Amerikanische Dystopie

In ,,American War“ gelingt dem kanadischen Journalisten Omar El Akkad eine faszinierende Parabel über die zeitgenössischen Vereinigten Staaten von Amerika

Von Sascha SeilerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sascha Seiler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Das Genre der Dystopie hat in den letzten Jahren Hochkonjunktur. Dies lässt sich in erster Linie mit einer angesichts der in den Augen vieler Menschen schwindenden politischen Stabilität auf der Welt zunehmenden Zukunftsangst erklären. Apokalyptische Szenarien sind längst nicht mehr nur in Blockbuster-Filmen beheimatet, sondern haben ihren Weg in die Literatur gefunden. Eva Horns gelungene Studie Zukunft als Katastrophe untersucht diese dystopischen Visionen, vor allem aber auch die stets in der Gegenwart angesiedelte Begründung für pessimistische Zukunftsvisionen.

Die Inspiration für das Amerika am Ende des 21. Jahrhunderts, das Omar El Akkad in seinem Debütroman American War beschreibt, ist naheliegend und könnte potentielle Leser auf eine falsche Fährte führen. Haben wir es hier mit einem apokalyptischen Thriller zu tun, in dessen Mittelpunkt die spannungsgeladene Unterhaltung steht und der gleichzeitig noch eine subtile gesellschaftskritische Botschaft transportiert? El Akkad berichtet von einem zukünftigen Amerika, in dem ein zweiter Bürgerkrieg tobt. Die Parteien – die aus dem Norden stammenden Blauen und die Roten aus dem Süden – sind unschwer als die beiden politischen Parteien der Gegenwart zu erkennen, unter denen schon heute, zumal nach der Wahl Donald Trumps, keine gemeinsamen Nenner zu finden sind. Die Roten, also die ehemaligen Republikaner, befinden sich allerdings schon vor dem Krieg auf der Verliererstraße; sie müssen zurückgezogen, im Grunde bereits ghettoisiert, in einem überschaubaren Gebiet ihr Dasein fristen, während alle wichtigen politischen Entscheidungen im Norden getroffen werden. Dies führt zum Aufstand und letztlich zum Bürgerkrieg, zum Aufkommen zersplitterter Rebellengruppen, von denen keiner weiß, für was der andere genau kämpft, zu einer gigantischen Flüchtlingswelle, Auffanglagern in der neutralen Zone und ausländischen Interessensgruppen – vor allem die reichen und durch und durch demokratisierten arabischen Länder – die das verarmte, zerrissene Land für ihre Zwecke ausbeuten wollen.

Wenn einem das Szenario bekannt vorkommt, so ist das natürlich kein Wunder. Der Kriegsberichterstatter El Akkad überträgt einfach seine unter anderem in Syrien getätigten Beobachtungen, die uns allen aus Nachrichten seit Jahren bekannt sind, und überträgt sie 1:1 auf die USA. Dies ist im ersten Moment ein sehr plakatives und auch leicht zu durchschauendes Vorgehen; es soll den Leser aufrütteln und ihm mit Hilfe einer dystopischen Fiktion zeigen: ‚Schau, das kann Dir in diesem Land genauso passieren!‘ Tatsächlich verbindet American War zwei in der Gegenwart liegende Narrative miteinander; eine einfache, aber höchst effiziente Idee: Einerseits ist da die Situation im syrischen Bürgerkrieg, die auf ein zukünftiges Amerika projiziert wird. Andererseits aber sehen wir die aktuelle Situation in den USA, die immer weiter voranschreitende Spaltung des Landes in eine liberale aufgeklärte städtische Gesellschaft sowie eine konservative, xenophobe ländliche. El Akkad zeigt auf, wie Politiker beider Lager dazu beigetragen haben, aus den USA ein zerrüttetes, autokratisches Bürgerkriegsland zu machen, dessen Überleben ausschließlich auf den guten Willen der reichen, demokratisch regierten Staaten des Nahen Ostens zurückzuführen ist. Natürlich, und dies ist eine der überraschenden Wendungen im Roman, auf die hier nicht näher eingegangen werden soll, basiert auch jener ‚gute Wille‘ auf geopolitischen Machtüberlegungen und der Niedergang der USA war nicht ganz zufällig herbeigeführt.

Was den Roman kompositorisch sehr interessant macht, ist, dass bereits auf den ersten Seiten, erzählt aus einer Gegenwart innerhalb der Diegese, die politischen Geschehnisse der Jahre 2075 bis 2123 zusammengefasst werden; erst dann beginnt der Roman, eben im Jahr 2075, und damit die Geschichte des kleinen Mädchens Sarat Chesnut, das wir fortan durch ihr Leben begleiten werden. Es ist ein Leben als Flüchtling, vertrieben aus ihrem idyllischen Zuhause am Mississippi, aufgewachsen in einem Flüchtlingslager, von konkurrierenden Mächten ausgenutzt und zur Terroristin gemacht. Sarat wird ohne ihr eigenes Wissen zum Spielball der verschiedenen Bürgerkriegsparteien und versucht doch immer, ihre Würde zu wahren und das Richtige zu tun (das sich, so der dramatische Verlauf der Geschichte, immer genau als das Falsche herausstellen soll). Manchmal ist der Roman dadurch etwas zu sentimental geraten, auch tauchen immer wieder genug gute Menschen auf, um den Leser trotz der desolaten Zukunft, die hier beschrieben wird, nicht allzu sehr verzweifeln zu lassen. American War ist, trotz der niederschmetternden Handlung, kein harter, kompromissloser Roman; dafür zielt er zu sehr auf eine große Leserschaft. Andererseits ist er mehr Epos als Thriller – als solcher wird er hier und da angepriesen – und El Akkad gelingt es tatsächlich, den schwierigen Spagat zwischen Anspruch und Unterhaltung zu meistern, ohne das eine oder das andere preiszugeben.

Wenn es nicht so klischeehaft klingen würde, müsste man wirklich sagen: Ein Roman über unsere Zeit.

Ein Beitrag aus der Komparatistik-Redaktion der Universität Mainz

Titelbild

Omar El Akkad: American War. Roman.
Übersetzt aus dem Englischen von Manfred Allié und Gabriele Kempf-Allié.
S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2017.
445 Seiten, 24,00 EUR.
ISBN-13: 9783103973198

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