Blutvergießen auf Baltrum

Ulrike Barow veröffentlicht „Krimi für Anfänger“ mit regionalem Charme

Von Kyra FriebeRSS-Newsfeed neuer Artikel von Kyra Friebe

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Ein sonniger Dienstag im August.“ So beginnt der neue Regionalkrimi von Ulrike Barow, die dreißig Jahre auf der ostfriesischen Insel Baltrum gelebt hat. Ihre Ortskenntnisse und Liebe zur Insel machen den besonderen Charme ihres neuen Romans aus. Die Details lassen den Leser in den Mikrokosmos der etwa 700-Seelen-Gemeinde eintauchen.

„Vor dem Knusperhuuske saßen bereits einige Leute und ließen sich Kuchen schmecken. Auch vor der Arztpraxis sah er ein paar Menschen auf der Bank. Ob sie sich nur ausruhten, oder darauf warteten, dass die Praxis für sie an diesem Sonntag öffnete? In Höhe des Büros von Gode Tied, dem Baltrumer Pflegedienst, winkte der Besitzer des Hauses grüßend mit einer Heckenschere in der Hand herüber. Röder bog rechts ab, durch das Deichschart an der Teestube. Die Sonne stach ihm die die Augen. Es ist echt bekloppt, dachte er, vor mir breiten sich der Heller und das Wattenmeer in den schönsten Farben aus, als wenn nichts gewesen wäre.“

Denn diese Idylle wird von einem Verbrechen überschattet, das nicht nur die freiwilligen Helfer der DLRG erschüttert, die ihren Sommer auf der Insel verbringen. Am besagten Dienstag erblickt die Rettungsschwimmerin Larissa Jakobs ihren Kollegen Hannes Danner verbotenerweise in den Randdünen. Tot. Erstochen in seiner Dienstkleidung, den Blick aufs Meer gerichtet.

„Beste Urlaubsstimmung herrschte um sie herum. Kinder schaufelten mit ihren Vätern Flutburgen an der Wasserkante und im Wasser vergnügten sich Menschen, auf die sie eigentlich hätten aufpassen sollen. Und hier auf der Düne saß der tote Hannes.“

Eigentlich wäre dieser Mord ein Fall für den Inselpolizisten Michael Röder. Doch aufgrund seiner Krankschreibung nach einer Lungenentzündung darf er nur vom Strandkorb aus dabei zusehen, wie die Kollegen einen Verdächtigen nach dem anderen identifizieren. Als der Verdacht auf den Baltrumer Hilfssheriff Joachim Zinkel fällt, spitzt sich die Lage zu. Motiv: Eifersucht. Denn auf der vergangenen Surfer-Party hatte Danner noch mit Zinkels Ex-Freundin geflirtet. Kurz nach Danners Ermordung wird eine Prostituierte blutüberströmt in ihrer Wohnung gefunden, den Mund voller Kondome. Ihr letzter Gast: Zinkel. Damit wäre der Fall eindeutig – hätte Zinkel zu diesem Zeitpunkt nicht bereits die Insel verlassen.

Ulrike Barow eröffnet dem Leser ein breites Figurenrepertoire. Die Figuren treten, wie es sich für einen kleinen Ort gehört, zumeist mit Nachnamen und Beruf – „Strandkorb-Annelie“ –  auf. Hier kennt jeder jeden. Man kleidet sich ein in „Juttas Modeladen“, kehrt ein im Hotel „Sonnenstrand“ und kauft seine Brötchen bei „Störtebeker“. Das hat den Nebeneffekt, dass der Roman sich an mancher Stelle wie ein prosaischer Reiseführer liest.

Die Polizisten fahren schwitzend auf E-Bikes über die autofreie Insel, während ihre naiven Frauen scheinbar nur mit dem Backen von „Buntjes“ für das nächste Dorffest beschäftigt sind. Neugierige Inselbewohner fragen die Ermittler beim kühlen Alkoholfreien regelmäßig nach Details, während Michael Röder beleidigt, mit knapper Badehose bekleidet, seine Freistellung aussitzt oder mit Heidenwachtel Amir am Strand in Zivil patrouilliert.

In all dem Chaos stürzt sich die Protagonistin, Rettungsschwimmerin Larissa Jakobs, von einer Katastrophe in die nächste. Ihre naiven Kurzschlussreaktionen machen es dem Leser fast unmöglich, ihr genaues Alter zu bestimmen. Als sie schließlich den geheimnisvollen Urlauber Gerd trifft und sich unbekannterweise mit ihm verabredet, möchte der Leser sie am liebsten schütteln und „Nein, tu‘s nicht!“ rufen.

Die Beschreibungen der naiven Frauen und trägen Männer wirken zeitweise ein bisschen albern. Aber der Roman möchte auch nicht ernst sein, sondern liest sich mit einem Augenzwinkern. Die oberflächlichen Figuren passen wie Puzzleteile perfekt in den idyllischen Ort, der selbst nach derartig brutalen Verbrechen und einem gewaltigen Unwetter nicht in Chaos zu verfallen scheint. Der Schein der heilen Welt wird nicht leichtfertig aufgegeben.

„Er war gespannt, ob es überhaupt stattfinden würde, jetzt, wo auch eine Insulanerin ums Leben gekommen war. Aber er konnte sich gut vorstellen, dass die Organisatoren das Fest nicht absagen würden. Frei nach dem Motto: Jetzt erst recht!“

Nahezu jeder Schritt und jedes Bedürfnis der einzelnen Figuren, vom knurrenden Magen bis zum Toilettengang, sowie der Arbeitsalltag einiger Inselbewohner werden bis ins Detail mitverfolgt. So erstreckt sich die Handlung auf den knapp 330 Seiten über weniger als eine Woche. Langweilig wird’s aber nicht. Gerade die detaillierten Beschreibungen machen den Charme des Romans aus und wirken besonders authentisch.

„Larissa ging ins Wasser, bis es ihr zu den Knien reichte, und steckte das Thermometer in die Nordsee. Jetzt zwei Minuten warten. Sie hatte kein Problem mit der Kälte. Oder Wärme. Je nachdem, wie man es betrachtete. Für Larissa war es okay, bei Wassertemperaturen unter zwanzig Grad eine Runde zu schwimmen. Da war sie relativ abgehärtet. Aber sie hatte durchaus schon erschrockene Schreie von Menschen vernommen, die unversehens bei einem Spaziergang an der Wasserkante zu intensiv mit der Nordsee in Kontakt gekommen waren. Sie zog das Thermometer heraus. Achtzehn Grad.“

Bei aller Beschaulichkeit sorgen falsche Fährten wegen zahlreicher Verdächtiger für die nötige Spannung: ein Betrüger-Pärchen, ein herrenloses Zelt, die kaputte Drohne eines offenbar autistischen Jungen und ein kleiner Plüschbär mit Weste, der irgendwie gruselig wirkt.

Baltrumer Badezeit ist kein Thriller und will auch keiner sein. Sicherlich handelt es sich nicht um ein literarisches Meisterwerk der Kriminalliteratur. Der Regionalkrimi überzeugt vielmehr durch seinen Unterhaltungswert aufgrund der gelungenen Mischung aus naiven und gemütlichen Figuren, spannenden Wendungen und detailverliebten, malerischen Beschreibungen, die für authentischen Inselcharme sorgen.

Erfahrene Krimileser mag der Roman nicht zur Genüge fordern. Baltrumer Badezeit liest sich wie ein „Krimi für Anfänger“. Darüber hinaus eignet sich der Roman perfekt als Lektüre für den Sommerurlaub oder den nächsten Ausflug auf die ostfriesischen Inseln.

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen

Titelbild

Ulrike Barow: Baltrumer Badezeit. InselKrimi.
Leda Verlag, Leer 2017.
329 Seiten, 11,00 EUR.
ISBN-13: 9783864122026

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