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Hans Falladas Briefe aus dem besetzten Frankreich 1943

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ob man etwas über die Texte eines Autors (m/w/d) erfährt, wenn man seine Biografie erschließt, ist durchaus offen. Wenigstens Tzvetan Todorov war vor langen Jahren der Ansicht, dass biografische Studien mit (Literatur-)Wissenschaft nichts zu tun hätten. So weit wird man nicht gehen wollen, dennoch bleibt die Frage nach der Relevanz biografischer Zeugnisse für ein Werk bedeutsam. Die neuere Literaturwissenschaft scheint sie wenigstens – einem imaginierten Publikum folgend – zugunsten der Biografie beantwortet zu haben. Das hängt möglicherweise auch mit dem Wunsch zusammen, die Fiktionalität von Texten wenigstens so weit aufzuheben, dass ihnen wenigstens ein gewisses Maß an Authentizität zugewiesen werden kann. Und was wäre da geeigneter als das Leben des Verfassers des Textes selbst? Es ist gewissermaßen eben keine Bilsen-Wahrheit (frei nach Thomas Mann), dass Literatur aus den Anleihen aus dem Leben via Kunst etwa anderes macht.

Insofern geben die Briefe, die Hans Fallada auf seinen beiden Reisen ins besetzte Frankreich im Mai/Juni und August/September 1943 an seine Frau Anna Ditzen, genannt Suse, geschrieben hat, keine Auskunft über sein Werk, sondern sind lediglich Ausdruck der spezifischen Situation, in der sich Fallada im Jahr 1943 befand. Und Fallada, recte Rudolf Ditzen, interessiert als Autor einer ganzen Reihe von außergewöhnlichen Romanen. Wie der Herausgeber des Bandes, Carsten Gansel, der bereits die Typoskriptfassung des Kleinen Mannes herausgegeben hat, berichtet, hatte sich Fallada bereit erklärt, sich am kulturellen Bildungs- und Unterhaltungsprogramm der Wehrmacht zu beteiligen. Er ließ sich auf zwei Rundreisen schicken, auf denen er aus seinem Werk vorlas, gerne launig. Durchgeführt wurden die Reise im Rahmen des Reichsarbeitsdienstes (RAD).

Dass Fallada sich für diese Reisen überhaupt hat verpflichten lassen, lässt nun keine weitergehenden Rückschlüsse auf sein Verhältnis zum NS-Regime zu. Zwar hatte Fallada sich zu einem Exil nicht entschließen können, was Gansel im Nachwort noch einmal Revue passieren lässt. Das aber ist angesichts des späten Erfolgs von Kleiner Mann – was nun? kaum verwunderlich. Fallada hatte sich als Autor gerade erst etabliert, zumindest zu Beginn des NS-Regimes konnte er annehmen, dessen Dauer halbwegs gesichert zu überstehen, blieb doch selbst sein Verleger, Ernst Rowohlt, (vorerst) in Deutschland. Dass sein Erfolgsroman von der NS-Kritik abgelehnt wurde, war misslich. Aber Fallada änderte den Text punktuell soweit, dass er weiter erscheinen konnte, und das sehr erfolgreich. Auch seine folgenden Bücher, die in rascher Folge erschienen, konnten in Deutschland erscheinen, ohne dass Fallada sich unangemessen stark an das Regime und seine Vorlieben anzupassen brauchte. Fallada traute sich sogar einen Roman zu, der inhaltlich im Umkreis des Kapp-Putsches anzusiedeln ist (Wolf unter Wölfen, 1936). Insofern zeugt sein RAD-Engagement davon, dass Fallada eine anerkannte Größe im Deutschland der 1930er und frühen 1940er Jahre war, ohne sich dem Regime allzu sehr genähert zu haben. Immerhin musste er den Hitlergruß, der im RAD Usus war, überhaupt noch einüben, wie er in seinen Briefen berichtet. Dass die wohl weitergehenden Tagebuchaufzeichnungen, die Fallada gemacht haben will und die in den Briefen erwähnt werden, verloren sind, mag man hingegen bedauern, lässt sich doch annehmen, dass Fallada in ihnen Rücksichten, die seine Briefe bestimmt haben mögen, nicht hat folgen müssen.

Die Briefe selbst nun bewegen sich im Rahmen dessen, was von Dichterbriefen bekannt genug ist: Es geht weniger um Eindrücke aus dem besetzten Frankreich, die als halbwegs politisch eingeschätzt werden können (dafür war das Risiko, dass Feldpostbriefe zensuriert wurden, dann doch zu groß). Selbst die touristischen Eindrücke verschwinden nach und nach. Sie finden sich vor allem in den frühen Briefen, die noch von Paris aus geschrieben sind. Im Zentrum stehen aber Geldsorgen und -wünsche, Beschaffungen, die Reisebeschwernisse selbst, die Versorgungslage, die Beschaffungsmöglichkeiten, die durch die Zugehörigkeit zum RAD ein wenig besser waren als wohl sonst.

Insofern kaum Neues unter der dichterischen Korrespondenz-Sonne, wenn denn nicht die Inszenierung der Briefe ins Auge fiele. Denn nur wenige Monate nach der Rückkehr trennten sich Fallada und seine Frau. Die Alkohol-, Drogen- und amourösen Exzesse, die Fallada schon vorher zu schaffen gemacht hatten, hatten das Verhältnis nachhaltig zerrüttet, was die Liebesbekenntnisse, die Fallada in seinen Briefen wiederholt formuliert, als weitgehend strategische Formulierungen erscheinen lassen. Auch die Berichte von seinen Versuchen, sich den Umtrünken seiner militärischen Kontakte zu entziehen oder auf Schlafmittel zu verzichten, wirken defensiv genug, um genau das Gegenteil von dem zu vermuten, was Fallada angibt. Aber darüber haben Literaturwissenschaftler nicht wirklich zu richten, das ist und war wohl auch Sache seiner Frau, die solche Unaufrichtigkeiten auszuhalten hatte.

Allerdings bleiben, gerade aus literaturwissenschaftlicher Sicht, einige offene Punkte. In den editorischen Anmerkungen findet sich der Hinweis, dass bei der Ausgabe orthografische, „lexikalische und grammatische Eigenheiten“ der Briefe erhalten worden seien. Nur „offensichtliche Irrtümer und falsche Schreibweisen“ seien stillschweigend korrigiert worden. Das ist eine übliche, aber eben auch unbefriedigende Formulierung, mit der kleinere Fehler (etwa die falsche Verwendung des Plurals), die sich im Text der Ausgabe zeigen, nicht aufgeklärt werden: Übertragungsfehler? Eigenheiten des Briefschreibers Fallada? Auch die Kommentierung der Briefe scheint arg spärlich. Die Verwendung des Begriffs „Zigeuner“ ist einen Kommentar wert, das Zitat des ersten deutschen Liebesgedichts (wir erinnern uns, Minnesangs Frühling) aber bleibt unkommentiert, obwohl dessen Verwendung im Kontext der bemühten Liebesbekenntnisse Falladas bemerkenswert ist. Die Schlafmittel, die Fallada verwendet, werden immerhin benannt, warum er aber versuchte, auf eines der Mittel zu verzichten, bleibt unkommentiert.

Titelbild

Hans Fallada: Die RAD-Briefe aus dem besetzten Frankreich 1943.
Herausgegeben und mit einem Nachwort versehen von Carsten Gansel.
Verlag Das kulturelle Gedächtnis, Berlin 2022.
157 Seiten , 24,00 EUR.
ISBN-13: 9783946990680

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