Aufforderung zum Sonnentanz

Dietmar Daths Science-Fiction-Roman „Der Schnitt durch die Sonne“ wird den Erwartungen nur teilweise gerecht

Von Stefan HöppnerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefan Höppner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Leicht macht es Dietmar Dath seinen Leser_innen eigentlich nie. Sein Output ist kaum noch zu überschauen: Jedes Jahr erscheint mindestens ein Roman. Dazu kommen Essaybände zu künstlerischen und politischen Themen (gern im Dialog mit Co-Autorinnen), eigene Kooperationen in der bildenden Kunst und gemeinsame Alben mit der Karlsruher Improv-Band Kammerflimmer Kollektief als The Schwarzenbach. Aber es ist nicht nur die Quantität, die fordert: Als Erzähler schreibt er anspruchsvolle Fantastik, die eher mit intellektuellen und mathematischen Konzepten experimentiert, als sich in altbekannten Handlungsmustern und technischen Detailangaben zu verlieren. Die Bände erscheinen in den verschiedensten Verlagen, von kleinen Indie-Häusern wie dem Verbrecher Verlag bis hin zu Suhrkamp und S. Fischer. Dort erscheint nun nach der Zweitauflage von Venus siegt (2015) auch sein neuester Science-Fiction-Roman, Der Schnitt durch die Sonne. Kritiker Denis Scheck hat ein Statement für den Klappentext zur Verfügung gestellt und die Messlatte sehr hoch gelegt: Der neue Roman, schreibt Scheck, stehe „in der Tradition von H.G. Wells, Stanislaw Lem und Arno Schmidt. Ein abenteuerlicher, philosophischer Roman, der sich den drängenden Fragen unserer Gegenwart stellt.“ Klar ist, dass diese Namen auch eine Leserschaft ansprechen, die um SF sonst einen so weiten Bogen schlägt wie überzeugte Wagnerianer um die CD-Serie „Ich mag keine Klassik, aber das gefällt mir!“ Aber kann Dath diesen enormen Vorschusslorbeeren gerecht werden? Ja – aber nur zum Teil.

Der Roman beginnt damit, dass ein rätselhaftes Mädchen namens Teiresias eine Gruppe von fünf Menschen für eine spezielle Mission rekrutiert: Den türkisch-amerikanische Koch Aykut, den Straßenmusiker Bernhard, den Finanzberater Karel, die Pianistin Marianne und die Mathematikerin Vera. Sie werden zu einem Ort gebracht, der als Handlungsort für die SF nicht gerade auf der Hand liegt, weil organisches Leben dort nicht möglich ist – nämlich auf die Sonne. Die Gruppe der Fünf landet allerdings nicht auf einem glühenden Feuerball, sondern in einer Simulation, die in leichter Verfremdung ihre irdische Umgebung spiegelt. Zuerst räumlich getrennt, finden sie allmählich zusammen. Die Sonne ist, jedenfalls in der Simulation, kein lebensfeindlicher Ort, sondern Sitz einer uralten Zivilisation, in der allerdings zwei Parteien im Konflikt miteinander liegen. In dieser Konstellation sind die Erdbewohner mit ihrem jeweiligen Spezialwissen gefordert. Gemeinsam sollen sie herausfinden, was mit dem Koronakind geschehen ist. Ein geheimnisvolles Wesen mit unbekannten Fähigkeiten, das von der Sonne verschwunden ist – aber was genau ist mit ihm geschehen und wozu ist oder war es in der Lage? Dieses Rätsel, soviel sei verraten, können sie nicht wirklich lösen. Dafür sind sie unsere Stellvertreter in einer ganz eigenen Welt, die sie nach und nach erkunden. Und Dath geizt nicht mit Ideen, diesen anderen Kosmos bis ins Detail auszugestalten. Allmählich geraten die Figuren zwischen die Fronten und bemerken im Nachhinein, dass sie von der Sonnenzivilisation wie Versuchstiere benutzt werden, an denen man feststellen will, wie viel die irdische Bevölkerung von der weit fortgeschrittenen Wissenschaft der Sonnenwelt versteht. Am Ende kehren sie auf die Erde zurück – was nicht alle überleben – und haben zumindest verstanden, dass sie ihr Wissen teilen und gemeinsam handeln müssen, um die Verhältnisse auf der Erde zu verbessern. Der Roman atmet, wie sie oft bei Dath, die Utopie einer brüderlichen, egalitären Gesellschaft und endet so auf einer optimistischen Note.

Die Sonnenwelt, in die Dath seine Figuren schickt, ist faszinierend, und sein Roman intellektuell durchaus anspruchsvoll – insofern stimmt Schecks hehrer Vergleich. Andererseits belädt er den Plot mit Gewichten, die die Geschichte nicht wirklich voranbringen. In diesem Fall ist es die mathematische Kategorientheorie, die in der Intention des Autors die Beziehungen zwischen den Figuren schematisieren mag, aber den Lesern nicht wirklich anschaulich gemacht wird. Oder sollte Dath glauben, wie Johann Gottlieb Fichte im Vorwort seiner Wissenschaftslehre,  er schreibe bereits „an der Grenze [seiner] Verständlichkeit“?  Die Folge ist, dass es schon packendere Romane des Autors gegeben hat, etwa das tausendseitige Epos Für immer in Honig (2005) oder zuletzt der mitreißende Religions- und Zombieroman Leider bin ich tot (2016). Trotzdem lässt man sich gern mit den vertraut wirkenden und sympathischen Figuren in die fremde Welt hineinziehen. Der Schnitt durch die Sonne ist keiner von Daths allerbesten Romanen, aber er bietet tatsächlich Phantastik auf hohem Nievau.

Titelbild

Dietmar Dath: Der Schnitt durch die Sonne. Roman.
S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2017.
361 Seiten, 24,00 EUR.
ISBN-13: 9783103973068

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch