Zu Unrecht unbekannt

Vor seinen berühmten Abenteuerromanen schrieb Dumas mit „Georges“ einen Roman über Sklaverei und Rassismus, der nun in einer deutschen Neuausgabe erscheint

Von Manfred OrlickRSS-Newsfeed neuer Artikel von Manfred Orlick

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Mit seinen Romanen Die drei Musketiere oder Der Graf von Monte Christo begründete der französische Schriftsteller Alexandre Dumas d. Ä. (1802–1870) seinen Weltruhm. Neben anderen zahlreichen Abenteuerromanen entstanden sie innerhalb weniger Jahre zwischen 1843 und 1850. Kaum bekannt dagegen ist sein Roman Georges, der kurz vor dieser intensiven Schaffensperiode entstand und in drei Bänden 1843 in Paris erschien. Exemplare von dieser Erstausgabe existieren heute aber nicht mehr. Im selben Jahr erschienen noch zwei Raubdrucke unter dem Titel George in Brüssel. Danach geriet der Roman – selbst in Frankreich – fast in Vergessenheit. Die bisher wahrscheinlich einzige deutsche Ausgabe – ebenfalls unter dem Titel George – erschien 1890 in der Übersetzung von Friedrich Ramhorst in dem Berliner Verlag J. Gnadenfeld & Co. Neben dem Titelhelden George wurden dabei auch die Vornamen anderer Figuren eingedeutscht.

Zum diesjährigen Dumas-Jubiläum – dem 150. Todestag – ist nun eine deutsche Neuausgabe erschienen, die auf die 1890er-Ausgabe zurückgreift. Eine modernisierende Bearbeitung hielt man für „irreführend“; lediglich einige wenige Korrekturen und die Rücknahme der Eindeutschung der Vornamen wurden vorgenommen.

Obwohl Georges bereits die überaus lebendige und malerische Darstellung und die wichtigsten Spannungselemente der folgenden Erfolgsromane enthielt, von exotischen Abenteuern bis zur romantischen Liebe, machte Dumas hier erstmals (später nicht mehr) Sklaverei und Rassendiskriminierung zum Thema. Titelheld des Romans ist Georges Munier, der als Sohn einer wohlhabenden Familie in der französischen Kolonie Isle de France (heute Mauritius) aufwächst. Sein Vater, der afrikanische und europäische Vorfahren hat, betreibt eine Plantage für Kaffee und Rohrzucker – dank der aus Afrika verschleppten Sklaven sehr erfolgreich und gewinnbringend. Der dunkle Teint, der die kreolische Herkunft verrät, ist jedoch ein ständiger ‚Makel‘, der Georges und seinen älteren Bruder Jacques belastet. Bereits im Kindesalter müssen sie öffentliche Diskriminierungen erdulden, die bei Georges erste Rachegefühle wecken. Als Halbwüchsige gehen die beiden Brüder nach Frankreich, wo sie eine gute Ausbildung erhalten. Während sein Bruder bald zurückkehrt, vervollkommnet Georges sein Wissen in London und auf Orientreisen. Als Freiwilliger nimmt er sogar an der französischen Invasion in Spanien 1823 teil und wird für seine Tapferkeit hoch dekoriert. 

Mit 26 Jahren kehrt Georges als gebildeter Gentleman zurück auf seine Heimatinsel Isle de France. 

Nun dachte er, dass der Augenblick gekommen sei, nach der Isle de France zurückzukehren: alles, was er erträumt hatte, war in Erfüllung gegangen; alles, was er gewünscht hatte, war übertroffen; er hatte in Europa nichts mehr zu tun. Sein Kampf mit der Zivilisation war zu Ende, sein Kampf mit der Barbarei sollte beginnen. Was kümmerte ihn Europa mit seinen hundertundfünfzig Millionen Einwohnern, mit Parlament und Ministerium, Republik und Königreich. Ihn kümmerte nur die kleine Insel, die wie ein Sandkorn auf der Weltkarte verloren lag; denn hier erwartete ihn eine große Mission, die Mission der Rache und des Sieges.

Enttäuscht muss Georges jedoch feststellen, dass er trotz seiner Bildung und Verdienste weiterhin von den weißen Plantagenfamilien nicht akzeptiert wird. Er ist zwar ein reicher Mann, aber immer noch ein „Mulatte“. Nun ist für ihn die Zeit der Abrechnung gekommen. Der Konflikt um eine ihm bereits versprochene Angebetete mündet in eine Sklavenrevolte, deren Anführer Georges wird: „Ich habe ein Vorurteil zu bekämpfen. Entweder muss das Vorurteil mich zerschmettern, oder ich muss es töten“. Georges, bei einem Kampf schwer verwundet, wird gefangen genommen und zum Tode verurteilt. Doch am Ende siegt das Gute: Durch die Liebe eines weißen Mädchens wird Georges schließlich gerettet.

Dumas hatte in dem Roman eigene familiäre Erfahrungen mit Diskriminierungen verarbeitet. Seine Großmutter väterlicherseits war eine schwarze Sklavin in der französischen Antillen-Kolonie Saint-Domingue (heute Haiti), die sein Großvater, ein adliger Plantagenbesitzer, gekauft und geheiratet hatte. Sein Vater, auf den Dumas besonders stolz war, diente sogar als berühmter General im französischen Revolutionsheer und war dort als Schwarzer eine Ausnahmeerscheinung. Trotz seiner überaus erfolgreichen Schriftstellerkarriere war Dumas wegen seiner dunkel getönten Haut immer wieder rassistischen Anfeindungen ausgesetzt. So berichten Dumas‘ Biografen von einer Begebenheit: In einer Gesellschaft wurde Dumas, der stets stolz auf seine afrikanische Abstammung war, von einem Salonlöwen provoziert: „Herr Dumas, Sie kennen sich mit Negern doch bestens aus!“ Dumas konterte ziemlich ungerührt: „Sehr wohl, mein Herr: mein Vater war Mulatte, mein Großvater Neger, mein Urgroßvater Affe. Sehen Sie: meine Familie fängt da an, wo Ihre aufhört!“

Der Herausgeber Peter Hillebrand, der sich nach 130 Jahren an die Neuausgabe gewagt hat, hat diese mit zahlreichen Erläuterungen versehen. In seinem aufschlussreichen Vorwort beleuchtet er außerdem die historischen und biografischen Hintergründe des Romans. So werden die von Dumas objektiv verwendeten Begriffe „Mulatte“ und „Neger“ – auch wenn diese Bezeichnungen heute in einem rassistischen und diskriminierenden Kontext stehen – in der Neuausgabe von Georges beibehalten. Eine durchaus nachvollziehbare Entscheidung, denn dadurch wirkt der Roman in seiner Historizität besonders authentisch. Verpackt in einer Abenteuergeschichte widmete sich Dumas vor fast 180 Jahren dem Thema der rassistisch-kolonialen Ausbeutung. Dies ist natürlich nicht zu vergleichen mit der heutigen Auseinandersetzung über Rassismus und Ausbeutung. Dumas reduzierte die Diskriminierung weitgehend auf den Konflikt zwischen den weißen Plantagenbesitzern und den ebenso wohlhabenden „Mulatten“. So beteiligen sich Georges Vater und Bruder Jacques selbst am lukrativen Geschäft des Menschenhandels. Vielfach ist rassistische Stigmatisierung auch unter den gedemütigten Opfern anzutreffen. Trotzdem ist Georges die Entdeckung eines frühen, vergessenen Werkes gegen Diskriminierung, von einem Autor, der sie selbst ein Leben lang immer wieder ertragen musste.

Titelbild

Alexandre Dumas: Georges.
Neu herausgegeben und mit Erläuterungen versehen von Peter Hillebrand.
Aus dem Französischen von Friedrich Ramhorst.
Comino-Verlag, Berlin 2020.
224 Seiten, 9,90 EUR.
ISBN-13: 9783945831281

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