Der Getreue des Herrn

Burkhard Spinnens Roman „Rückwind“ verspricht eine furiose und hautnahe Geschichte

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Was ist los mit Burkhard Spinnen? Dicker Mann im Meer (1991) – das war noch ein Buch, an das es sich zu erinnern lohnt, und auch ein Exempel für eine neue deutschsprachige Literatur in den 1990ern. Und jetzt Rückwind, sein neuestes Romanprojekt aus dem schönen Münster.

Ein Unternehmer namens Hartmut Trössner hat an einem Tag alles verloren, was ihm gut und teuer war: sein Kind, seine Frau, sein Haus und sein Unternehmen. Das Kind ertrinkt in der Badeanstalt, die Frau wird von einem Rotorblatt geköpft, in das sie aufgeschreckt und panisch mit dem Elektroauto hineinrast, als es gerade abgesetzt werden soll. Splatter muss sein. Das Haus brennt ab, weil es zu einem Kurzschluss kommt, wird es doch von einem benachbarten Windpark versorgt. Das Unternehmen geht in die Insolvenz, weil die chinesische Konkurrenz mit einem neuen, billigen, besseren Produkt sämtliche Kunden abwirbt.

Und schon sind wir mittendrin im aktuellen Geschehen, denn Hartmut Trössner ist der Vorzeigemann der Windbranche, der einen ehemaligen Spezialmaschinenbauer binnen weniger Jahre in das wohl wichtigste Unternehmen der Windindustrie in Deutschland umgebaut hat. Er hat jedes Glück, das man haben kann. Ein Kind und eine berühmte Schauspielerin, ein Haus, das er nach seinen eigenen Wünschen umgebaut hat. Jetzt, nach einer furiosen Geschichte, ist er jedoch am Ende – ein Wrack, das in die Psychiatrie geht und aus der Welt verschwindet. Um dann umso furioser zurückzukehren, womit wir beim eigentlichen Romangeschehen wären. Denn Spinnen erzählt die Geschichte dieses Hartmut Trössner eingebettet in seine – wenigstens zeitweise – Rückkehr ins Leben. Der Protagonist macht sich auf und fährt nach Berlin. Damit er jemanden treffen kann, macht er das mit dem Zug und lernt dort prompt eine junge Frau kennen, die ihn im restlichen Roman begleitet und die er schließlich zur Nachfolgerin seiner Frau in jener Politserie macht, mit der die Verblichene enorm erfolgreich gewesen ist. So erfolgreich, dass die Grenzen zwischen Realität und Fiktion verschwimmen. Dieser Frau erzählt er sein Leben, womit er es dann auch uns erzählt.

Das Ganze geschieht natürlich sehr reflektiert, alles kommt gewissenhaft dran, was vielleicht eine Rolle spielen könnte. Anscheinend muss alles gesagt sein und erzählt werden, damit die Selbsttherapie, der sich Trössner unterzieht, erfolgreich sein kann. Alle Freundinnen werden abgehakt, das schmerzhafte Verhältnis zum Vater, die eigentlichen Neigungen, das Talent, das ihn in die Bredouille bringt und so weiter.

Um mehr Tiefe zu bekommen, lässt sich Spinnen noch eine Off-Instanz einfallen, deren Hauptanliegen ist, Trössner möglichst viele Vorhaltungen zu machen. Damit hat es sich dann auch mit den Furiositäten, denn im Kern ist Spinnens Roman eine konventionelle Krisenbewältigungserzählung und völlig humorlos angelegt: Reicher Mann mit großer Fallhöhe rappelt sich wieder auf, um sein Leben zu erzählen und schließlich, nachdem das dann getan und die Ordnung wiederhergestellt ist, aus dem Romangeschehen wieder zu verschwinden. Fallhöhe ist gut, weil der Absturz dann umso schmerzhafter ist, deshalb reicht eine normale Mittelstandsfigur nicht. Es muss schon jemand Spezielles sein, damit Hiob dabei herauskommt – den Hinweis auf die biblische Figur lässt sich der Klappentextschreiber dann auch nicht nehmen.

Versprochen war vom Verlag aber eine Erzählung „hautnah an unserer Gegenwart“. Damit das dann auch eingelöst wird, ist Trössner in den Erneuerbaren Energien tätig (alternativ wäre noch die Automobilbranche samt Dieselbetrug denkbar), und die Serie, die mit seiner Frau so erfolgreich die Grenzen zwischen Dokumentation und Fiction verschwimmen lässt, hat eine rechtspopulistische Aufsteigerpartei zum Gegenstand, quasi die AfD ins Fiktionale gewendet.

Wir haben es also mit einem Roman zu tun, der gleichermaßen im Wirtschaftsleben und in den Medien spielt, was dann gelegentlich ein wenig überladen wirkt. Schlimmer geht ja immer, aber muss das sein? Braucht es das? Der Sohn wird gemobbt, weil seine Mutter eine rechtspopulistische Politikerin spielt und kommt dabei zu Tode? Muss die Frau denn mit einem E-Auto panisch durch die Gegend fahren und auch noch von einem Rotorblatt geköpft werden? Ein normaler Auffahrunfall hätte es doch auch getan. Und dann die plötzliche Insolvenz, wo Trössner doch gerade noch das Ärgernis für einen Konkurrenten namens Ventas (haha, erkennt man) gewesen ist. Und der Kurzschluss im windparkversorgten Haus? Da ist wohl an einem geeigneten Elektriker gespart worden.

Das lädt geradezu ein zu einigen Bemerkungen über das Wirtschaftsleben im Roman, das – wen wunderts – zu mancher Schurkerei gut ist. So wird gelegentlich erzählt, wie Trössner zu seinem Haus gekommen ist, von dem aus er den Blick auf sein Windtestfeld genießt. Jeder hat immerhin das Recht, sich selbst auszusuchen, was er schön findet. Nun wird im Roman gesagt, dass an dieser Stelle das Haus so hätte gar nicht gebaut werden dürfen, warum auch immer (der Roman schweigt sich darüber aus), aber Trössner, der Big Boss, zieht ein paar Strippen und schon hat er eine Ausnahmebaugenehmigung samt Versorgungsleitungen, die extra für ihn gelegt werden. Das zum Thema Rechtsstaat, ist auch nicht mehr das, was er mal war. Aber für Bosse gabs immer schon ein Extra-Recht (oder?).

Aber es geht weiter, denn berichtenswert ist immerhin noch, dass es Trössner gelingt, die Baukosten wenigstens teilweise als Werbungskosten abzusetzen – wie auch immer, der Roman macht sich da keine Gedanken, warum auch, Steuerhinterziehen gehört doch zum Geschäft. Aber ein bisschen Präzision könnte man schon noch verlangen, wenn es den stimmig sein soll. Denn entweder hat Trössner das Haus privat gebaut, dann gibt’s keine Werbekosten abzusetzen. Oder er hat getrickst, dann hat einer seiner Windparks das Haus bezahlt und keiner hatʼs gemerkt (da müssen nur Buchhaltung und Bauleitung und wer auch immer mitspielen). Oder die Firma hat das Haus gebaut, und dann auch bezahlt. Dann wohnt er zur Miete (wenn keine Miete, dann geldwerter Vorteil, muss man auch als Einnahme versteuern) und die Kosten sind Kosten der Firma. Aber als Werbekosten absetzen? Das macht, wie manʼs auch dreht und wendet, keinen Sinn. Oder aber das Finanzamt ist auch nicht mehr das, was es einmal war.

Und so geht’s die ganze Zeit, alles ein wenig vollmundig erzählt. Spinnen entlehnt einiges aus der Geschichte der Windbranche, etwa vom frühen Erfolg des Aeroman getauften Windkraftwerks, das zu Hunderten in den USA gebaut wurde. Allerdings nicht von einem visionären Windkraftpionier, sondern von MAN. Die eine oder andere heftige Insolvenz hat vielleicht Pate gestand, jüngst noch ein Unternehmen namens Senvion. Das aber war eine AG. Und das auch nicht wegen der chinesischen Konkurrenz, sondern wegen schlechter Verträge, hoher Strafzahlungen oder weil sie sich verzockt haben. Verheerend war die chinesische Konkurrenz für die deutsche Solarbranche, die ja in der Tat einen kleinen Sonnenkönig kannte, den Bonner Solarworld-Gründer Frank Asbeck. Auch der eine oder andere Windpionier der vergangenen Jahrzehnte, etwa Aloys Wobben oder Franz Tacke, könnte Vorbild gewesen sein. Aber das sind tatsächlich nur Petitessen, es geht immerhin um eine Lichtgestalt, die tief fällt und sich wieder aufrafft. Da ist am Ende das Vorbild egal und die Korrektheit der Details vielleicht nachrangig. Die Handlung muss halbwegs plausibel sein und stimmen können, darauf kommtʼs an. Was aber schließlich doch zu dem Eindruck beiträgt, dass Spinnen vor allem ein paar Sentiments und Ressentiments aufspielt (Wirtschaftsbosse, Kapitalismus, Medien, Windenergie, Populismus), um seinem Roman zu etwas mehr Biss zu verhelfen. Aber das war wohl vergeblich.

Denn am Ende bleibt eine Frage: Wen und warum interessiert das Leiden eines Hartmut Trössner? Weil er der Getreue des Herrn ist, um dessen Duldsamkeit er mit dem Satan gewettet hat? Soviel Ehre will man ihm nicht antun.

Titelbild

Burkhard Spinnen: Rückwind. Roman.
Schöffling Verlag, Frankfurt a. M. 2019.
400 Seiten, 24,00 EUR.
ISBN-13: 9783895610493

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