Elefantenpfade

Mit „Monsieur Pain“ erscheint ein frühes, eher durchwachsenes Werk des 2003 verstorbenen Roberto Bolaño erstmals in deutscher Übersetzung

Von Sascha SeilerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sascha Seiler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es existieren tatsächlich noch zu Lebzeiten verfasste Romane des 2003 verstorbenen chilenischen Schriftstellers Roberto Bolaño, die noch nicht ins Deutsche übertragen worden sind. Das verwundert insofern, als dass die nach und nach posthum erscheinenden Romanfragmente durchaus in deutscher Übersetzung vorliegen, unter ihnen die etwas inkongruenten Texte Die Nöte des wahren Polizisten und zuletzt Der Geist der Science Fiction. Die fehlende Übersetzung von Bolaños gemeinsam mit Antoni García Porta verfasstem Debüt Consejos de un discípulo de Morrison a un fanático de Joyce (bzw. das in der spanischen Fassung hier noch enthaltene Prosastück Diario de Bar) aus dem Jahr 1984 lässt sich hierbei noch verschmerzen, aber das Fehlen der frühen Romane La Pista de Hielo und Monsieur Pain haben in diesem Zusammenhang etwas verwundert, zumal der Boom um den Autor in Deutschland schon länger vorbei ist. Zumindest letzterer Roman erscheint nun in gewohnt souveräner Übersetzung von Heinrich von Berenberg und wird, entgegen den Versprechungen des Klappentexts, den geschulten Bolaño-Leser eher verwundern.

Da ist zum einen der Zeitraum der Handlung, zum anderen der Ort, drittens die Thematik und viertens der seltsame Umstand, dass es sich beim zentralen Protagonisten nicht um einen Schriftsteller handelt. Monsieur Pain spielt im Paris der 30er Jahre und erzählt vom Okkultisten, Wunderheiler und vermeintlichen Scharlatan Pierre Pain, der von einer Freundin eines Tages beauftragt wird, sich des unheilbaren Schluckaufs eines in Paris wohnhaften Lateinamerikaners anzunehmen. Dieser ist sehr wohl ein Schriftsteller – auch wenn ihn der in der Literatur nicht sonderlich bewandte Pain nicht kennt – und zwar kein Geringerer als der berühmte peruanische Avantgardist César Vallejo, der in einem Krankenhaus vor sich hin vegetiert.

Pain nimmt den Auftrag an, doch will scheinbar eine unbekannte Macht verhindern, dass er zu seinem Patienten vordringt. Unheimliche Lateinamerikaner beschatten ihn, die tatsächlichen Ärzte im Krankenhaus tun ihn als Scharlatan ab und verweigern ihm den Zutritt, seine Auftraggeberin, eine enge Freundin von Vallejos Ehefrau (deren Wunsch es ursprünglich gewesen war, Pain einzubinden), ist plötzlich für unbestimmte Zeit verreist. Pain steigert sich immer mehr in seine kafkaesken Wahnvorstellungen hinein, bis Vallejo stirbt, die Freundin wieder auftaucht und der resignierte Wunderheiler, der nicht heilen konnte, den Fall als erledigt betrachtet. Das Buch schließt mit einer Chronik über die folgenden Jahre der beteiligten Charaktere.

Es ist mühsam, dem Buch irgendeine tiefere Bedeutung zu entlocken, doch das ist ja schließlich bei allen Texten Bolaños der Fall. Vielleicht liegt alles einfach an der Oberfläche, vielleicht verstecken sich ungeahnte Deutungsmuster, etwa in der zunehmend hermetischen Literatur, die Vallejo verfasst hat? Vielleicht aber liegt mit diesem Roman tatsächlich nur eine Frühform der gängigen Motivkonstellationen Bolaños vor, eines Lyrikers, der in den 80er Jahren begann, Prosa zu verfassen, weil er in ihr eine Möglichkeit sah, der Armut im spanischen Exil zu entkommen. Und das ist im Grunde eine Geschichte, die viel spannender ist als dieser Roman aus dem Jahr 1999, der zu seinen schwächsten zählt.

Denn Monsieur Pain erschien ursprünglich schon einmal, nämlich 1984 unter dem Titel La senda de los elefantes (dieser Titel schmückt den Epilog des Romans). Wie der Autor im Vorwort bekennt, war dies einer der Texte, die er seinerzeit schrieb, um das Preisgeld eines spanischen Provinzwettbewerbs zu gewinnen. Dass dies eine recht zuverlässige Einnahmequelle für den verarmten Dichter war, zumal er häufiger denselben Text bei mehreren Wettbewerben einreichte (und sehr oft gewann), beschreibt er auf sehr humoristische Art in der Erzählung „Sensini“ (enthalten in seinem Erzählband Telefongespräche). Für La senda de los elefantes erhielt Bolaño einen Literaturpreis der Stadt Toledo, der aus 3000 Peseten sowie der Möglichkeit bestand, den Roman zu publizieren. Sieht man von der fast zeitgleich erschienenen Gemeinschaftsarbeit mit Porta ab, war dies also für den jungen Autor die Chance, seinen Debütroman kostenlos zu veröffentlichen. Der Traum einer fruchtbaren Schriftstellerkarriere blieb ihm indes allerdings erst einmal versagt; das Buch wurde weitestgehend ignoriert. Der Nachfolger, jenes andere noch nicht übersetzte, weitaus gelungenere Buch La pista de hielo erschien erst ganze neun Jahre später.

Die Wiederveröffentlichung des Romans 1999 war selbstredend dem großen Erfolg des Romans Die wilden Detektive geschuldet, für den Bolaño den größten lateinamerikanischen Literaturpreis, den Premio Romulo Gallegos, gewonnen hatte und der das Interesse an seinem Frühwerk zumindest im spanischsprachigen Raum entfachte.

Wie dem auch sei, es ist sicherlich wichtig, dass diese Lücken im übersetzten Werk des Autors gefüllt werden, auch wenn Monsieur Pain sicherlich kein Meisterwerk ist. Spannender für Freunde Bolaños wird es indes, wenn sein jüngstes posthumes Werk – vielleicht auch tatsächlich das letzte? – Sepulcro de vaqueros – im April in deutscher Übersetzung erscheint. Dieses besteht aus drei längeren Texten, wovon der titelgebende einer der besten ist, die Bolaño jemals verfasst hat. Man darf also gespannt sein.

Ein Beitrag aus der Komparatistik-Redaktion der Universität Mainz

Titelbild

Roberto Bolaño: Monsieur Pain. Roman.
Übersetzt aus dem Spanischen von Heinrich von Berenberg.
S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2019.
176 Seiten, 21,00 EUR.
ISBN-13: 9783103974188

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch