Eine Liebeskunde besonderer Art

In „zu oft umsonst gelächelt“ beschreibt Botho Strauß Beziehungsweisen

Von Thorsten PaprotnyRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thorsten Paprotny

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Den postmodernen Reigen menschlicher Beziehungen auszubuchstabieren und die Diversität der Liebesarten förmlich zu illuminieren, gehört zu den Kennzeichen der zeitgenössischen Literatur. Souverän unzeitgemäß setzt der eigensinnige Erzähler Botho Strauß scheinbar auf ein nahezu traditionalistisches Gegenmodell der Liebe. Eine Phänomenologie der Andeutungen und Beobachtungen, zuweilen karg, distanziert, mitunter farbig und unerwartet empathisch dargestellt, legt Strauß vor, wenn er über Lebensweisen und Liebesverhältnisse spricht, mit unzeitgemäßer Ausschließlichkeit. Er berichtet vom Begehren und von Abhängigkeit. Begriffe wie Glück und Unglück meidet der zuweilen asketisch formulierende Strauß, unsentimental und bedacht. Der Schriftsteller möchte verstehen, nicht urteilen. Impressionen von paarweise zueinander gefügten Menschen stellt er vor, ohne Staffage, ohne unnütze Kostümierungen und vor allem ohne lässliche, auch lästige Imperative der besten gesellschaftspolitischen Absichten. Ein Mann, eine Frau lieben einander, lieben einander bisweilen, manchmal ganz, manchmal gar nicht, gehen auseinander und können voneinander doch nicht lassen, beherrscht von Okkupationen, emotional besetzt und voneinander besessen. Botho Strauß feiert mitnichten die Macht der zwischenmenschlichen Liebe, er beschreibt Widerfahrnisse, Formen und Varianten. Niemanden möchte er belehren. Strauß skizziert und deutet, was Mann und Frau aneinander bindet oder voneinander entzweit. Auch die Einsamkeit zu zweit stellt er vor, illusionslos und nuanciert. Manche Paare haben noch „schlechte Philosophie“ füreinander übrig. Darauf folgt die „Pause der Entmutigten“: „Am Ende plagt uns Ernüchterung, und nichts zum Verlieben können wir je wieder aneinander entdecken.“

Beziehungen überwinden gesellschaftliche Denkweisen und Konventionen. Über Altersunterschiede setzt sich jede Zuneigung hinweg. Ist es unverhältnismäßig, ja empörend, dass eine erwachsene, junge Kunststudentin einen älteren Künstler liebt? Oder dass eine Professorin einem Studenten sehr, sehr zugeneigt ist? Strauß urteilt nicht, verurteilt nicht. Ebenso wenig traut er der Schwungkraft und Dynamik der Romantik. Ernüchternd oder auch nur realistisch wie summarisch wirken Bemerkungen wie diese: „Mehr als Andeutung von Liebe ist Liebe wohl nie. Auch verlorene Liebe nicht, es genügt ein Seitenblick.“ Strauß kennt die Prosa des Daseins, scheut das Prunkhafte, Pompöse und Feierliche. Doch gefühlskalt oder herzlos ist dieser Autor mitnichten.

Ein „weltläufiger Intellektueller“ hat eine „Freundin“, die ihn „beschattet“, auch wenn er mit der Gattin unterwegs ist: „Oft war es gut und der Ehe förderlich, daß es diese zweite Frau gab.“ Vielleicht nicken manche Leser insgeheim. Natürlich hat er recht, nicht im moralischen Sinne vielleicht, aber pragmatisch gesehen? Die Geliebte oder Freundin sei wie ein „sanftes Hintergrundleuchten im Rücken des zankenden Paares“. Sie wirke ausgleichend, „stärkte den Zusammenhalt“ der im Grunde voneinander längst entfremdeten Eheleute. Die „Anwesenheit der Heimlichen“ rettet die Beziehung, vielleicht nicht die Liebe, aber doch den Ehebund. Die komplexe Beziehung erschöpft sich dann nicht in bloß pragmatischer Stabilisierung einer erloschenen, aber fortdauernden Partnerschaft, denn auch die „sinnliche Erregung“ sei gegenwärtig: „Mal wehte sie ihn an, das andere Mal weht sie an ihm vorbei. Das eine Mal rumorte sie unter seinen Füßen, das andere Mal glühte sie neben ihm, kämpfte offenbar mit der Vorstellung, sich endlich zu entheimlichen und vorzustellen.“  

Andere Momentaufnahmen folgen. Zuweilen stellt sich die Überlegung ein: Ob Beziehungen auch und vor allem Rollenspiele sind? Ein Fazit bleibt aus. Enigmatisch zunächst wirkt, wenn Strauß über eine vollständig bekleidete Frau nachdenkt, die als Erscheinung genau so und nicht anders das Begehren des Beobachters weckt. Es scheint, als ob sie eins sei mit ihrer Garderobe. Sie zu entblößen oder entblößt zu sehen, wäre eine „Schändung ihrer weiblichen Aura“, die „ganz aus Kleiderhäuten, aus undurchdringlicher Hülle entstand – und doch so viel tiefer wirkte als jede Fleisch-Berührung“: „Denn mächtig zog die Blöße an, zog durch Stoff und Stil die Nacktheit zu sich – und gewährte die letzte Lust in der Erfahrung ihrer Unerreichbarkeit.“ Botho Strauß spricht von besonderen Formen der Sinnlichkeit, der Anschauungsweisen und möglicher Empfindungen. Er schildert auch das Geschenk der Beiläufigkeit, aus der etwas entsteht, das alles andere als beiläufig ist und mehr als eine „bedeutungslose Berührung“: „Sie erinnerte sich, daß sie ihm mehrmals, während er vor ihrem Laptop saß und arbeitete, bei einer ihrer Fragen oder hilfesuchenden Nachfragen die rechte Hand auf den Unterarm gelegt hatte. Sie hatte ihn berührt, scheinbar beiläufig, aber vermutlich nur scheinbar. Kaum war der Tag begonnen, verschwand der letzte Zweifel, und sie war in ihn verliebt.“ Eine unmerkliche Berührung, von einem scheuen Lächeln gestreift zu werden, manchmal genügt das, manchmal sagt dies ungleich mehr als so viele wohlgesetzte Worte.

Auf einmal wendet sich Botho Strauß dem Neuen Testament zu. Treten Glaubensfragen auf? Von einer Maria spricht er, von derjenigen, die als „Nichtswürdige!“ geschmäht und verachtet wurde: „Eine Burg Magdala war ihr Besitz. Und weil ihr so wohl ist als Sünderin, verlangt sie nach dem Herrn. ,Berühre mich nicht!‘ sagt dann der Auferstandene zu ihr. Zu ihr nun ausgerechnet! Die nichts anderes kennt als Umarmung, Körpernähe, Anfassen und Küssen. Auch in seiner Nähe blieb sie eine lustwarme Person. Ob ihr gleich nichts weiter verstattet war, als dem Herrn mit ihrem duftenden Haar den Staub von den Füßen zu wischen.“

Erstaunlich, ebenso erhellend wie verstörend und auch traurig ist eine „subtile Geschichte“. Strauß berichtet von einem liebenden Mann, der „sexuell unergiebig“ ist. Er bekennt sich zu seiner Geliebten, deklamiert, volltönend, auch aufrichtig, macht viel zu viele Worte. Dieser Mann möchte nichts mehr als lieben. Aber er gelangt an Grenzen: „Woher die geheime, wenn nicht gar rebellische Keuschheit im Untergrund der Umarmung? Ebenso wenig geht es um die Frage nach gewissen nicht ausgelebten Phantasien. Auch bei ihr nicht, alles kommt vor und geschieht, und doch spürt sie bei allem Lustgeschehen etwas Unbewegbares und versteht nicht, wo der Mangel steckt.“ Er gibt sein Bestes, aber er gibt sich nicht hin. Warum nur? Das fragt sich der Leser, aber wahrscheinlich weiß das der liebende Mann selbst auch nicht. Botho Strauß kann dieses Phänomen nur beschreiben: „Und sie sagt: Bei aller Liebe – das Wichtigste, das Höchste von allem sei, es immer wieder zu tun, zu ficken. Um einmal das Wort herauszulassen, das ihnen vielleicht weiterhelfen könnte …“ Der Mann versteht sich auf eine „perfekte Nachahmung von Lust und Liebe“: „Tief innen blieb etwas vom unschuldigen Kind. Oder blieb er jemand, der eine von ihm erregte weibliche Freude eher mit neugierigem Staunen begleitet, als daß sie ihn mitgerissen hätte. Den Neugier überhaupt mehr als Gier an seine Liebste fesselte.“ Er ist „der Rücksichtsvolle“, der nicht weiß, was Sinnlichkeit ist. Sie ist für ihn „unumgänglich“, doch er sieht „die Frau als Mensch“. Er ist nicht lieblos, aber er kann sich nicht verschwenden: „Der also, der sie am ehrlichsten sieht und ausersieht mit unbestechlichem Blick (gibt es den?), gerade er reizt nicht, ihn liebend zu verkennen. Seiner Aufrichtigkeit wegen wird sie ihm gewiß nicht verfallen, ja sie wird ihm nicht einmal verzeihen, denn die sinnliche Armut, nichts als aufrichtig zu sein, unterscheidet von anderen männlichen Schwächen dadurch, daß sie keine Frau rührt und keine Träne bewegt.“ Ob es gänzlich unvorstellbar ist, dass diese Frau einen hilflosen, guten Mann wie diesen nicht doch lieben könnte?

Botho Strauß erzählt von Blessuren flüchtiger und auch intensiver Leidenschaften, zeigt Verwundete und schenkt berührende Einsichten über Menschen, die einander lieben, lieben möchten oder nicht, manchmal auch nicht mehr lieben können. Die Erkundungen im weiten Land der Beziehungen zwischen Mann und Frau beschreibt er mitunter herb und realistisch. Dennoch spüren wir, zumeist sehr leise, wie Strauß in diesem mitunter irritierend wie beglückend außergewöhnlichen, großartigen Band auf seine ganz eigene, unsentimentale Weise empathisch von der rätselhaften Wirklichkeit der Liebe erzählt.

Titelbild

Botho Strauß: zu oft umsonst gelächelt.
Carl Hanser Verlag, München 2019.
213 Seiten, 22,00 EUR.
ISBN-13: 9783446263819

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