Die Appropriation der Männlichkeit

Die Singer-Songwriterin Tori Amos veröffentlicht mit „Widerstand“ ein Buch mit Anekdoten, Gedanken und Songtexten

Von Sascha SeilerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sascha Seiler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Tori Amos gehört zu den seltenen Musiker*innen, die einen übergreifenden Reiz auf verschiedenartige Typen von Rezipienten auslösen, und das, gerade weil sie sich als feministische Songwriterin und Performerin begreift, die gleichzeitig an die transzendentale Kraft der Kunst glaubt. Statt Granzen einfach niederzureißen, gelingt es ihr vielmehr, ihren Sinn grundsätzlich in Frage zu stellen. Sie ist, auch wenn das im ersten Moment seltsam klingt, eine sehr maskulin geprägte Songwriterin und eine feminine Performerin; in der Rockgeschichte ist sowas äußerst selten. Schaut man sich ihr Werk an, ist dieses Spiel mit Rollenklischees jedoch nicht von der Hand zu weisen, was man in erster Linie auch an ihren Coverversionen ablesen kann.

Schon früh veröffentlichte sie begleitend zu ihrem ersten Album (den frühen Hairmetal-Versuch Y Kant Tori Read ignorieren wir hier jetzt mal geflissentlich) eine EP mit Coverversionen des Led Zeppelin-Songs „Thank You“ sowie des damals omnipräsenten Nirvana-Hits „Smells Like Teen Spirit“, was der noch lebende Kurt Cobain und seine Bandkollegen mysogyn-lästerlich abtaten. Doch dieser Transformationsprozess von der archetypisch männlichen Rocksprache, die sie erst gar nicht unter den Tisch kehren wollte, in etwas, das sie als weibliche Perspektive bezeichnete, war ihr von Anfang an ein zentrales Anliegen als Performerin. Nach eigener Aussage fing sie mit der Musik an, weil Robert Plant sie sexuell erregt hatte, und fand so einen Weg weg von der ihr aufoktroyierten Klassik hin zur schummrigen Männerweilt der‚ Rockmusik, was ihr Priestervater zunächst mit gemischten Gefühlen gesehen hat, sie dann aber doch unterstützte. Später, 2001, erschien ihr Album Strange Little Girls, auf dem sie ausschließlich Songs von Männern interpretiert, teils recht gewaltvolle Stücke wie „’97 Bonnie & Clyde“ von Eminem oder gar „Raining Blood“ von Slayer sucht sie mit noch größerer Intensität ab nach den Bruchstellen bei der Romantisierung männlicher Gewalt. Das wird vielleicht in einem Stück wie Tom Waits‘ „Time“ mit seiner Matrosenromantik sogar noch augenfälliger als bei dem ursprünglich standesgemäß brachialen Thrash-Metal-Song von Slayer. Mit dieser Appropiation männlicher Songs macht sie jedoch nur ihr eigenes Werk transparenter, denn Amos‘ Einflüsse liegen eben nicht nur bei Joni Mitchell, Kate Bush und ähnlich gelagerten Singer-Songwriterinnen, sondern vor allem bei Männern (Kate Bush ging zwischendurch einen ähnlichen Weg, man höre sich nur mal The Dreaming an).

Im Prinzip sind solche Dichotomien auch nicht wichtig, es steckt ja schließlich letztlich alles im Song und seiner Performance, doch wie uns Tori Amos in ihrem zweiten Buch Widerstand (nach einem Gesprächsband mit Ann Powers, der vor einigen Jahren erschien) offenbart, ist ihre künstlerische Karriere voller Stolpersteine und Lernprozessen gewesen. Das Buch ist – leider, möchte man an vielen Stellen sagen – eine lose Aneinanderreihung von Anekdoten aus ihrem künstlerischen und privaten Leben. Es geht um ihre Anfänge als Musikerin, als ihr Vater sie als Teenagerin in Politikerbars in Washington D.C. auftreten ließ, was, so Amos heute, ihre gesamte Karriere, vor allem aber ihre Durchhaltekraft begründete. Es geht aber auch um die Musen, die in besonderen Augenblicken ihr die Lieder schenken, die sie sich trotzdem hart erarbeiten muss: Nach 9-11, als sie in New York gestrandet war. Nach dem Tod ihrer Mutter im Jahr 2019 (der eigentliche Anlass für dieses Buch). Und nach anderen kleineren und größeren Tragödien. 

Diese Anekdoten werden unterbrochen von zahlreichen Songtexten, und zusammen ergeben sich daraus Geschichten. Wenn man Tori Amos nicht kennt, noch nie ein Interview mit ihr gehört hat oder ein Konzert von ihr besucht und dabei ihren Anekdoten zwischen den Songs gelauscht hat, mag man etwas befremdet von ihrer Mischung aus Esoterik und schwarzem Humor sein, dieser Mixtur aus eindringlicher Ernsthaftigkeit und mitunter obszöner Ironie, mit der sie ihre Geschichten ausschmückt. Ihr Klavier und ihre Songs werden seit jeher personalisiert und mit der weiblichen Attributivform versehen. Sie spricht gerne übe die Musen, die sie stets heimsuchen, über ihr animistisches Weltbild, ist dabei aber stets ernsthaft und selbstironisch zugleich, das verwirrt viele Menschen, die sie gerne in die Schublade der fragilen Singer-Songwriterinnen stecken würden, die in den 1990er Jahren plötzlich sehr populär wurden. Man kann sich tatsächlich lange und ernsthaft mit ihr über die Fabelwesen unterhalten, die das britische Cornwall bewohnen, wo Amos seit vielen Jahren wohnt. Manche halten sie für verrückt, andere halten das Verhalten für Attitüde, tatsächlich ist sie aber ein freundlicher, normaler Mensch, der seine Kunst sehr ernst nimmt. Und das zeigt sie auch in diesem Buch. Es mag bisweilen etwas wirr und chaotisch daherkommen und hätte vielleicht einer selbstbewussteren Lektorin bedurft, aber das Zusammenspiel aus Songtexten und Geschichten funktioniert letztlich sehr gut und ist gerade für Anhänger ihrer Kunst ein großes Vergnügen. Aber auch andere sollten versuchen, sich von dieser höchst originellen Künstlerin verzaubern zu lassen.

Titelbild

Tori Amos: Widerstand. Hoffnung, Wandlung und Mut.
Aus dem Englischen von Alan Tepper.
Hannibal Verlag, Wien 2020.
272 Seiten , 20,00 EUR.
ISBN-13: 9783854456926

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