Was labert dieser Esel?

In der 15. Ausgabe der „Tierstudien“ geht es um die Tücken menschlich-tierlichen Erzählens

Von Dafni TokasRSS-Newsfeed neuer Artikel von Dafni Tokas

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Monster said, this is my forest. Monster now thinks different. Monster said, I not need forest.“ Unter anderem diese Zeilen, die wirken wie eine kurze Zusammenfassung der menschlichen Evolution, offenbart uns der in Lexigrammen verfasste Text Gilgamesh for Apes, welches in der aktuellen, von Jessica Ullrich und Alexandra Böhm herausgegebenen Tierstudien-Ausgabe abgedruckt ist. Ein sumerisches Epos – erzählt für unsere nächsten Verwandten, in einer Sprache, von der wir wissen, dass diese sie deuten können. Der Titel der Ausgabe lautet dementsprechend Tiere erzählen. Bereits das kann man auf zwei Arten lesen: Tiere werden erzählt oder Tiere erzählen etwas – meistens überlagern sich diese narrativen Gesten. Viel zu selten glauben wir jedoch wirklich daran, dass andere Tiere als nur unsere „Haustiere“ uns etwas zu sagen hätten. Dabei „krächzet und ächzet“, „zitschert und zwitschert“ doch die ganze Welt, wie man in Georg Philipp Harsdörffers Gedichten eindrücklich erfahren kann, deren „Spracharbeit“ von Angela Gencarelli in ihrem Beitrag Mit den „Zungen der Natur“ sprechen untersucht wird.

Tieren endlich einmal zuhören

Im ersten Teil der Ausgabe 15/2019 geht es um Fabeltiere. Lisanne Wepler und Céline Zaepffel zeigen in Wie Tiere das Erzählen lernten auf, inwiefern unter anderem der aristotelische Anthropozentrismus Einzug in die Titelseiten erster illustrierter Fabelbücher hielt und welche Rolle Anthropomorphismen dabei spielen. Zwischen 1567 und 1900 veränderten sich die Tendenzen der Titelseiten mit teilweise bahnbrechenden Wandlungen. Tiere treten als Studienobjekte, Schauspieler, Zuhörende und – siehe da – auch als Menschen und Erzähler auf! Marion Bedi-Visschers reflektiert Varianten der Erzählungen rund um den Gestiefelten Kater. Anhand ihrer Analyse zahlreicher Texte kristallisiert sich heraus, dass das übrigens meist männliche „Helfertier“ auf unterschiedliche „komplexe interkulturelle Prozesse“ verweist und nicht zuletzt auch etwas über die Entwicklung des Gendering und andere zentrale soziale Bedeutungsspektren aussagt.

Der zweite Teil widmet sich den autobiografischen Tieren. Teresa Hiergeist bereichert den Band mit einem Beitrag zu erzählenden Tieren in spanischen Tierdialogen der Frühen Neuzeit. Frederike Middelhoff reformuliert kurz und treffend eine Wissensgeschichte literarischer Autozoografien. Vor allem auf literarische Texte bezogen zeigt die Autorin auf, wie sich Tiere selbst erzähl(t)en. Middelhoff hat zu diesem Thema promoviert und führt auf hohem Niveau in die Materie ein – der Einfluss Jacques Derridas ist deutlich spürbar. Der Text Resis Kuhrresort von Antoine F. Goetschel fällt etwas aus der Reihe – hier werden Leidensgeschichten von Tieren geschildert, die die schlechte Behandlung durch ihre Halter*innen nun nicht mehr ertragen müssen. Oder doch? Was in diesem Text passiert, ist bis zuletzt eher uneindeutig. Auf jeden Fall behauptet darin ein blauer Kristall, dass Tierquälerei so schnell nicht aufhören wird. Auch in Belina Kleinhans’ Beitrag geht es um Tiere, die Traumata erzählen, allerdings Kriegstraumata. Anhand von Juli Zehs Bosnientexte zeigt sie auf, wie die literarischen Tiere durch die berühmte Autorin von ihrem Elend klagen.

Summ, summ, summ – Bienchen sind nicht dumm!

Im dritten Teil von Tiere erzählen erfahren wir etwas über beredten Insekten, etwa die Ameisen in Georg Friedrich Meiers Versuch eines neuen Lehrgebäudes von den Seelen der Thiere (1749). Evelyn Dueck zeigt: Philosophen können Naturforscher sein, und ein Ameisenhaufen kann durchaus als Gesellschaftsutopie betrachtet werden. Wenn man die Ohren ganz nah an einen Ameisenhaufen legt, dann kann man, so Meier, ein „verwirrtes Summen“ hören. Hannah Fissenbert und Lisa Heller demonstrieren in ihrem Aufsatz Das Theater der Insekten, dass es revolutionär sein könnte, Insekten die Theaterbühnen zu eröffnen. So könne ihnen möglicherweise die Stimme zurückgegeben werden, die ihnen, weil sie immer weniger werden, langsam abhandenkommt. Das Theater der Insekten ist eine exotische Idee, doch anhand einiger Beispiele, die von den Autorinnen analysiert werden, gar kein so abwegiges Konzept.

Im vierten Teil kommen wir vom insektenhaften Summen in das lautmalerische Gezwitscher, Gegrunze und Gekrächze des restlichen Tierreichs: Billabi billabi, jörn zisi zab. Fisch kitti bisch. Krrriikpittrrr restrest. Was für die jüngeren Generationen aussieht, als hätte jemand mit Wurstfingern die Autokorrektur auf dem Handy abgeschaltet, ist in Wirklichkeit poetische Lautsprache mit langer Tradition. Angela Gencarelli führt uns in die Tierstimmen barocker Klangpoesie ein (und macht deutlich, dass wir unsere Ohren zu lange vor tierlichen Stimmen verschlossen haben), während Andreas Fischer die tierlichen Laute in Hugo Balls Werk untersucht. Den Abschluss dieses Teils bildet der Beitrag von Julian Jochmaring mit dem Motorsägengekreische des Leierschwanzvogels. Der Autor zeigt die normativen, anthropozentrischen Facetten auf, die bei der Untersuchung dieser Vogellaute hervortreten, und vernimmt hinter dem Heulen der Motorsäge eine vielfältig konzeptualisierbare, natürliche Verwundbarkeit des Lebendigen – von der uns die Vögel selbst erzählen.

Passagetiere zwischen geliebter Fiktion und gelebter Realität

Im fünften Teil spürt Kathrin Heintz in Das Narrativ vom bösen Wolf aus aktuellem Anlass nicht nur den Konzeptualisierungen des Wolfes in Kinderbüchern, sondern auch seinem Auftreten in weniger reifen Diskursen, nämlich dem politischen Wahlkampf, nach. Während Wölfe, wie die Autorin analysiert, in zeitgenössischen Kinderbüchern offenbar immer ambivalenter, kreativer und vielschichtiger dargestellt werden, operieren Vertreter*innen der CDU, FDP und AfD immer noch mit dem altbekannten Angstnarrativ: Sie raten im schlimmsten Fall einfach dazu an, die Tiere abzuknallen. Gelungene Kommunikation sieht anders aus. Ebenfalls mit Wölfen setzt sich Peter Podrez in seiner Analyse der Tiersimulation WolfQuest auseinander. Wie werden biologische Prozesse narrativiert, wie können animalische Erzählperspektiven aussehen? Der Beitrag führt Game Studies und Human-Animal Studies elegant zusammen.

Auf den letzten Seiten wird es schließlich kurz unheimlich. Fast jede*r kennt die immer lauter werdende Filmmusik, wenn sich ein Hai auf offener See nähert und nur die berühmte Zacke aus dem Wasser blitzt. Robert Bauernfeind macht uns das ebenso bekannte Filmplakat für Jaws (1975) verständlich und vollzieht nach, seit wann das Narrativ, welches den „gefährlichen“ Hai-Figuren in Film und Literatur eigen ist, existiert und wie es reproduziert wurde. Einen an visuellem Material gleichermaßen stark orientierten Abschlussbeitrag finden wir in Talking (of) Dogs von Barbara Margarethe Eggert, die am Beispiel von Tim und Struppi und den Peanuts (dys)funktionale Transspezies-Dialoge im Comic diskutiert. Die Autorin arbeitet heraus, wie hoch die Kommunikationskompetenz der tierlichen Comicfiguren ist und wie viel ihnen trotz der binären anthropologischen Differenz, die sich kulturell verfestigt hat, zumindest in der Fiktion zugetraut wird.

In ihrem Ausblick fragt Eggert nach speziesübergreifender Kommunikation, die im besten Fall auch außerhalb des Comics zu neuen, realen Ausformungen kommt. Vielleicht leistet die aktuelle Tierstudien-Ausgabe ja, übrigens auch durch die stets erfrischenden künstlerischen Positionen am Ende einer jeden Ausgabe, einen Beitrag zur Sensibilisierung für diese Themen. In jedem Fall sind die jeweils sehr kurzen Aufsätze es wert, gelesen und rezipiert zu werden, und zwar nicht nur für und von Literaturwissenschaftler*innen, sondern gerade von jenen, die nichts und niemanden hören, wenn sie in „die“ Natur gehen: „Enkidu said, monster pretend, monster had mask, monster not good. Monster is monster, said Gilgamesh.“

Titelbild

Jessica Ullrich / Alexandra Böhm (Hg.): Tiere erzählen. Tierstudien 15.
Neofelis Verlag, Berlin 2019.
221 Seiten, 14,00 EUR.
ISBN-13: 9783958082243

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