Kitsch mit Katze
Hiro Arikawas „Satoru und das Geheimnis des Glücks“
Von Lisette Gebhardt
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseSeit einigen Jahren hat der deutsche Buchmarkt Titel aus Japan entdeckt, die nicht der japanischen Literatur zuzurechnen sind, die bislang übersetzt worden ist: Die aus dem Kanon der sogenannten reinen Literatur stammenden Werke renommierter Künstler und Denker wie Kôbô Abe, Kenzaburô Ôe, Yoshikichi Furui oder Yûko Tsushima repräsentieren die landeseigene Intelligenz und den Typus des poeta doctus, der prägend für die Literatur nach 1945 war. Haruki Murakami und Banana Yoshimoto bilden als „Kultautoren“ der 1980er Jahre frühe Ausnahmen in der westlichen Rezeption gegenwärtigen japanischen Schreibens – man begriff die innovative Avantgarde als „Postmoderne“.
„Neue Literatur“ aus Japan umfasst heute zum Beispiel „herzzerreißende Liebesgeschichten“, wie es auf dem Klappentext der Übersetzung von Kyôichi Katayamas Das Gewicht des Glücks (2007) heißt. Es sind Erzählungen, die man auch als Trivial-, Massen- oder Schemaliteratur bezeichnen kann, will sagen, sie sind allgemein verständlich und leicht zu erfassen, sodass sie, wie es in den Definitionen heißt, den Erwartungen einer möglichst großen Leserschaft nicht zuwiderlaufen – etwa durch sprachästhetische Experimente oder philosophische Tiefe.
Als Bestseller, die in englischer Übersetzung im anglophonen Raum schon ein Publikum fanden, erregen die neuen Texte die Aufmerksamkeit ausländischer Buchscouts auf der Suche nach global gängigem Content. Versehen mit der entsprechenden Werbeprosa durch die Redaktionen der Verlage, neudeutsch wording, greifen Leser zu – ungeachtet dessen, dass die Autoren aus Japan zunächst unbekannt sind. Wichtig sind die „großen Themen“: Lovestories, Familie, Krieg, Kriminalität, Tod oder – Katzen. Hiro Arikawas Satoru und das Geheimnis des Glücks besticht eben durch den Tiercontent. Familie und Sterben werden zusätzlich thematisiert. Insofern gemäß der Verkaufslogik wohl eine ideale Kombination. Für Kenner der japanischen publizierenden Szene stellt der Bericht einer reisenden Katze vielleicht die 2000er-Version dessen dar, was in den 1990er Jahren in Japan als tobyôki bekannt war – eine Aufzeichnung vom Kampf gegen eine tödliche Krankheit.
Von Kindern und Tieren
Erzählt wird Satorus Geschichte abwechselnd aus der dritten Person und der Katzensicht. Nana ist ein Streuner, den Satoru bei sich aufnimmt, um das bei einem Autounfall verletzte Bein des Feliden zu kurieren. Fünf schöne Jahre verbringen die beiden dann, bis Satoru sich in seinem Wagen auf den Weg macht. Begleitet vom treuen Kater trifft er in drei Stationen alte Freunde wieder und erinnert sich an prägende Erlebnisse der Kindheit, Adoleszenz und Studienzeit. Aus den Schilderungen ergibt sich allmählich ein Bild von Satoru als das eines unkomplizierten Sohnes und aufrichtigen Freundes, tierlieb und intelligent. Als seine Eltern Opfer eines Unfalls werden, muss er sich von seiner damaligen Katze, dem geliebten Kater Hachi trennen. Der Junge wächst bei Tante Noriko auf, einer eher spröden Juristin, die im Laufe ihrer Karriere mehrmals umziehen muss, was für Satoru immer wieder Abschied und Neuanfang bedeutet.
Satorus Welt besteht in erster Linie aus der Beziehung zu seinem jeweils besten Freund und zu Hachi. Die Kinder sind, wie man im Laufe der Erzählung lernt, dem engmaschigen Kontrollnetz und dem Gutdünken der Erwachsenen ausgesetzt, die meist ihre eigenen Interessen verfolgen und auf die kindlichen Wünsche kaum eingehen wollen. Menschlicher als die in ihren Grenzen agierenden und Grenzen setzenden Eltern und Lehrer erscheinen hier die weisen, einfühlsamen und freien Katzen, weshalb Satoru sich wohl so zu den felligen Gefährten hingezogen fühlt. Natürlich gibt es auch verständnisvolle menschliche Großmütter im Stadium eines normenbefreiten Alters. Während die Erwachsenenwelt als starres Gefüge erscheint, nimmt der früh vollendete Charakter Satoru die Natur als die bessere Realität wahr. Zeichen für das vitalistisch-transzendente Moment der natürlichen Umgebung sind die von den Kindern freudig geernteten Feldfrüchte sowie der eindrucksvolle Regenbogen, dessen der Held und sein Kater unterwegs ansichtig werden.
Happy in den Tod. Ein 3.11-Ratgeber?
Die Reise in den Norden ist eine Abschiedstour. Der Protagonist überlebt das letzte Kapitel nicht. Ganz am Ende ist auch der bei der alten Richterin untergekommene Kater schon etwas müde und lebenssatt. Er hat nichts dagegen, bald bei seinem Freund in der anderen Welt zu sein – gelegentlich unterhält er sich mit ihm auf einer Wiese, auf der Satorus Geist in Erscheinung tritt.
Etliche Passagen des Texts betonen im letzten Abschnitt, welch erfüllte Zeit auf Erden dem Tierfreund zuteil wurde. Ausführlich finden sich das Wohlwollen der Umgebung dem Kranken gegenüber sowie sein endgültiger Abschied dargestellt. Tränen garantiert. Nicht völlig unbeachtet sollte in diesem Zusammenhang bleiben, dass Arikawas Entwurf vom glücklichen Tod, den ein Individuum in einem mehr oder weniger intakten Kollektiv erfahren darf, nach der Dreifachkatastrophe von Fukushima entstand und deshalb der Post-Desaster-Literatur (shinsaigo bungaku) zuzuordnen wäre. Publizistisches Ziel der Post-Desaster-Literatur ist es, nationale Narrationen als Trost- und Aufbautexte für ein verwundetes Land im Krisenzustand zu verfassen. Ein prototypisches „3.11-Werk“ ist Banana Yoshimotos Beitrag Lebensgeister, eine Erzählung aus dem Jahr des Unglücks, in der ebenfalls nie von den Ereignissen des 11. März 2011 die Rede ist, die sich aber intensiv dem Thema widmet, wie man sich mit den erlittenen Verlusten versöhnen kann.
Die Schilderung eines idyllischen Jenseits und der Aussicht auf ein stimmungsvolles Geisterdasein hilft, Hoffnung dahingehend aufkeimen zu lassen, dass der Abgang des Menschen (und des Feliden) möglicherweise doch nicht das nackte Nichts bedeutet. Letztlich federt die Autorin den frühen Krebstod des Protagonisten noch etwas schnöde mit der Offenbarung ab, Satoru sei ein halbes Waisenkind gewesen, das seine Mutter nach der Geburt im Stich ließ – das heißt, dass die Zeit, die er hatte, demnach ohnehin eine gestundete gewesen sei. Die am Ende trotz dieser pragmatischen Einschätzung reichlich forcierte emotionale Agenda bringt das Buch in die Nähe eines Rührstücks.
Sicher bekommt der an sich nicht unsympathische „Kater“ manche Pressekritik, in der man nicht zögern wird, den Roman mit Kommentaren wie „ein wunderbar kluges Buch“, „regt ein bisschen zum Denken an“ oder „stellenweise poetisch“ zu charakterisieren – was für einen literarischen Text und einen Liebhaber von Sprache und Literatur ein vergiftetes Lob sein muss.
Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen
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