Schwerhörigkeit im Film

Thomas Eichhorn liefert mit „Die Darstellung von Schwerhörigkeit und Taubheit im nationalen und internationalen Fernseh- und Kinofilm“ einen interessanten Ansatz, aber keine filmwissenschaftliche Studie

Von Michael FasselRSS-Newsfeed neuer Artikel von Michael Fassel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Titel von Thomas Eichhorns Publikation Die Darstellung von Schwerhörigkeit und Taubheit im nationalen und internationalen Fernseh- und Kinofilm weckt die Erwartungshaltung an eine wissenschaftliche Arbeit. Auch der Verlag Königshausen & Neumann, der das Buch als „Untersuchung“ und „Analyse“ bezeichnet und der Kategorie „Disability Studies“ naherückt, suggeriert, dass es sich um eine geistes- bzw. filmwissenschaftliche Studie im engeren Sinne handelt. Doch Eichhorn hätte nicht erst am Schluss, sondern bereits in der Einleitung die wissenschaftliche Ausrichtung seiner Untersuchung relativieren sollen: „Ich bin mir der Tatsache bewusst, die Erwartungen eher geistes-, literatur- oder kommunikationswissenschaftlicher Kollegen […] wahrscheinlich nicht erfüllt zu haben […].“ Der Autor, Hals-, Nasen- und Ohrenarzt im Ruhestand, möchte seine Ausführungen als „alternative Darstellungsweise“ verstanden wissen.

Thomas Eichhorn nimmt sich viel vor: Auf nur 130 Seiten versucht er über 200 Filmen gerecht zu werden, in denen Figuren mit eingeschränkter Hörfähigkeit oder Taubheit inszeniert werden. Eichhorns Monographie knüpft vor allem an die 2002 erschienene Dissertation Der behinderte Mensch im Spielfilm: Eine kritische Auseinandersetzung mit Mustern, Legitimationen, Auswirkungen von und dem Umgang mit Darstellungsweisen von behinderten Menschen in Spielfilmen von Silke Bartmann an. Zwar erwähnt der Autor zahlreiche weiterführende Forschungstexte zu dem von ihm behandelten Themenkomplex, berücksichtigt aber nicht die Ergebnisse insbesondere neuerer Studien.

Im ersten Kapitel stellt Eichhorn Statistiken vor, die verdeutlichen, wie die schwerhörigen bzw. tauben Figuren in verschiedenen Film-Genres verteilt sind. Abbildungen und Tabellen ergänzen die Ergebnisse. Die Interpretation der Daten fällt vergleichsweise kurz und oberflächlich aus. Eine Erkenntnis ist etwa, dass schwerhörige Frauenfiguren oftmals in häuslicher Umgebung dargestellt werden und daher ein antiquiertes Frauenbild vorherrsche. Auf konkrete Szenen oder gar Darstellungsstrategien wird auch in den weiteren Kapiteln nicht eingegangen. Lediglich den verschiedenen Biopics über Ludwig van Beethoven widmet Eichhorn im 6. Kapitel etwas mehr Aufmerksamkeit. Der Erkenntnisgewinn jedoch bleibt dürftig, da der Autor versucht, auf nur wenigen Seiten elf Verfilmungen über das Leben von Beethoven gerecht zu werden:

Der Hörschaden ließ ihn im Zusammenhang mit der Beeinträchtigung, als Komponist tätig zu sein, zu einem verzweifelten und zunehmend exzentrischen Menschen werden (,The Magnificent Rebel‘). Dies äußerte sich insbesondere bei Proben und öffentlichen Aufführungen seiner Werke, bei denen als er Dirigent wirkte. Es war für ihn erniedrigend, dass ihm ein zweiter Dirigent zur Seite gestellt wurde oder sogar der Kapellmeister die Leitung des Orchesters bei der Präsentation des ,Fidelio‘ übernahm (,Beethoven lives upstairs‘).

Nachdem in nachfolgenden Passagen etwa Beethovens Verhältnis zu dessen Bruder oder die Vereinsamung des alternden Komponisten thematisiert werden, umreißt er kurz, dass sich die Medizin bis heute Gedanken um die Ursache der Ertaubung Beethovens macht und es keine letztgültige Erklärung gebe. Allerdings wird nicht ersichtlich, ob und inwiefern diese andauernden Spekulationen in den Biopics verhandelt werden.

Weitere Biopics wie etwa der US-amerikanische Film The Hammer (2010) von Oren Kaplan und Russell Harvard werden lediglich in kurzen Absätzen inhaltlich skizziert. Der Coming-of-Age-Film Coda (2021) von Siân Heder, der im Frühjahr 2022 mit dem Oscar für den besten Film ausgezeichnet wurde, hätte deutlich mehr Aufmerksamkeit verdient. Zwar beleuchtet Eichhorn Tendenzen der vergangenen Jahrzehnte, hätte aber viel mehr in die Tiefe gehen sollen.

Neben einigen brauchbaren und zitierfähigen Studien greift Eichhorn auffallend oft auf Wikipedia-Einträge zurück. Die Beurteilung der Filme erfolgt häufig unter einer allzu subjektiv gefärbten Lesart, die Eichhorn selbst reflektiert:

Ich gebe zu, dass mir stellenweise die notwendige emotionale Distanz zu dem fiktiv erstellten Filmwerk unprofessoniellerweise verloren ging und sich dann doch der leidenschaftliche Mediziner und Menschenfreund in mir gemeldet hat.

Nicht erst hier wird klar, dass die Monographie nicht den geisteswissenschaftlichen Standards entspricht und sich keineswegs an den früheren fundierten Studien messen lassen kann.

Was den Wert der Monographie zudem mindert, sind die zahlreichen sprachlichen Mängel. Die Lektüre wird durch ungelenke Formulierungen, fehlende Wörter, aber vor allem durch zu viele Rechtschreib- und Ausdrucksfehler enorm erschwert. Selbst ein basales Überprüfungsprogramm hätte einen Großteil fehlerhafter Schreibungen erkannt. Um einen kapitalen Fehler zu nennen: Michel Foucault wird sowohl im Fließtext als auch im Literaturverzeichnis fehlerhaft geschrieben („Foucout“). Zur Vermeidung solcher Lapsus hätte der Autor ein professionelles Lektorat konsultieren sollen und man fragt sich ernsthaft, ob der Autor ein nicht lektoriertes Manuskript herausgegeben hat.

Insgesamt liefert Eichhorn einen interessanten Ansatz, das Potenzial wird jedoch nicht ausgeschöpft. Die Thematik Schwerhörigkeit und Taubheit im internationalen Film hätte in vielerlei Hinsicht stärker ausdifferenziert werden können, etwa durch den Einsatz komplexer Filmanalysen. Interessant wäre darüber hinaus die Untersuchung von Inszenierungsstrategien subjektiver Gehörlosigkeit in den erwähnten Filmen. Zweifelhaft ist, ob die Darlegungen angesichts der starken Subjektivität des Autors für weiterführende Studien zitier- und anschlussfähig sind.

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen

Titelbild

Thomas Eichhorn: Die Darstellung von Schwerhörigkeit und Taubheit im nationalen und internationalen Fernseh- und Kinofilm.
Königshausen & Neumann, Würzburg 2022.
158 Seiten, 29,80 EUR.
ISBN-13: 9783826074905

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