Der Wunsch nach Freiheit

Michael Basse kommentiert mit „Yank Zone“ die Nachkriegsgeschichte im amerikanisch besetzten Teil Deutschlands

Von Stefanie SteibleRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefanie Steible

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

In diesem Roman, der auch als persönlicher Kommentar des Autors zur amerikanischen Besetzung Süddeutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg interpretiert werden darf, wird die westdeutsche Nachkriegsgeschichte aus der Perspektive zweier Freunde aufgearbeitet, die in einem süddeutschen Dorf aufwachsen. Vor dem Hintergrund der schwäbischen Provinz, in einem Dorf mit 6000 Seelen, entwickelt sich aus dem Kräftemessen in einer Kneipe zwischen den beiden Protagonisten eine spannende Coming-of-age story.

Da ist zum einen Mani, den man leicht für sehr arrogant halten kann und der in einem religiös geprägten Haushalt einer evangelischen Pfarrersfamilie groß geworden ist und Schriftsteller werden möchte. Zum anderen lernen wir Jack kennen, der wenig spricht, aber Eishockey und Billiard über alles liebt. Er hatte eine deutsche Mutter, wurde aber von einem pensionierten amerikanischen Lt. Colonel allein aufgezogen, weil die Mutter früh verstorben ist. Die beiden Hauptfiguren könnten gegensätzlicher nicht sein, aber sie ziehen sich wie Magneten an und werden zu Blutsbrüdern.

Zusammengehalten werden sie dabei vor allem von Jacks Vater, den sie mit dem Namen Old Chop bedacht haben und der ihre Liebeserklärung an diesen Mann ausdrückt. Der ist ein Kriegsheld, also ein richtig harter Mann, der genaue Vorstellungen davon hat, wie das Leben ablaufen soll und was dafür im Einzelnen zu tun ist. Er führt ein Guesthouse vor Ort – das hard man´s guesthouse – amerikanisch geprägt, wo immer etwas los ist und auch den beiden Jungs stets die Tür offensteht. Nach außen ist das Guesthouse eine Männerbastion, letztlich aber doch nicht mehr als eine Ansammlung schäbiger, von Alkohol-, Schweiß- und Rauchschwaden durchzogener Hinterzimmer.

Während Lydia, die bulgarische Freundin von Jack, sich an Old Chop die Zähne ausbeißt, taucht eine alte Freundin von Old Chops Frau auf, die ihn umso faszinierender findet und bald zu seiner Lebensgefährtin wird. Nachdem Old Chop als zentrale Figur lange Zeit die Fäden zusammengehalten hat, um die sich die Geschichten und Wege der anderen Figuren entspinnen, ohne dass er selbst als Sprecher in Erscheinung tritt, beginnt das System irgendwann zu brechen. Weil Mani nicht zum Militär möchte, kündigt ihm Old Chop die Freundschaft. Anschließend verlässt Jack den gemeinsamen Haushalt, weil er die beginnende Regentschaft durch die neue Lebensgefährtin des Colonels, Margarete, nicht akzeptieren kann und will. Ende der 90er Jahre stirbt Old Chop schließlich, und Jack wird von Lydia verlassen. Alle einstigen Verbindungen haben sich aufgelöst und bestehen allenfalls noch lose fort. Doch als Jack auf mysteriöse Art bei einem Autounfall ums Leben kommt, begegnen sich Mani und Lydia wieder und beginnen gemeinsam die Suche danach, ob sie Jacks Tod hätten verhindern können.

Um diese Geschichte herum entspinnt der Autor einen schonungslosen Blick auf das deutsch-amerikanische Verhältnis der Nachkriegszeit. Es geht um Macht, um Vorherrschaft, um Psychologie, Faszination, Leidenschaft und wie sich die Beziehung zwischen zwei Ländern auf den Alltag von Menschen, die in einem besetzten Land leben, auswirken. Dabei springt der Autor über mehrere Jahrzehnte hinweg, was die Lektüre manchmal anstrengender macht, als sie vielleicht sein müsste. Doch stellt dies auch ein gutes Abbild dessen dar, wie die diese Zeit gewesen sein muss und welche Auswirkungen sie auf das westdeutsche Leben hatte.

Die Vorherrschaft stellt der Autor jedoch in Frage, indem er die Frau gewinnen lässt, die in Old Chops Leben tritt und die das selbst so beschreibt:

Und dann kam ich, der Eindringling, die Fremde. Verfolgte von Anfang an nur ein Ziel: euch euren Karten-Champ auszuspannen, hard man, das Idol, den Kriegsveteranen, ihn vom Männer-Spieltisch wegzuholen und von allem, was er kannte, so gründlich zu entfremden, dass er am Ende sein hard-man’s-guesthouse-Dasein freiwillig aufgab. Und sich ins Unvermeidliche fügte. Und mir, dem Weib, der Hexe, dem Eindringling den Vorzug gab. Selbst vor dem eigenen Sohn.

Margarete – bzw. Maggie – entwickelt sich im Lauf des Buches zur vielleicht stärksten Figur, deren Erfahrungen als Kind im Zweiten Weltkrieg reflektiert werden und die darauf zurückblickt, welche Entscheidung sie als junge Frau zu treffen hatte, nachdem sie nur zwei Arten von Weiblichkeit identifizieren konnte:

Die Guten, Anständigen – das sind die Trümmerfrauen. Also die, die die Drecksarbeit machen, die schuften wie eh und je, die den Ehrentitel ‚deutsche Frau’ tragen und eines Tages als Hüterin von Herd, Heim und Nation in die heilige Familiengruft einfahren dürfen. Und es gibt die Anderen, die keine Ehre im Leib haben, die Schamlosen, Untreuen, Koketten, Frivolen, Vergnügungssüchtigen, die nicht auf deutsche Kriegsheimkehrer warten, sondern lieber mit den Besatzern anbandeln und so dem Vaterland eine zweite, womöglich schlimmere Niederlage zufügen. Das sind die Fräuleins.

Eine Beschreibung, die aufhorchen lässt und die uns heute sehr fern erscheint, aber doch nur allzu gut erklärt, in welch schwieriger Situation die Frauen sich befanden. 

Und auch Lydia muss mit ihrem Schmerz darüber, dass sie selbst ihre Heimat verlassen hat und beobachten muss, wie das auch viele Andere tun, die das Land eigentlich aufbauen könnten, irgendwie klarkommen.

Das Buch fordert seine Leserinnen und Leser und manchmal führt das vielleicht auch zur Überforderung, weil sich verschiedenste Momente vermischen. Das ist besonders zu Beginn, der im Jahr 1972 spielt, der Fall, wenn man sich erstmal in den Schreib- und Erzählstil von Michael Basse einfinden muss. Doch er ist auf einer präzisen Recherche entwickelt und trifft sehr gut den Ton, der im Guesthouse und drumherum geherrscht haben muss. Geschichte und historische Daten werden hier mit persönlichen Erlebnissen verbunden, die die Zeit sehr nachfühlbar machen und das Buch zu einem wertvollen Beitrag in Bezug auf die Zeit der amerikanischen Besatzung werden lassen.

Titelbild

Michael Basse: Yank Zone. Roman.
Alfred Kröner Verlag, Stuttgart 2022.
320 Seiten, 24,00 EUR.
ISBN-13: 9783520762016

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