Feminismus für alle?
Sibel Schick erklärt in „Weißen Feminismus canceln“, warum Feminismus feministischer werden muss und was das bedeutet
Von Nora Eckert
Die britische Philosophin Kathleen Stock, bekannt auch als Hardlinerin unter den genderkritischen Feministinnen, hatte sich in Material Girls, erschienen 2021 und ein Jahr später in deutscher Übersetzung, lustig gemacht: „Der Feminismus soll nunmehr jedermanns Mutti sein.“ Im Feminismus ist es insgesamt unübersichtlich geworden, nachdem bewegungsgeschichtlich mittlerweile von seiner dritten Welle gesprochen wird und in dieser offensichtlich der Antagonismus eingekehrt ist und mit ihm der Kampf um Deutungshoheit, der mit harten Bandagen und ziemlich unfein ausgefochten wird. Am markantesten dürfte dabei die Feindschaft zwischen genderkritischem und Queer-Feminismus sein.
Letzterem ist Sibel Schick zuzurechnen, die bei vielen Feminist*innen mit ihrer im Buchtitel enthaltenen Forderung sicherlich offene Türen einrennt. Denn dass etwas faul sei mit dem explizit weißen Feminismus, ist schon lange kein Geheimnis mehr. Die Forderung hat damit allerdings nichts von ihrer Aktualität verloren – leider. Denn all jene, die wir in dem kritisierten Lager beheimatet wähnen dürfen, besitzen neben einem ausgesprochenen Beharrungsvermögen offenbar auch ein gut trainiertes Sitzfleisch auf dem Sessel feministischer Deutungsmacht.
Weißer Feminismus schließt viele aus und reproduziert Machtverhältnisse, die für Ungleichheit und patriarchale Geschlechterdifferenz verantwortlich sind. Schicks Absicht ist es darum, zu erklären, „wie der weiße Feminismus zwar uns allen, aber vor allem den Verletzlichsten unserer Gesellschaft schadet“. Es gehe um Gleichheit für alle, weshalb die Schwarze Feministin bell hooks (die überraschenderweise bei Schick nicht vorkommt) von Anfang an überzeugt war, Feminismus gehe alle etwas an, der für sie – ebenso wie für Schick – eine zutiefst politische Haltung beschreibt im Kampf gegen Sexismus, Rassismus, Klassismus und Imperialismus, und zwar mit genau dieser Bandbreite. Den weißen Feminismus nennt bell hooks „Machtfeminismus“, was sich mit Schicks Diagnose deckt.
Und auch diese Überlegung aus bell hooks Feminismus für alle finden wir bei Schick wieder: „Die Aufnahme des Klassenthemas in die feministische Agenda öffnete einen Raum, in dem die Intersektion von Klassismus und Rassismus offengelegt werden konnte.“ Denn Intersektionalität ist für Schick ein besonderes Anliegen und zugleich ein Plädoyer für einen Realismus in sozialen Fragen. Denn es ist einfach falsch anzunehmen, allein das Geschlecht sei ein Diskriminierungsgrund – bei aller Allgegenwärtigkeit des Sexismus. (Im Übrigen können auch Frauen sexistisch sein – sie haben dieselbe Sozialisation durchlaufen wie Männer.)
Freilich ist der Gedanke der Gleichheit für alle, der sich weigert, im Feminismus eine Bewegung für Frauen gegen Männer wahrzunehmen, nicht erst eine Entdeckung unserer Tage. Überhaupt ist in dem Buch nicht allzu viel Neues zu entdecken, was wiederum seine thematische Bandbreite ausgleicht, verbunden mit einem argumentativen Update. Erinnert sei hier an die französische Feministin Elisabeth Badinter, die schon vor zwanzig Jahren in Die Wiederentdeckung der Gleichheit feministischen Irrtümern auf der Spur war, und wie Sibel Schick heute schon damals das Klischee, dass Männer nur Unterdrücker und Frauen nur Opfer seien, als ebenso falsch wie fatal erkannte. Schick ergänzt an dieser Stelle, dass es darum gehe, gesellschaftliche Hierarchien als strukturelles Problem wahrzunehmen. Mit Blick auf die Quotenregelung: Das strukturelle Problem verschwindet hinter der Vorstellung, es gehe nur um Verteilung: „Weißer Feminismus bezeichnet also die Bestrebungen für die gleichberechtigte Repräsentation und Teilhabe der Frauen in ausbeuterischen Systemen, ohne das Konzept ‚Macht‘ in Frage zu stellen.“
Woraus die Schlussfolgerung zu ziehen sei, weißer Feminismus wolle nur Teil des Systems sein. Das ist jedenfalls nicht von der Hand zu weisen, weswegen sich vor allem der genderkritische Radikalfeminismus auf den Kampf gegen trans*Frauen eingeschworen hat, die mit zu den Verletzlichsten in unserer Gesellschaft zu zählen seien, wie Schick zu Recht meint. Die unselige Debatte um das Selbstbestimmungsgesetz, mit dem trans*, inter* und nichtbinären Menschen ein niederschwelliger und diskriminierungsfreier Zugang zum richtigen Namen und Geschlechtseintrag ermöglicht werden soll, die gerade von radikalfeministischer Seite durch Bedrohungsszenarien und irrationale Missbrauchsängsten befeuert wurde und wird, zeigt das sehr deutlich.
Schick nennt hier stellvertretend Alice Schwarzer, die in der zitierten Debatte wenig von Fakten und umso mehr von ihren Meinungen hält, was die Autorin so kommentiert: „Wer im Unrecht ist und die Kritik gegen sich diskreditieren möchte, muss eine laute und aggressive Schmutzkampagne führen – diese Methode ist nicht neu, wir kennen sie von rechtspopulistischen Tyrannen dieser Welt wie Trump, Orbán oder Erdoğan.“
Auf jeden Fall ist damit Schwarzers Kampagne gegen das Selbstbestimmungsgesetz gut getroffen. Sibel Schick ist ohne Frage eine streitbare Akteurin im Kampf um einen inklusiven Feminismus, die kein Blatt vor den Mund nimmt und die Probleme (meistens) genau benennt und weiß, wo sie wirklich wehtun. Gut, manches klingt dann doch unausgegoren (Wahlrecht für alle beispielsweise oder Gesellschaft ohne Strafjustiz), aber wieder anderes trifft es – etwa mit Blick auf Intersektionalität, mit der schnell klar werde, dass weiße cis-Frauen eben „kein Schmerzmonopol, sondern Macht besitzen“.
Wenn sie sich zu trans*Frauen als Frauen bekennt, sich auf die Seite von Rassismus betroffenen Menschen schlägt, wenn sie Sexarbeit als Arbeit begreift, bei der es um die Herstellung fairer Arbeitsbedingungen gehe, dann ist das zugleich ein Plädoyer für den Feminismus, wie sie ihn versteht. Feministisch ist für sie die Verwirklichung von Gleichberechtigung und Gleichbehandlung – beides steht in unserem Grundgesetz und klingt doch irgendwie utopisch. Das mindeste jedoch ist, dafür einzutreten und es zu leben. Denn gute Absichten allein, so der Schwarze, US-amerikanische Journalist Ta-Nehisi Coates, seien lediglich „ein Passierschein durch die Geschichte, eine Schlaftablette für den ungefährdeten Traum“.
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