In der Einsamkeit das Leben wiederfinden

Der Kriminalschriftsteller Friedrich Ani legt mit „Im Zimmer meines Vaters“ einen bemerkenswerten Gedichtband vor

Von Thorsten SchulteRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thorsten Schulte

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Friedrich Ani ist eigentlich Kriminalschriftsteller. Wer sich zu Vorurteilen hinreißen lässt, wenn sich ein Kriminalschriftsteller als Gedankenreisender in die Welt der Lyrik begibt, wird von Anis neuem Gedichtband Im Zimmer meines Vaters überrascht werden. Seine Gedichte sind schwungvoll, sprachspielerisch, pointiert und auch politisch. Sie handeln von Alltagsempfindungen und Beobachtungen, von Spurensuchen, von „Ausschau nach ihr“ und Besuchern. In den Gedichten finden sich Abstand und Nähe, Schatten und Kindheitserinnerungen – Erinnerungen an Wunden, „Weltenrand“ und Nordseestrand. Ani schaut aus seinem Zimmer in die Leere. Er lauscht in die Weite, in einen von ihm geliebten „eisigen/ Wind“ und ist sich der Gefahren der Einsamkeit bewusst.

„Vom Getrenntsein“ schreibt Ani. Er versteht die Trennung nicht, das lyrische Ich weint um sein Leben und fragt, warum es so leide: „alles ist eins.“ Als Echo schallen Zweifel und Verzweiflung eines Liebenden zurück und finden ihren Platz in berührenden Zeilen. Ein flehender Ausruf, dass die Liebsten doch stets geehrt und beschützt wurden, bleibt hernach ungehört. Die Entscheidung der Trennung, die im Gedichtband mehrfach widerhallt, ist längst gefallen. Auf Trennung folgt Vermissen. Versuche neuer Annäherung führen anschließend zu einem noch stärkeren Empfinden von Einsamkeit. Obgleich das lyrische Ich fast sein Leben für den geliebten Menschen gab, wendet sich das Gegenüber ab. Dreimal fragt es, warum – und findet keine Antwort. Erlösung erhofft sich das lyrische Ich, wenn es „dich“ nicht mehr sieht. Auch wenn sich viel Einsamkeit in den Gedichten findet, so ist es doch das Ziel der Zeilen, das Leichte im Leben wieder zu erkennen. In der Schwäche findet sich neue Kraft, die Phönix-gleiche Stärke des Alleingelassenen. Die aufkeimende und sich ausbreitende Leichtigkeit spiegelt sich im ungezwungenen Rhythmus der Verse wider. Das lyrische Ich spricht sich Mut zu: „Wird schon wieder,/ muss doch werden, niemand/ ist nichts, ein jeder ist/ ein Licht auf Erden.“

Friedrich Ani wurde 1959 als Sohn eines Syrers und einer schlesischen Vertriebenen in Kochel am See geboren. Ein solitärer Block ist ein dem Gedichtband den Titel gebender Zyklus aus 19 Gedichten über den verstorbenen Vater des Dichters. Als „Sohn des Sandes“ und „Kind Mesopotamiens“, der „halbeinheimisch, habilitierter/ Doktor“ sei, bezeichnet er seinen Vater. Der Leser darf sich ihm nähern, Ani gewährt ihm einen Blick „unters Gerümpel im/ Abteil deiner Seele, das nie ein Mensch betrat, so nah/ er dir auch kam“. Es entsteht ein Bild aus gewollter Distanz, kindlichem Erschrecken und Schweigen. Dieses stand oft zwischen Vater und Sohn, die es nicht wagten, Gefühle zu zeigen. Der Vater sprach nicht über den syrischen Bürgerkrieg und verschwieg „die Wunden alle, welche in dir nagten“. Und so richtet er Worte über jene, die heute in Deutschland „Besorgnis“ und „Not zum Ausdruck bringen“, an den Vater; Ani erzählt ihm von den besorgten Bürgern: „Bürger mit/ geborgten Hirnen“, die die „Schlafstatt von/ verrückt gebombten Kindern“ anzünden und, sich betrinkend, über „die Ungewaschnen mit der falschen Haut“ schimpfen. So begibt sich Ani auf das Terrain der aktuellen Tagespolitik und ruft in einem illokutionären Akt aus: „wir jagen niemand zurück/ zum Tod im Leichenbasar./ Welt heißt Asyl./ Geburt heißt Asyl.“ Mit Blick auf den entschlafenen Vater, der „fremd/ im traumlosen Land“ gewesen sei, resümiert der Dichter melancholisch: „wir haben dir/ alle nicht ein einziges Mal zugehört“.

Im Zimmer meines Vaters ist ein bemerkenswerter Gedichtband. Aus dem Zusammenspiel von Inhalt, Klang und Rhythmus entwickelt sich Nähe in Versordnung. Der Leser ist immerfort damit beschäftigt, die semantisch schwingenden Verse auf die eigene Lebenserfahrung zu beziehen. Es ist sowohl die spürbare Nähe zur Stunde des Todes als auch das intensive Empfinden einer Freude, die der Angst vor der Vergänglichkeit und der Einsamkeit ihre Grundlage entzieht. Der scheinbare Gegensatz wird aufgehoben. Wegen jener Dichotomie aus Melancholie und Leichtigkeit ist Im Zimmer meines Vaters ein lebensbejahender und freudiger Gedichtband. Es lohnt sich, sich auf die Reise einzulassen, mit Ani tief durchzuatmen und das tauende Eis zu spüren.

Titelbild

Friedrich Ani: Im Zimmer meines Vaters. Gedichte.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2017.
136 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-13: 9783518467992

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