Ausonius und Su Dongpo

Hans Christoph Buch hat in „Robinsons Rückkehr“ Spaß am Fabulieren

Von Georg PatzerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Georg Patzer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Seine Großmutter war Kreolin, sein Großvater ging als Apotheker und Botaniker nach Haiti, wo er begraben liegt. Sein Leben und seine Arbeit wurden von einem Kollegen, dem Schriftsteller Helmut Eisendle, einmal so zusammengefasst: „Sie waren Romanfiguren in Romanen, die sie selbst verfassten.“ Und Buch kommentiert: „Ja, so kompliziert ist das, Ahnung und Gegenwart planlos durcheinandergewürfelt, eine komplexe Gemengelage.“

In seinem neuen Buch, in dem er diese Charakterisierung auch erwähnt, erzählt Hans Christoph Buch mit der ihm eigenen überschäumenden Phantasie und dem bekannten Anspielungsreichtum sieben Biografien, einige davon in Ich-Form: Ich, Ausonius ist die erste, in der der lateinische Dichter sich gegen das weit verbreitete Urteil wehrt, er sei überhaupt kein Dichter, „und mein Nachruhm werfe ein bedenkliches Licht auf den literarischen Geschmack meiner Zeit“. In einem Nachschlagewerk lese man: „Mit seinem lyrischen Dilettantismus und seinen Formspielereien ist A. ein Zeuge für das Absterben der lateinischen Dichtung.“ Ausonius erzählt vom Verfall Roms zu seiner Zeit, von seiner Schlaflosigkeit, von den römischen Stämmen,

die zuerst Augusta Treverorum, wo ich als Prinzenerzieher und als Konsul wirkte, und später mein geliebtes Burdigala in Schutt und Asche legten. Rückblickend scheint es mir, als seien es Wellen ein und desselben Ozeans, dessen Sturmflut über den Limes schwappte, bevor sie sich in den Okeanos ergoss.

Er berichtet von den Plünderungen und dass die Barbaren seine große Bibliothek als Heizmaterial verwendeten, von seiner Sklavin Bissula, die dem neuen Glauben an den Juden anhing, der am Kreuz starb, von seiner Villa am Westhang des Rheinischen Schiefergebirges und den obszönen Graffiti und dem Verfall der alten Sitten. Am Schluss beobachtet er ein junges Paar, das sich ungeniert auf offener Straße küsst: Ihn irritiert, dass der junge Mann über die Schulter seiner Geliebten hinweg auf seine Armbanduhr der Marke Swatch schielt. Aber Bissula macht ihn darauf aufmerksam, dass Uhren erst tausend Jahre später von Schweizer Mechanikern erfunden werden, die Swatch sogar noch später: „ein Widerspruch, den ich, selbst wenn ich dies wollte, nicht befriedigend erklären kann“.

„Krick? Krack!“, sagen die Märchenerzähler in Haiti, der zweiten Heimat des Schriftstellers Hans Christoph Buch, die ihn zum Erzählen von Abenteuern und zum Abenteuer des Erzählens inspirieren. Die Zeiten werden gemischt und fließen ineinander, ohne dass das der Stringenz des Erzählten irgendwie abträglich wäre. Die sieben Leben des H. C. Buch ist der Untertitel dieses Buchs, das eher ein „Romanbaukasten“ ist, eine Kurzfassung von sieben biografischen Romanen, als ein traditioneller Roman. Es ist gleichzeitig der Abschluss seiner autobiografischen Tetralogie, eine Art Selbsterforschung, aber nicht psychologisch, sondern literarisch versponnen.

Seine Protagonisten sind Menschen mit aufregenden Lebensläufen: Neben Ausonius treten auf Alexander Selkirk, das Vorbild des Robinson Crusoe; sein Urgroßvater Sylla Laraque, der von Port-au-Prince nach New York und Paris ging und unermesslich reich wurde; Gunther Plüschow, der „Flieger von Tsingtau“; Wilhelm Canaris, der Chef der NS-Abwehr; Monika Ertl, die Nichte von Klaus Barbie, die den Mörder von Che Guevara erschoss. Dazwischen stehen immer wieder Buchs Tagebuchnotizen, in denen er von Treffen mit anderen Autoren, mit Günter Kunert oder Günter Herburger, erzählt, über Schreiben, Politik und Leben nachsinnt und über den Tod. Mit diesen kürzeren und längeren Passagen knüpft er an die einfühlsamen Porträts an, die er in Tunnel über der Spree geschrieben hat.

Einer seiner Helden ist ein chinesisches Renaissancegenie, das von 1037 bis 1101 lebte: „Mein Name ist Su Dongpo, und ich bin mehr als 1000 Jahre alt. Nicht weil ich das Elixier des ewigen Lebens entdeckte, sondern aus einem anderen Grund.“ Er war Dichter, Maler, Geschichtsschreiber, Arzt, Architekt, Ingenieur und „leider auch“ Politiker.

Ich habe Dekrete erlassen, Finanzen verwaltet, Straftäter verurteilt, Flüsse eingedeicht und Kochrezepte ersonnen, um die Deichbauer zur Arbeit anzuspornen, habe Heilkräuter gesammelt, Seuchen bekämpft und Krankheiten geheilt, war mit Kaisern und Konkubinen, Eunuchen und Eremiten per Du.

Ein aufregendes Leben, in dem es auf und ab ging, denn „in China ist immer Renaissance, weil das Reich der Mitte nach jedem Dynastiewechsel und jeder Barbareninvasion, nach jeder Adelsrevolte und jedem Bauernkrieg wie ein Phönix aus der Asche neu auferstand“ und „jede neue Dynastie tabula rasa“ macht, „um die Erinnerung an ihre Vorgänger aus dem Gedächtnis zu tilgen“. Er war ein berühmter Dichter und zeitweise hoher Politiker, bis er wieder in Ungnade fiel und dann wieder rehabilitiert wurde: kein seltenes Schicksal für einen gebildeten Chinesen.

Es sind Biografien, die vom Willen ebenso wie von Zufällen bestimmt werden, voller abenteuerlicher Wendungen. So wird Canaris hingerichtet, obwohl er am Widerstand des 20. Juli nicht aktiv beteiligt war, und Monika Ertl verrät Che Guevara, weil sie in ihrem Auto nach einer Panne eine Karte vergisst, auf der sein Aufenthaltsort eingezeichnet ist. Natürlich enden alle Geschichten tödlich, weil das Leben sie schrieb. Andererseits leben sie alle noch wie Su Dongpo, weil ihre Geschichte immer wieder erzählt wird. Und weil man sich, wenn gut und lebendig erzählt wird, so gut mit ihnen identifizieren, in ihr Leben, sogar in ihre Zeit eintauchen kann, und sei es die der Sung-Dynastie. So entsteht traumhafte Literatur, die mit Erwartungen, Ansprüchen und Enttäuschungen spielt, mit der Macht der Fantasie. Und der Leser kann mitspielen, etwas distanziert und in Sicherheit, aber immer bereit, die Geschichte weiterzuspinnen und sie noch mehr auszumalen. Und hat ebenso viel Spaß daran wie ganz offensichtlich der Autor beim Schreiben und Fabulieren.

Titelbild

Hans Christoph Buch: Robinsons Rückkehr. Die sieben Leben des H. C. Buch.
Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt a. M. 2020.
192 Seiten, 20,00 EUR.
ISBN-13: 9783627002800

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