Kunst und Kurioses

Ina Braun-Yousefi hat „Clara Viebig neu entdeckt“

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Fraglos ist Ina Braun-Yousefi die profundeste KennerIn Clara Viebigs und ihres Werks. Darum hat sie die Schriftstellerin auch nicht erst jetzt neu entdeckt, wie der Titel ihres jüngsten Buches lautet, sondern jedenfalls schon vor 2019; dem Jahr, in dem der erste Band ihrer Reihe Schriften zur Clara-Viebig-Forschung erschien. Ebenso wie in den bisherigen Bänden bestreitet sie den Inhalt auch diesmal im Wesentlichen selbst und befasst sich in einer Reihe einzelner Untersuchungen mit verschiedenen, oft sehr speziellen Aspekten von Viebigs Wirken. So bietet Braun-Yousefi auch diesmal „Arbeiten zu wenig bekannten biographischen Details, Werkinterpretationen, bibliographischen und verlegerischen Aspekten sowie vergleichende Werkbetrachtungen“.

Im zentralen und umfangreichsten Text des Bandes weist die Autorin Viebigs ebenso mannigfaltige wie „enge Affinität zur Bildenden Kunst“ nach, wozu nicht zuletzt die zahlreichen Abbildungen des Bandes beitragen, die Portraits von Viebig ebenso umfassen wie einige der unter anderem von Heinrich Zille geschaffenen Einbände ihrer Romane. Nicht nur mit ihm, auch mit anderen MalerInnen wie etwa Käthe Kollwitz war Viebig bekannt. In ihren Romanen und Novellen literarisierte die Schriftstellerin diverse fiktionale KünstlerInnen ebenso wie die zu ihren Lebzeiten realexistierende Düsseldorfer Künstlergruppe Malkasten. Erstere etwa in Dilettanten des Lebens oder in Es lebe die Kunst!, letztere in Die Wacht am Rhein. In ihrer kurzen Novelle Freilicht wiederum schlägt sich Viebigs Beschäftigung mit der Pleinair-Malerei nieder. Damit sind nur einige der Aspekte von Viebigs vielfältigen Beziehungen zu den Bildenden Künsten genannt, die von Braun-Yousefi aufgezeigt werden.

Nicht der Bildenden Kunst, sondern der Frage, wie weit sich der „Einfluss“ ihres Ehemanns Friedrich Cohn auf „die Stoff- und Motivwahl sowie die Inhalte von Viebigs Werken erstreckt“, gilt eine der anderen Untersuchungen von Braun-Yousefi. Aufgrund der diesbezüglich „dünn[en]“ Quellenlage ist sie hier allerdings weitgehend auf Vermutungen angewiesen, die allerdings alles andere als aus der Luft gegriffen sind. Sicher ist jedenfalls, dass „Cohn nach Kräften die schriftstellerische Arbeit seiner Frau in verlegerischer Hinsicht und auch mit konkreten Hilfestellungen unterstützt[e]“. Nur mutmaßen kann die Autorin hingegen, „dass Cara Viebig nach dem Tod ihres Ehemannes ihre schriftstellerische Tätigkeit auch deshalb weithin eingestellt hat, weil ihr seine Hilfestellung unentbehrlich geworden ist“.

In weiteren Texten geht die Autorin etwa Fragen des Urheberrechts und des literarischen Nachlasses Viebigs nach, informiert über „Viebigs Alpenskizzen“, die Rezeption von Viebigs Werken in den USA und den niederländischen Kolonien oder sie zeigt, dass sich in Viebigs Frühwerk wiederholt das „Motiv der Wallfahrt“ findet. Oft schildert Viebig „eine innig katholische Volksfrömmigkeit, die sich im Wallfahrtswesen manifestiert“, beklagt aber auch „dessen Auswüchse, welche sich im ungebührlichen Auftreten einiger Wallfahrer und dem Profitstreben bei solchen Massenveranstaltungen manifestiere“. Ist all dies schon recht speziell, so hat Braun-Yousefi in einem weiteren Text noch einige „Kuriositäten zu Viebig“ zusammengetragen.

Vielleicht am interessantesten aber ist ihr Vergleich zwischen Viebig und Nanny Lambrecht, einer anderen „Schriftstellerin[.] des Hohen Venn“. Zwar teilten beide Literatinnen „zahlreiche Gemeinsamkeiten“, doch geht Braun-Yousefi insbesondere auf Unterschiede im Leben und Werk beider sowie auf die „Kontroversen“ zwischen ihnen ein. Während Lambrecht als lesbisch lebende Frau einen gesellschaftlichen „Außenseiterstatus“ innehatte, und, wie Braun-Yousefi annimmt, auch darum „literarisch unorthodoxe Wege“ ging, blieb Viebig „einem konventionellen Lebensentwurf verhaftet“. Hat Lambrecht in ihren frühen Werken noch „christliche Erbauungsliteratur verfasst“, wendet sie sich zum Ende der Nuller-Jahre des neuen zwanzigsten Jahrhunderts davon ab und „übt in ihren Romanen Die Statusdame und Armsünderin Sozialkritik, behandelt die Frauenfrage und stellt ungeschönt das Leid der ledigen unterprivilegierten Mutter in einem Hundsrückdorf dar“. In einzelnen ihrer Werke seien sogar „expressionistische Tendenzen feststellbar“. Leider geht Braun-Yousefi hierauf nicht näher ein und nennt auch keine Beispiele.

Was die literarische Qualität der Werke der beiden konkurrierenden Literatinnen betrifft, ist Lambrecht Braun-Yousefi zufolge Viebig in der „Erzählkonstruktion“ unterlegen gewesen, ihre „sprachliche Kreativität“ habe diejenige Viebigs jedoch übertroffen. Auch sei Lambrecht „die Innovativere“ gewesen und habe zudem etliche Neologismen geschaffen.

Kontroversen zwischen beiden Schriftstellerinnen entzündeten sich etwa an Viebigs Novelle Das Weiberdorf, in der sie „das ungezügelte Verhalten von Frauen in einem Eifeldorf [präsentiert], deren Männer in den rheinischen Eisenwerken ihr Geld verdienen müssen“, was dazu beigetragen haben dürfte, dass sie von ihrer Kollegin als „grimmige Federamazone“ gescholten wurde, „die sich losschält von weiblichen Begriffen der Prüderien und demjenigen, was die Frau dem Manne voraushaben soll“. Später verstieg sich Lambrecht in ihrem Furor sogar zu antisemitischen Ausfällen und warf Viebig „gelinde gesagt, jüdische Anmaßung“ vor, die „in das Kapitel des ‚ewigen Preßjuden’ [gehört]“. Die Beschimpfte zahlte solche Invektiven nicht mit gleicher Münze heim, sondern sandte etwa das Rezensionsexemplar eines der Bücher Lambrechts mit der Begründung an den Absender zurück, dass „diese Dame“ sie „in unerhörter Weise mit Schmutz bewirft, so dass ich keine Neigung habe, mich mit ihr zu befassen“.

Wie bereits in den vorherigen Bänden der Schriften zur Clara-Viebig-Forschung werden Braun-Yousefis Texte auch diesmal durch einige „Gastbeiträge“ anderer AutorInnen ergänzt. Sie behandeln etwa „[ö]kologische und nationalistische Aspekte“ in Viebigs Roman Die goldenen Berge oder holen Viebigs Freundin Emmi Elert aus dem „Schatten“ der Schriftstellerin.

Mit dem vorliegenden Band hat Braun-Yousefi die Clara-Viebig-Forschung einmal mehr um einige Schritte vorangebracht.

Titelbild

Ina Braun-Yousefi: Clara Viebig neu entdeckt.
Verlag Traugott Bautz, Nordhausen 2021.
272 Seiten, 45,00 EUR.
ISBN-13: 9783959485340

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