunst zur Anschauung bringen: ein herrliches Stück germanistischer Philologie, dargeboten ihren tobenden Verächtern.“

Was Schöne in den langen Jahren seiner Tätigkeit geschrieben hat, zeigt Ulrich Joost in Form einer sorgfältigen, umfangreichen Bibliografie, von dessen Anfängen an bis 2015. Von Schöne, 1990 in Göttingen emeritiert, lässt sich vieles lernen – er war und ist bis heute ein souveräner Stilist, nicht aber ein Artist, kurzum: ein Gelehrter, der genau weiß, was er sagt, wovon und zu wem er spricht. Keine Gesänge aus dem Elfenbeinturm lädt ein, Schönes Werke zu entdecken und mit ihm die Schönheit der vielfarbigen deutschen Literatur.

Titelbild

Albrecht Schöne: Keine Gesänge aus dem Elfenbeinturm.
Herausgegeben von Ulrich Joost und Thedel v. Wallmoden.
Wallstein Verlag, Göttingen 2015.
87 Seiten, 9,90 EUR.
ISBN-13: 9783835318069

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