Balzacs Journalistenschelte

Mit zoologischem Blick karikiert der Romancier Akteure der aufkommenden Massenpresse

Von Bernd BlaschkeRSS-Newsfeed neuer Artikel von Bernd Blaschke

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Honoré de Balzac ist vor allem als meisterhafter Erzähler, als fantasiebegabter Realist und Schöpfer des riesigen Figurenkosmos seines monumentalen Romanzyklus der Menschlichen Komödie berühmt. Doch wirkte der Schnellschreiber auch als Journalist und zudem, wie nun erstmals umfassend auch auf Deutsch unter dem Titel Von Edelfedern, Phrasendreschern und Schmierfinken. Die schrägen Typen der Journaille zu erkunden ist: als harscher Kritiker des Journalismus. Denn Balzac lebte im Zeitalter der aufkommenden Massenpresse. Für die auch er bald arbeitete und die seine Romane teilweise rabiat attackierte – und die er wiederum in einer bis zur Karikatur zugespitzen Weise kritisierte. Das Jahr 1836 markiert mit Gründung der Tageszeitungen „La Presse“ und „Le Siècle“ eine neue Medienepoche. Denn hier begann mit dem Übergang von vormals sehr teuren, elitären Druckerzeugnissen zu deutlich günstigeren Zeitungsabonnements für ein breiteres Publikum ein neues Zeitalter der Massenmedien.

Balzacs Beschäftigung mit dem Journalismus erfolgte über mehrere Stufen. Nach den polemischen Scharmützeln seiner eigenen Journalistik und den kritischen Attacken auf seine Romane folgte mit seiner nun endlich auf Deutsch zugänglichen Typenlehre der Pariser Presse 1843 eine grundsätzlichere, von konkreten Tages- und Literaturereignissen weitgehend abgehobene satirische Analyse des Zeitungsbetriebs. In seinen Romanen reagierte der Meistererzähler ebenfalls auf den Aufstieg dieser neuen Berufsgruppe, die während seiner Lebenszeit immer bedeutender und einflussreicher wurde. Manche sahen im Journalistenplot seines dreiteiligen, von 1837 bis 1843 entstandenen literarischen Meisterwerks Les Illusions perdues (Verlorene Illusionen) vor allem eine Reaktion auf die journalistischen Kritiken an seinem früheren Roman Ein Landarzt. Auch in Balzacs etwa zur gleichen Zeit geschriebenen Roman La Muse du Départment wird journalistische Korruption aufs Korn genommen.

In seiner Typenlehre der Pariser Presse verwendet der Autor, wie in einigen seiner weiteren frühen Großessays (etwa über Schuldner und Gläubiger oder über das elegante Leben) das Verfahren der zoologisch morphologischen Typisierung: eine an naturwissenschaftlichen Klassifizierungen orientierte, ordnend stilisierende Methode, die auch in den Menschen- und Milieuschilderungen seiner Romane zum Einsatz kommt.

Wie aber haben wir diese ziemlich scharfzüngige Satire auf die Berufsgenossen der Zeitungsschreiber zu verstehen? Als Zeugnis des Selbsthasses des Journalisten Balzac? Als Abgrenzung des Romanciers als Künstler von den Bloß-Journalisten? Als Rache an seinen Kritikern? Vermutlich eine Mischung aus alledem. Welche Typen profiliert, beschreibt oder erfindet der begnadete Charakterologe Balzac nun in seinem Pariser Presse-Zoo?

Er untergliedert die Tagesschreiber (denn das bedeutet Journalist ja im Wortsinne) in acht Gattungen von Publizisten, zudem in fünf Gattungen von Kritikern. Als Publizist werden vor allem die politisch berichtenden und operierenden Autoren verstanden, als Kritiker hingegen die Rezensenten und Feuilletonisten. Zwar zeigen sich auch die Kritiker als Kulturberichterstatter korrumpierbar, doch werden zuerst und vor allem die Publizisten als überaus interessierte und parteiische Beobachter vorgeführt und ihre Verstrickungen in die politische und ökonomische Sphäre decouvriert. Die systematische Bestechung der Journalisten durch die Regierung wird vom Typen des regierungstreuen Tenor verkörpert. Die Parlamentsreporter verzerren je nach parteilichem Standpunkt ihres Blattes die Reden der Abgeordneten in stereotyper – und dadurch karikierbarer – Manier. Diese sogenannten Kämmerlinge wirken im Parlament zugleich als Zuträger und Claquere der Politiker.

Dabei diene der Journalismus generell kaum je einer politischen oder künstlerischen Sache, sondern stets der eigenen Karriere. Viele ehrgeizige Junge benutzten die Publizistik nur als Einstieg und Mittel zu höheren, besser bezahlten politischen oder wirtschaftlichen Ämtern. Balzac überschreibt seine bis zum Zynismus giftigen kurzen Beobachtungsabschnitte immer wieder mit Bonmots, die ironisch als „Grundsätze“ überschrieben werden. Diese epigrammatisch zugespitzten Maximen verkünden etwa: „Je weniger Gedanken man hat, desto leichter erhebt man sich.“ Heute wieder aktuell klingt Balzacs überraschende, frühe Klage, dass sich die Zeitungen statt eines eigenen Netzes von Auslandskorrespondenten, von denen es früher (angeblich) mehr gab und die es gelegentlich fast bis zum Botschafterposten brachten, nun die Presseagentur Havas die internationale Berichterstattung dominiere. Die Havas als 1835 gegründete Vorläuferagentur der afp (Agence France Presse), als deren Nachfolgeunternehmen noch heute ein wichtiges französisches Werbeunternehmen firmiert, verkaufte damals ihre Auslandsnachrichten den Redaktionen, wobei das Recht zur Erstveröffentlichung extra bezahlt werden musste.

Die zweite Journalistengruppe, die Kritiker gemäß Balzacs Klassifikation, die man heute als Kulturjournalisten bezeichnen könnte (diesen Begriff gab es damals noch nicht) werden von ihrem Typologen, der Einbildungskraft und Fantasie im Übermaß besaß, als verhinderte Schöpfer und als impotente Haremswächter denunziert. Sie hätschelten das Mittelmaß, da es ihnen gleiche. Dem Typ des Feuilletonisten wird vorgeworfen, die ernsthaften Bücher und vollendeten Kunstwerke mit Desinteresse zu strafen. Wohingegen jedes fabrikmäßig hergestellte, kleinkünstlerische Vaudeville oder Varieté seine Aufmerksamkeit findet. Diese Fehlfokussierung aufs Wertlose passiere nicht zuletzt, weil die Kritiker nur zu gern mit ihren Geliebten bei den Premieren in den Logen herumlungern – nur um dann noch darüber zu klagen, dass diese Premieren stetig zunehmen.

Trotz dieser harschen, satirisch zuspitzenden Kritik an den Theater- und Literaturkritikern ist sich der Großromancier, der als Jugendlicher mit seiner Familie aus Tours nach Paris kam und dort Karriere machte, der eminenten Qualitäten der französischen Kapitale und der konkurrenzlosen Ausstrahlung ihrer Publikationen bewusst:

Das Feuilleton ist eine Schöpfung, die nur in Paris gedeiht und nur dort bestehen kann. In keinem anderen Land fände man diesen Überschwang des Geistes, diesen Spott in allen Tonlagen, die sinnlos verschleuderten Reichtümer an Verstand, diese menschlichen Existenzen in Raketenform, einer wöchentlichen und gleich wieder vergessenen Parade geweiht.

Balzacs polemische Abrechnung mit dem expandierenden Zeitungswesen gewährt heutigen Lesern viele Einblicke in die historische Situation des Journalismus – wobei man gut daran tut, stetig daran zu erinnern, dass es sich um Aussagen in einem polemogenen Feld handelt. Die Behauptungen dürfen folglich nicht einfach für bare Münze genommen werden, da durch die satirische Brille so manches verzerrt vermittelt wird. Ebenfalls übersetzt und in das Manesse-Bändchen aufgenommen wurde eine Erwiderung auf Balzacs bissige Journalisten-Typologie durch Jules Janin. Dieser hält Balzacs Angriff auf das tugendlose Gewerbe für verfehlt und weist zu Recht daraufhin, dass der Autor, doch selber ein prächtiges und produktives Journalistenleben führte:

Es empört einen schließlich, dieser ständigen Herabsetzung einer Kunst beizuwohnen, die von den größten Politikern dieses und des vergangenen Jahrhunderts in Ehren gehalten worden ist: mit der sich Mirabeau die Ehre gab, auf die Chateaubriand stolz war. Es tut weh, zuzusehen, wie die wachsten, die höchsten, die seriösesten Intelligenzen in den Dreck gezogen und mit Beschuldigungen von Diebstahl, Plagiat, Feigheit, Bestechlichkeit, Verlogenheit, Verleumdung überzogen werden. […] Ja was! Dieser Mann, dem wir immer wieder so viel Verstand zugebilligt haben, lebt von der Zeitung und sogar von einer Masse Zeitungen; er hat noch nie ohne die Zeitung gelebt.

Jules Janin konstatiert zu Recht, dass Balzac doch all die verschiedenen Journalistenrollen, die er so bissig aufs Korn nehme, selbst gespielt habe. Rudolf von Bitter, der deutsche Herausgeber, der als Literaturredakteur des Bayrischen Rundfunks das journalistische Geschäft gewiss hinreichend aus eigener Anschauung kennt, bringt schließlich noch einen kurzen Romanauszug aus Balzacs Roman Die Muse vom Land. In diesem geht es um die prekären Finanzen sowie die immensen Ambitionen und Luxusbedürfnisse eines Journalisten. Nicht extra abgedruckt werden hingegen die zahlreichen bekannteren zeitdiagnostischen Passagen zum Journalismus aus Balzacs Die verlorenen Illusionen, wovon einige im Nachwort anzitiert werden. Balzacs fulminantes – im Internet und Copy-Zeitalter allemal aktuelles – Plädoyer für den Schutz der Urheberrechte wurde vom umsichtig recherchierenden Herausgeber ebenfalls aufgestöbert und abgedruckt. Der mit Initiativen und Schriften zu den Pionieren der Urheberrechts-Gesetzgebung zählende Balzac monierte, die Produzenten geistiger Waren, die Autoren von Büchern und Texten würden behandelt, als seien sie Piraten, wo doch sonst der Raub von materiellen Handelswaren durch Piraten sofort zur Jagd und Hinrichtung der kapernden Freibeuter führe. Dabei sind es für Balzac doch gerade die Geistesproduzenten, deren mühsam erworbenes Wissen das wertvollste und produktivste Kapital der Nation darstellen. Deswegen müssten Autoren sowie ihr Eigentumsrecht an ihren Texten endlich wirkungsvoll gegen Raubdrucker und andere ausbeuterische Aneignungen geschützt werden.

All diese aufschlussreichen Texte sind nun erhältlich im schön gestalteten, sakkotaschengerecht kleinen Manesse-Band. Feines Papier, ein leuchtend blaues Lesebändchen, ein schwarzes Kartonhardcover mit dem schreiend postmodernen neonblauen Titelaufdruck Von Edelfedern, Phrasendreschern und Schmierfinken. Die schrägen Typen der Journaille machen das Büchlein zu einem Objekt, das man mit seinen mal zeitgebundenen, mal durchaus zeitenübergreifenden Reflexionen aufs Geschäft der Tagesschreiberei (Journalistik) gerne immer wieder in die Hand nimmt. Ein ausführliches Nachwort sowie ein erläuterndes Namensverzeichnis und schließlich ein knapp kommentiertes Zeitschriftenverzeichnis liefern im Anhang willkommene und notwendige Verständniswerkzeuge für die damaligen Kontexte dieser hier endlich auf Deutsch übertragenen, versammelten Schriften, in denen der Großromancier des 19. Jahrhunderts sich mit den aufkommenden Massenmedien und ihren Auswüchsen befasste. Balzac vermittelt einem das durchaus unbehagliche Gefühle, dass Attacken auf die Presse und Polemiken um Fake News bereits eine lange Geschichte haben.

Titelbild

Honoré de Balzac: Von Edelfedern, Phrasendreschern und Schmierfinken. Die schrägen Typen der Journaille.
Übersetzt aus dem Französischen von Rudolf von Bitter.
Manesse Verlag, München 2016.
320 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783717523826

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch