Bücher, die keine sind

Philippe Cordez und Julia Saviello geben einen aufwändig gestalteten Band über „Fünfzig Objekte in Buchform“ heraus

Von Günther FetzerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Günther Fetzer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wer kennt sie nicht, die naserümpfenden Auslassungen in den intellektuellen Feuilletons über die „Buchattrappen“, die „Buchsimulanten“, die „Unbücher“, den „Kitsch“ in Buchform. Eine seriöse, gar wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Büchern, die keine sind, ist äußerst selten. Genauer gesagt: Nach Kurt Köster (1912–1986), dem Direktor der Deutschen Bibliothek in Frankfurt, der sich in den 1970er und 1980er Jahren in mehreren Aufsätzen mit „Buchverfremdungen“, wie er sie nannte, befasst hatte, ist der 2020 erschiene Band Fünfzig Objekte in Buchform die erste umfangreiche Darstellung. Sie spannt den historischen Bogen von einem Reliquiar in Buchform aus dem mittleren 14. Jahrhundert bis zur Laptoptasche vom Beginn des 21. Jahrhunderts. Diese hüllt den Computer in ein Futteral, das ihn wie ein Buch mit abgewetztem Ledereinband aus der Zeit der vorletzten Jahrhundertwende aussehen lässt.

Auswahlkriterium für die Objekte war „neben dem repräsentativen Wert der Objekte immer auch deren herausragende gestalterische oder konzeptuelle Qualität“. So finden wir – in Buchform – unter anderem einen Konfektkasten, ein astronomisches Kompendium und eine Tischuhr (16. Jahrhundert), ein Pistolenversteck und eine Kollektebüchse (17. Jahrhundert), einen Besteckkasten, ein Schönheitsetui und eine Camera obscura (18. Jahrhundert), eine Taschenapotheke und ein Beschneidungsset (19. Jahrhundert) sowie eine ‚achtbändige‘ Keksdose, ein Whiskey-Versteck und eine Spardose der Dresdner Bank (20. Jahrhundert). Die zeitlichen Schwerpunkte der Auswahl liegen auf dem 16., dem 18. und dem 20. Jahrhundert.

Mehr als vierzig Autorinnen und Autoren aus verschiedenen Fachrichtungen beschreiben die Objekte unter dem innovativen Ansatz der „Objektkombination“: Diese Objekte haben die Form und zeigen die formalen Elemente eines Buchs, erfüllen aber fremde Funktionen. Das Besondere daran ist, „dass es sich um Kombinationen handelt, die evident sind und sein sollen. Solche ambivalenten Objekte bringen und halten Objektgattungen, die ansonsten klar voneinander getrennt sind, materiell zusammen. Sie vermitteln so auch symbolisch zwischen unterschiedlichen Kategorien“.

Die Beiträge folgen streng diesem methodischen Zugriff und beschreiben sorgfältig das Buchförmige des Objekts sowie den Bereich, mit dem das „Buch“ kombiniert wurde. Beispielhaft dafür ist der Artikel über eine Vogelorgel aus dem Frankreich des 18. Jahrhunderts. Der Objektbeschreibung folgt die Einbettung in die aufklärerische Beschäftigung mit Vögeln und gipfelt in dem Resümee, die Vogelorgel in Gestalt eines Buchs stehe „emblematisch für die humanistische und naturalistische Philosophie der Aufklärung“.

Der großformatige Band bietet auch eine umfangreiche Bibliografie zum Thema und ist mit fast 120 vierfarbigen Abbildungen großzügig gestaltet. Der Ladenpreis von 49 Euro ist angemessen.

So gelungen in den allermeisten Fällen die einzelnen Beiträge sind, so vermisst man doch vonseiten der Herausgeber übergeordnete Gesichtspunkte. Leider begnügt sich Philippe Cordez – die Kollegin Julia Saviello kommt nicht zu Wort – mit einer knappen Beschreibung der Objektkombination („Bibliomorphie“). Sicher lässt sich anhand von fünfzig Beispielen nicht so ohne weiteres eine Typologie der Objekte in Buchform erstellen, aber zusammen mit den Arbeiten von Köster, dem Cordez eine verdienstvolle Hommage widmet, wäre es doch einen Versuch wert gewesen, einleitend Funktionen dieser Bücher, die keine sind, herauszuarbeiten, seien es magisch-rituelle Funktionen, seien es solche des Verpackens, des Verbergens oder des Informierens. Und natürlich haben diese Objekte in der Regel auch die zusätzliche Funktion der Repräsentation.

Schließlich ist auf eine gewisse Inkonsistenz der Auswahl hinzuweisen. Betrachtet man die fünfzig Objekte, die Cordez und Saviello in ihrem Buch präsentieren, so trifft der Terminus Objekte in Buchform in einigen Fällen nicht zu, etwa bei dem Ofen aus dem Salzburger Land (Mitte 18. Jahrhundert), der mit Buchrücken (und nur mit Buchrücken) aus Keramik verziert ist. Auch der Schreibtisch aus dem Frankreich des 18. Jahrhunderts mit einer fingierten Buchreihe als Aufsatz ist kein Objekt in Buchform. Das gilt in jedem Fall für die Gussform für Ahornzucker, die keinerlei Buchähnlichkeit aufweist. Schließlich fällt auch Timm Ulrichs Plastik Denken Sie immer daran, mich zu vergessen, eine Porzellanplatte auf einem Marmorständer, aus der Reihe.

Titelbild

Philippe Cordez / Julia Saviello: Fünfzig Objekte in Buchform. Vom Reliquiar zur Laptoptasche.
Dietrich Reimer Verlag, Berlin 2020.
260 Seiten , 39,00 EUR.
ISBN-13: 9783942810463

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