Der unendliche Spaß ist vorbei

Mit „Der Mann, der vor Lachen weinte“ legt Frédéric Beigbeder eine fulminante und überschäumende Generalabrechnung mit unserem Medien- und Kulturbetrieb sowie dem Kapitalismus vor

Von Karsten HerrmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Karsten Herrmann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Seit seinem zur Jahrtausendwende erschienenen erfolgreichen Skandalroman 39,90 gilt Frédéric Beigbeder international als enfant terrible und wird als Mix aus Michelle Houellebecq und Bret Easton Ellis gehandelt. Er war als Webetexter, Regisseur und Schauspieler tätig und hat nun seinen mittlerweile schon zehnten Roman geschrieben.

Aber ist es ein Roman? Auf jeden Fall ist es vieles zusammen: Erzählung, Essay, Pamphlet, Poesie, Pop und Porno. Es ist „der Bericht einer Selbstversenkung, aber nicht nur meiner eigenen, es handelt sich eher um ein Kollektivopfer“. So sagt der Protagonist Octave Parango, den wir schon aus 39,90 kennen und der jetzt als Humor-Kolumnist beim weitreichenstarken Radiosender France Publique arbeitet. Dieser Ocatve hat frappierende Ähnlichkeiten mit Frédéric Beigbeder selbst und bildet offensichtlich sein alter ego – so ist er nicht nur auch Autor von 39,90, sondern arbeitet ebenso in der Medien- und Kommunikationsbranche, ist gleich alt und wohnt mit seiner Familie ebenfalls an der Atlantikküste.

Octace Parango ist ein Dandy und ein Sexist alter Schule und trinkt und schnupft sich vor seinen Radio-Kolumnen durch die exclusiven Cafés, Clubs und Diskotheken in der Pariser City. Zugleich tobt der Gelbwesten-Aufstand, eine „Revolte gegen die Armut und die Gleichgültigkeit der herrschenden Klasse“ und verwandelt die Straßen in Bürgerkriegs-Szenarien.

Schon lange trudelt die Welt durch die Agonie eines „spaßgetriebenen Totalitarismus“ und die Kommunikationsbranche waltet nur noch als „Kollaborateur des Nichts“. Der „Unendliche Spaß“, das Zeitalter des Sarkasmus und der Ironie, hat sich totgelaufen.

All dies wird Octave Parango mit zunehmendem Alkoholpegel immer deutlicher und er muss sich selbst eingestehen: „Mein karnevalistischer Nihilismus hat den Planeten verbrannt.“ Ohne Schlaf und ohne Skript, dafür aber im Bademantel, tritt er zu seiner letzten Kolumne an und hält der Welt in einer Suada den Spiegel vor. Er, der das Paradebeispiel eines Zeitalters der Dekadenz abgibt – eingebildet, verlottert, versoffen, sexbesessen – macht sich in einem letzten Akt daran, die Welt zu retten und häutet sich zum besorgten Millenial.

Der Mann, der vor Lachen weinte ist ein provozierender Roman ohne eine eigentliche Handlung und Dramaturgie. Es ist vielmehr eine böse und zuweilen blitzgescheite Zeitkritik, die mal überschäumend und geschwätzig, mal pointiert und witzig daherkommt, aber allemal sehr unterhaltsam und kurzweilig ist. 

Titelbild

Frédéric Beigbeder: Der Mann, der vor Lachen weinte.
Aus dem Französischen von Claudia Marquardt.
Piper Verlag, München 2021.
320 Seiten , 22,00 EUR.
ISBN-13: 9783492070676

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