Keine Feministin?
Die nicht ganz unerwartete Antwort der französischen Autorin Rachilde auf eine radikale Frage
Von Walter Delabar
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseDie gealterte emanzipierte Frau über die Übertreibungen ihrer jugendlichen Nachfolgerinnen? Die Sachen machen, die ihr entschieden gegen den Strich gehen? Alte Leute können da manchmal sehr entschieden sein, wennʼs darum geht, was geht und was nicht geht. Gerade, wenn dabei Fortschritt mit verhandelt wird.
Rachilde (bürgerlich Marguerite Eymery, 1860-1953) ist in Deutschland eine bislang unbekannte Autorin, in Frankreich freilich ist sie wohl – nach Jahren, in denen sie in Vergessenheit geraten war – wieder in den Blick geraten, berühmt insbesondere durch ihren Roman Monsieur Vénus, 1884 erschienen.
Der in Heidelberg ansässige Flur-Verlag hat nun einen provokanten Essay Rachildes, herausgegeben von Barbara Vinken, publiziert. Und diese gut 130 Seiten haben es in sich. Vor allem ein großes Lesevergnügen.
Wenn eine Frau selbst im Jahr 1928 demonstrativ behauptet, keine Feministin zu sein, dann kann man sich schon denken, in welche Ecke sie gehört, glaubt man. Im Fall Rachildes jedoch steht der schnellen Verortung der Autorin im konservativen Milieu ihre eigene Biografie entgegen. Rachilde war eben nicht nur eine bekannte und anscheinend sehr produktive Autorin – ins Deutsche übersetzt liegen aber derzeit von den 60 Romanen, von denen eine bekannte Online-Plattform schreibt, kein einziger vor. Die Reclam-Ausgabe von Monsieur Vénus aus dem Jahr 2020 scheint bereits vergriffen. Nada.
Das war schon einmal anders, denn im frühen 20. Jahrhundert ist eine Reihe von Romanen Rachildes in Deutschland verlegt worden, von denen sich heute aber anscheinend nur noch wenige Exemplare finden lassen, und dann für gutes Geld. Wer des Französischen nicht mächtig ist, muss sich also derzeit mit Rachildes Absage an den Feminismus abfinden, und wird dabei eine äußerst amüsante und beredte Autorin kennen lernen.
Sicher, es ist Rachilde ernst mit dieser Absage. Ihr gehen die Exzesse der jungen Frauen, der Garçonne, der Girls, der Flapper anscheinend ganz mächtig auf die Nerven. Ihr sind diese jungen Frauen zu exaltiert, zu experimentell, zu sehr darauf aus, extravagante Erfahrungen zu machen, zu mager, zu high, zu kurz die Haare geschoren, zu einförmig auf Krawall gebürstet. Die intellektuellen Höhenflüge der jungen Frauen sind ihr nicht geheuer, die Freiheiten, die sie sich nehmen, zu groß. Der Hedonismus ist ihr zu sehr gewollt, und die Libertinage aufgesetzt, die Emanzipation zu brüchig.
Die Argumente, die sie gegen diese neuen Frauen, die das Umfeld der 1928 schon fast Siebzigjährigen aufmischen, kommen dabei – aus heutiger Sicht – aus der Mottenkiste misogyner Vorurteile. Die nachrangigen intellektuellen Fähigkeiten von Frauen – ein Paul Julius Möbius hätte das kaum prägnanter formulieren können. Nur Rachilde begründet das eben nicht mit der Aufgabe von Frauen, Kinder zu gebären und aufzuziehen – dafür sollten sie eben nicht zu gelehrt sein, das verdirbt den Charakter. Aber sie hatte schon im Blick, dass es Konsequenzen für das gewohnte Leben hat, wenn sich beide Geschlechter für die Politik interessieren (müssen), weil sie das Wahlrecht haben.
Freilich war sie sich eben auch nicht sicher, ob sich Frauen durchweg über die neuen Rechte freuen würden. Eine französische Bäuerin werde man vielleicht nicht vom Sinn von Wahlen überzeugen können, wenn man ihr nicht zeige, was sie davon habe. Aber die jungen Stadtdinger wollten und könnten überall reinreden, und schwatzten dabei doch auch nur vor sich hin. Wer darunter zu leiden habe? Kinder vielleicht, das Abendessen und das traute Heim? Und so geht das weiter. Bis hin zu dem, was immer kommt, wenns ans Letzte, an die Grundunterschiede zwischen den Geschlechtern geht, die Liebe. Das ist auch kaum besser als Helene Stöckers Roman von 1927. Denn die Liebe steht als Menetekel über allem.
Warum also einen solchen Essay, der ja gerade den neuen Housewives und ihren männlichen Antipoden mit upper cut in die Hände zu spielen scheint? Zum einen, weil der Text ungemein amüsant geschrieben ist, sich zwar lustig über die jungen Zeitgenossinnen macht, wo es nur geht, aber sich nicht über sie erhebt.
Und zum anderen, weil Rachilde eben – in gewisser Weise analog zu Ricarda Huch – ein ungemein emanzipiertes Leben geführt hat. Sie bedauert noch in diesem Essay, nicht als Mann geboren zu sein, aber eben nicht, weil sie sich im falschen Körper gefühlt hätte, sondern aus dem schlichten Grund, dass sie in ihren jüngeren Jahren gezwungen war, sich wie ein Mann den Lebensunterhalt selbst zu verdienen (als Autorin eben) und sich aus Geldmangel wie ein Mann zu verhalten und zu kleiden hatte (wozu sie die ausdrückliche Erlaubnis des Pariser Polizeipräsidenten benötigte, und auch erhielt). Hosen und Jacketts sind billiger, haltbarer und einfacher zu pflegen als nur irgendeine weibliche Garderobe. Was zu beklagen ist. Da wäre es hilfreich gewesen, auch die Rechte des männlichen Geschlechts für sich in Anspruch nehmen zu können, meint Rachilde zu Beginn des Essays. So viel Pragmatismus ist auch in der heutigen Zeit eher selten. Dass sie ihren jüngeren Geschlechtsgenossinnen dabei ein wenig in die Parade fährt, sei ihr nachgesehen. Vielleicht.
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