Kriminalistische Zeitreise mit aktuellem Bezug

Daniel de Roulet schreibt in „Staatsräson“ über das Geheimnis des Staates und der Menschen

Von Stefanie SteibleRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefanie Steible

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Dieser kurze Roman versetzt uns zunächst 45 Jahre zurück in das Jahr 1977. Eine Zeit, in der in Deutschland die Rote-Armee-Fraktion so aktiv wie nie zuvor war und gerade den Arbeitgeberpräsidenten Hans-Martin Schleyer entführt und als Geisel genommen hat.

Parallel dazu kämpfen die Separatisten im Schweizer Jura dafür, dass der Kanton endlich unabhängig wird. In diesem Kontext entspannt Daniel de Roulet eine kriminalistische Geschichte, die teils unglaubwürdig erscheint, aber in dem Moment, wo wir näher in sie eintauchen, umso mehr erschreckt. Nichts scheint mehr, wie es war, Fiktion und Realität verschmelzen, auch weil die tragenden Figuren in der Realität tatsächlich existierten, und tiefe Geheimnisse treten ans Tageslicht. Es sind persönliche Mysterien, aber auch solche des Staates, die wir zunächst nur schemenhaft erkennen, bevor es uns wie Schuppen von den Augen fällt.

Der Autor versucht mithilfe des Journalisten Niklaus Meienberg, der eigentlich in Paris ansässig ist, aber nun den Auftrag einer großen deutschen Zeitung für eine Artikelserie erhält, drei Todesfälle aufzuklären, die zunächst nichts miteinander zu tun haben zu scheinen. Meienberg hatte zuvor aufs journalistische Gaspedal getreten und war dabei einigen zu weit gegangen, so dass er bei seiner Hauszeitung Schreibverbot erteilt bekommen hat. Während seiner journalistischen Recherchen zu den Todesfällen wird er von Flavia Furgler begleitet, die seine Freundin ist, aber zugleich pikanterweise die Tochter des Schweizer Bundespräsidenten Kurt Furgler. Seine Recherchen bringen nicht nur ihn an Grenzen, sondern auch die Beziehung zu der jungen Frau, genauso wie die politische Karriere ihres Vaters zunehmend in Gefahr gerät. 

Es geht aber nicht um die Geschehnisse im Einzelnen und wie sie miteinander verwoben sind, sondern vielmehr um die sehr aktuelle Frage, was die Bürger wissen dürfen, was geschrieben werden darf und welche Rechte der Staat hat. Also letztlich darum, ob alles aufgeklärt werden kann und muss, und wie es sein kann, dass vieles im Dunkeln bleibt, das aufgeklärt gehören würde. 

Der Roman strengt an und ist zugleich genial geschrieben. Auf nur 112 Seiten kommt vieles zusammen, das Spannung bietet, aber genauso große Fragen aufwirft und dadurch aktueller denn je erscheint. Die Figuren in diesem Buch sind nicht erdacht, sie existierten in der wirklichen Welt, doch die Leistung von de Roulet besteht darin, hier eine intelligente Kombination aus Erzählung und wahren Fakten zu konstruieren. Mehrmaliges Lesen empfiehlt sich, um dieses kleine Meisterwerk in seiner Gesamtheit verstehen zu können. Im Ergebnis dürfte man zu der Einschätzung kommen, dass Widerstand angebracht ist, aber auch seinen Preis hat.

Titelbild

Daniel de Roulet: Staatsräson.
Limmat Verlag, Zürich 2021.
120 Seiten, 24,00 EUR.
ISBN-13: 9783039260195

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