Literatur und RAF
Wie der Roman „Erzählung zur Sache“ die Krisenjahre der Bundesrepublik auf ästhetisch höchst anspruchsvolle Art und Weise diskutiert
Von Werner Jung
Es gab einmal eine Zeit in der alten Bundesrepublik, da war die Beschäftigung mit der RAF, insbesondere mit dem Krisenjahr 1977 in der Literatur geradezu eine Art Modethema – so vieldiskutiert, dass ganze Dissertationen dazu verfasst wurden (vgl. etwa Thomas Hoeps: Arbeit am Widerspruch. Dresden 2001). Das ist nun schon lange her, über- und verdeckt durch die Ereignisse von 1989 und heute nur noch, so scheint es, von Interesse für Historiker und Zeitgeschichtler. Daher ist es verwunderlich, dass sich die aus Esslingen stammende Autorin Stephanie Bart (Jg. 1965) mit der RAF-Thematik beschäftigt hat. Und dies auf eine Weise, das hat auch die Rezeption im Feuilleton bemerkt, die aufmerken lässt, weil Bart auf ästhetisch höchst anspruchsvolle Art und Weise die Krisenjahre der Bundesrepublik in den Mittelpunkt ihres Romans stellt.
In Anspielung auf ein unvollendetes RAF-Pamphlet mit dem Titel Erklärung zur Sache nennt sie ihren Roman Erzählung zur Sache – und meint damit nicht mehr und nicht weniger als den Versuch, unter Verwendung von authentischen Quellen wie Prozessakten, Flugblättern und Flugschriften, aber auch von anderen literarischen Zeugnissen die Vorgänge um die RAF, die in ihrer Frühzeit in den Medien und von der Öffentlichkeit noch als Baader-Meinhof-Bande bezeichnet worden ist, also terroristische Anschläge ebenso wie die Jahre der Inhaftierung von Baader, Meinhof, Raspe und Ensslin mit dem furchtbaren Finale im Stuttgart-Stammheimer Gefängnis darzustellen, nämlich den Tod in den Zellen, der bei Bart – kontrafaktisch, da alle vorhandenen Dokumente für die These vom kollektiven Selbstmord sprechen – als Mord imaginiert wird. Barts Roman wendet sich gleich eingangs mit dem „Haftungsausschluss“ an seine Leser:innen, dass
[a]lle in diesem Roman enthaltenen strafrechtlich relevanten Beleidigungen und Verunglimpfungen von Personen der Zeitgeschichte, lebenden und toten, sowie Aufforderungen zu strafbaren Handlungen und was sonst nach StGB strafbar ist, […] entweder, dem literarischen Verfahren entsprechend, nicht gekennzeichnete wörtliche oder bearbeitete Zitate der RAF [sind] oder […] deren Positionen [repräsentieren].
Die Autorin verzichtet konsequent auf die strikte historische Chronologie, um in ihren (verschieden) langen Einzelkapiteln vor allem die Haftjahre in unterschiedlichen westdeutschen Gefängnissen zu schildern, wobei sie nahelegt, die besonderen, verschärften Haftbedingungen, deren die Mitglieder der RAF ausgesetzt waren, durchaus in Analogie zu subtilen Foltermaßnahmen zu interpretieren. Wenn man so will, steht die Figur von Gudrun Ensslin mehr oder minder im Mittelpunkt, da ihre Perspektive sich durch das ganze dichte Textgewebe als dominante Oberstimme zieht. Dennoch zielt Barts Roman noch auf weit mehr: Er deutet die Vorgeschichte der RAF im Umfeld enttäuschter linker Erwartungen nach 1968 an, erzählt biographische Einzelheiten aus den Lebenswegen von Ulrike Meinhof (der konkret-Kolumnistin und Dokumentarfilmerin) und Gudrun Ensslin (zweitweise liiert mit dem aus einem Nazi-Elternhaus stammenden Schriftsteller Bernward Vesper) und macht in vielfältigen Andeutungen und Nebenbemerkungen immer wieder die aufgeheizte Stimmung sowohl in den Medien wie in einer geradezu phobisch reagierenden bürgerlichen Öffentlichkeit klar, die alle zu Sympathisanten stigmatisiert, die – wie etwa prominente Schriftsteller wie Heinrich Böll – für einen rationalen Umgang unter Einhaltung rechtsstaatlicher Grundsätze mit der RAF eintreten. Zu Recht hat Meike Fessmann daher in ihrer Rezension für die Süddeutsche Zeitung Barts Text als einen „politischen Roman von atemberaubender Intensität“ bezeichnet und in ihrem Schlusssatz davon gesprochen, dass „so energisch und stilistisch brillant […] seit Peter Weiss‘ ‚Ästhetik des Widerstands‘ schon lange niemand mehr das Projekt linker Geschichtsschreibung angegangen [ist].“ Dem ist nur noch hinzuzufügen, dass offenkundig der Rezensentin die Tetralogie Die Kinder des Sisyfos des im letzten Jahr verstorbenen Kölner Schriftstellers Erasmus Schöfer entgangen zu sein scheint – der hat nämlich ebenfalls, ästhetisch überaus raffiniert, eine Geschichte der linken Bewegungen von 1968 bis 1989 vorgelegt.
Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen
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