Die Umkehrung der Utopie

Vorbemerkungen zum Schwerpunkt „Nostalgie“

Von Sascha SeilerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sascha Seiler

Nostalgie ist ein Wort, das in letzter Zeit – nicht zuletzt im Zusammenhang mit Literatur und anderen Künsten – immer häufiger fällt. Dabei ist unschwer zu erkennen, dass ‚Nostalgie‘ zu einem Begriff geworden ist, von dem in erster Linie eine tiefe Unsicherheit in Bezug auf die Gegenwart ausgeht. Zygmunt Bauman hat in seinem letzten Buch den Begriff der Retrotopie geprägt, der eine Umkehrung der Utopie in einem Zeitalter beschreibt, in der wir nicht mehr hoffnungsvoll in die Zukunft schauen, sondern das Heil in einer nostalgisch verklärten Vergangenheit suchen.

Auch das Erinnern an 1968, zum 50. Jubiläum, kann mit Bauman als Retrotopie bezeichnet werden: Das stete Heraufbeschwören einer Zeit der Umwälzung, der Veränderung, das heute, im Jahr 2018 inmitten all der politischen und sozialen Instabilität, als lange vergangenes Symbol des Aufbegehrens gegen herrschende Zustände, vor allem aber als Ära, in der an die Utopie geglaubt wurde, gefeiert wird.

In den hier unter dem Schwerpunktthema Nostalgie versammelten Essays (und Rezensionen) wird sich dem Thema auf verschiedene Weise angenähert: Als mitunter fehlgeleitete, soziopolitisch mitunter brisante Verklärung einer als golden wahrgenommenen Vergangenheit, um der Komplexität der Gegenwart zu entgehen (Jonas Heß); als Rekapitulation der Utopie, für die die Chiffre 1968 steht (Martina Kopf) sowie als rein ästhetisches Phänomen, wie es der norwegische Schriftsteller Karl Ove Knausgård in seinen Texten darstellt (Sascha Seiler).

Die Komparatistik-Redaktion wünscht eine anregende Lektüre und freut sich über Zuschriften zum Thema.

Ein Beitrag aus der Komparatistik-Redaktion der Universität Mainz