Weite Wege des Erleuchteten?

Vera Johanterwage stellt die altnordische ‚Barlaams ok Josaphats saga‘ als eine erfolg- und folgenreiche Umformung buddhistischer Vorgaben in einen christlichen Kontext vor

Von Jörg FüllgrabeRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jörg Füllgrabe

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

In Zeiten gesellschaftlicher wie allgemeiner Verunsicherung stellte (und stellt in gewissem Maße auch gegenwärtig noch) die Beschäftigung mit Religion beziehungsweise mit religiösen Ideen eine Strategie zur ‚Verarbeitung‘ dieser Krisenempfindung und -erfahrung dar. Dies muss nicht notwendig die Rückbesinnung auf traditionelle Religiosität darstellen, sondern kann durchaus auch weitere Erfahrungshorizonte umfassen. Dass im vergangenen Jahrhundert asiatische Religionen einen besonderen Appeal entfalten konnten, lässt sich etwa an der Faszination für Fernost in der Phase der ‚Flower-Power-Bewegung‘ gut beobachten. Allerdings haben die Hippies dies nicht erfunden, wie etwa ein Blick auf das Œvre Hermann Hesses beweist. Sogar bereits im Mittelalter, also lange vor Hesse, gibt es Belege für entsprechende Verbindungen. Dass gerade auch der europäische Norden hierfür Zeugnis abliefern kann, mag zunächst überraschen, bei näherem Hinsehen jedoch wird deutlich, dass gerade die Wikinger beziehungsweise Waräger aufgrund ihrer Fahrten Kenntnisse auch über fremdes religiöses Gut erlangten, was sich etwa anhand einer beigegebenen Buddhaplastik in einem wikingerzeitlichen Grab belegen lässt.

Inwieweit hier allerdings tatsächlich Phänomene ausgeprägten religiösen Interesses zu belegen sind, erscheint fraglich; vermutlich wurde der kleinen Figur vor allen Dingen ein allgemeiner Amulettcharakter und die daraus folgende Wirkmächtigkeit zugesprochen. Ähnlich verhält es sich mit der von Vera Johanterwage in ihrer nunmehr veröffentlichten Dissertation untersuchten Barlaams ok Josaphats saga, in der die Bekehrung des indischen Prinzen Josaphat durch seinen christlichen ‚Guru‘ Barlaam erzählt wird. In kulturgeschichtlichem Zusammenhang mit der Vorstellung des Priesterkönigs Johannes, der im mittelalterlichen Europa aus vagen Vorstellungen über eine ferne orientalische Christengemeinde zu einer vielzitierten und -berufenen Hoffnungsgestalt erdacht und in vielerlei Texten dann auch literarisch transferiert wurde, lässt sich hier am ehesten die Idee einer Vorbildhaftigkeit des Christentums mit allen Konsequenzen beobachten.

Dass der in der Saga beschriebene Konvertit Josaphat letztlich der historische Gautama, also der zum Buddha Erleuchtete ist, lässt diese Vorstellung ebenso faszinierend wie absurd erscheinen. Gleichwohl war die Idee so attraktiv, dass das Sujet mehrfach bearbeitet wurde. Die von Johanterwage in den Blick genommene Fassung stellt die erste, vermutlich von Kronprinz Hákon initiierte nordische Fassung des Stoffes dar. Das Bestreben der Verfasserin liegt einerseits darin, diese Bearbeitung vor dem Hintergrund der lateinischen Vorlage in einen text- wie kulturgeschichtlichen Kontext zu bringen, andererseits den Fokus auf Stil und Entwicklung der altnordischen Literatur überhaupt zu lenken.

Folgerichtig steigt die Autorin mit der Vorstellung des Sujets und seiner Verbreitung im europäischen Mittelalter in ihre Arbeit ein. Nach der Hinführung respektive Herleitung der indischen Ursprungssage und der weiteren Wanderung nach Griechenland werden neben den lateinischen, deutschsprachigen und skandinavischsprachigen Fassungen des Barlaam auch die bildlichen Umsetzungen des Motivs vorgestellt. Hier vor allem, aber auch in Bezug auf Handschriftenverweise sind einige, allerdings nur einfarbige, Abbildungen eingebaut, die zum einen der Veranschaulichung dienen, zum anderen aber – zumindest was die bildlichen Darstellungen im architektonischen Kontext angeht – durchaus die Neugier wecken, diese direkt in Augenschein nehmen zu wollen. Unter dem mehrdeutigen Untertitel Wohin des Weges Barlaam? weist Johanterwage in knapper, aber eindrucksvoller Weise die Tradierung des Barlaam-Motivs beziehungsweise Beeinflussungen durch einzelne Abschnitte dieser Überlieferung in der Neuzeit nach. Hier tut sich, so scheint mir, ein weites Forschungsfeld auf, das bislang noch weitgehend brach liegt.

Kernanliegen der vorliegenden Publikation ist jedoch die Überlieferung der altnordischen Barlaams ok Josaphats saga, die zunächst im Kontext ihres möglichen Verfassers, Prinz Hákon, vorgestellt und dann hinsichtlich ihrer Tradierung in den verschiedenen erhaltenen Manuskripten behandelt wird. In den Kontext der Handschriftenüberlieferung gehört auch der dankenswerterweise ausgewiesene Stammbaum der Textüberlieferung(en). Nach einem Exkurs zur Klärung des Begriffs ‚Legende‘ unternimmt die Autorin einen Vergleich zwischen der lateinischen und der altnordischen Fassung respektive den Fassungen und weist dabei etwa Kürzungen und Erweiterungen der volkssprachlichen Überlieferung nach, die die Produktivität der Bearbeitung zu belegen vermögen.

Der folgende Abschnitt stellt die Barlaam-Überlieferung in den Kontext der norwegischen Literatur des 13. Jahrhunderts. Als Matrix für die Saga werden Vergleiche mit dem ‚höfischen‘, ‚florissanten‘ sowie ‚gelehrten‘ Stil gezogen. Hier wird, ebenso wie in den vorherigen Vergleichen, mit adäquatem Zitatmaterial gearbeitet, das es einfacher macht, die gezogenen Vergleiche und Argumentationslinien nachzuvollziehen. Johanterwage zeigt hier Verknüpfungen auf, die sich zwar im Kontext der mittelalterlichen Literatur Norwegens bewegen, die aber durchaus auch Analogien zu anderen Überlieferungsfeldern aufzuweisen vermögen. Des Weiteren werden stilistische Elemente des Textes untersucht, wobei etwa Wortpaare in den Fokus gestellt werden. In diesem Zusammenhang arbeitet die Verfasserin dankenswerterweise mit tabellarischen Übersichten, anhand derer auch ohne eine vorliegende Textausgabe Argumentation und Ergebnis verdeutlicht werden können. Hier wird zum wiederholten Male – Vergleichbares lässt sich auch bei dem dargestellten Stemma zur Entwicklung der Barlaams-Überlieferung erkennen – das adäquate Vorgehen zu einer visualisiert-erweiterten Darstellung der ‚Beweisführung‘ deutlich, das einen Pluspunkt des Buches darstellt.

Im wortstilistischen Feld bewegt sich auch die daran anschließende Betrachtung der Präsenspartizipien, bevor weitergehende Aspekte wie etwa die Frage nach höfischen Elementen in der Barlaams ok Josaphats saga diskutiert werden. Neben Meta-Aspekten wie ‚höfischer Pracht‘, ‚hierarchischer Strukturen‘ sowie der ‚Darstellung von Emotionen‘ wird der Blick dann wieder auf das Feld des ‚höfischen Vokabulars‘ gelenkt. Hier ist wieder die Abbildung eines Handschriftenblatts beigegeben, allerdings wird aus naheliegenden Gründen – es handelt sich hier um eine deutschsprachige Fassung – eine das höfische Geschehen illustrierende Seite aus dem Augsburger Druck Günther Zainers von 1476 erst später innerhalb dieses Abschnitts vorgestellt.

Konsequent stellt die Autorin darauf folgend die Barlaams-Überlieferung nochmals in einen weiteren Kontext norwegischer Literatur des Mittelalters, so etwa zu Konungs skuggsjá und Stjórn, bevor das Feld der Riddarasögur aufgetan wird und dabei die bereits ausgearbeiteten Argumentationslinien nochmals verdichtet werden. Insbesondere gelingt der Nachweis einer engen Anbindung des Barlaam-Textes an den Königshof, der bereits über die vermutete Rolle Hákons von Norwegen hergestellt worden war. Dass der Komplex auch im skandinavischen Norden weitergegeben wurde, wird anhand der isländischen Überlieferungen deutlich, die anhand von Barlaam og Josaphat in der Reykjahólabók – einer nach Aussagen der Verfasserin (zu) wenig beachteten Variante – ausführlich vor- und dargestellt werden.

Offenbar war das Motiv des Barlaam so beliebt, dass es nach dem Weg der ‚buddhistischen Matrix‘ aus Indien zunächst in eine griechische Legende umgeformt wurde, die mit dem Leben des historischen wie religiös-philosophischen Buddha nichts mehr zu tun hatte, sondern dem Wunsch nach gewissermaßen erweiterter christlicher Erbauungsliteratur entsprach und entsprang. Über die lateinische Fassung gelangte der Stoff nach Mittel- und Nordeuropa, wo er in Form der Barlaams ok Josaphats saga am norwegischen Königshof tradiert wurde. Dies war offenbar sehr erfolgreich, denn „die ausgesprochen breite Überlieferung der Saga zeugt davon, daß sie auch in späterer Zeit nichts von ihrer Attraktivität verloren hat, und dies möglicherweise nicht nur wegen ihres Inhalts“. Anhand der nachgewiesenen auffällig geringen Abweichungen auch in späteren Texten „steht zu vermuten, daß die Sage auch wegen ihrer sprachlich-stilistischen Gestaltung geschätzt wurde“, so Johanterwage.

Bei der Barlaams ok Josaphats saga handelt es sich also um ein äußerst interessantes Phänomen beziehungsweise um eine Manifestation eines solchen. Wesentlich ist, dass hier ein Text und ein Motiv vorgestellt werden, die sowohl literatur- wie geistesgeschichtlich in einen größeren Zusammenhang eingeordnet werden können. Der Autorin gelingt es, entsprechende Aspekte und Mechanismen zu diskutieren, sodass die zugrunde liegenden Ideen und Vorstellungen recht gut sichtbar gemacht werden. Eine umfangreiche Bibliographie rundet dieses empfehlenswerte Werk ab, das zwar zuvorderst in der Skandinavistik auf Interesse stoßen wird, das aber durch die teils angerissenen, teils explizierter formulierten Darstellungen größerer Zusammenhänge auch über diesen Kreis hinaus von Interesse sein sollte.

Ein Beitrag aus der Mittelalter-Redaktion der Universität Marburg

Titelbild

Vera Johanterwage: Buddha in Bergen. Die altnordische ‚Barlaams ok Josaphats saga‘.
Universitätsverlag Winter, Heidelberg 2018.
304 Seiten, 36,00 EUR.
ISBN-13: 9783825367435

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch