Vorsicht Anziehung

Mareike Fallwickl beleuchtet in ihrem Debüt „Dunkelgrün fast schwarz“ die abgründigen Bindekräfte unheilvoller Beziehungen

Von Paul GeckRSS-Newsfeed neuer Artikel von Paul Geck

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Deine Gewalt ist nur ein stummer Schrei nach Liebe – wenn Moritz und seine Schwester das Lied der Ärzte aufdrehen und gemeinsam durchs Haus tanzen, kommt ihr Vater und schaltet die Anlage ab. Weil er den Lärm nicht ertragen kann? Oder weil er sich gegen diesen Satz wehren muss? Es ist nur eine kleine Szene im Debütroman Dunkelgrün fast schwarz der jungen österreichischen Autorin Mareike Fallwickl, doch sie deckt Grundfragen des Buches auf: Was sind die Kräfte, hinter denen sich der stumme Schrei nach Liebe zu verbergen sucht, und woher kommen sie?

Kontrolle und Manipulation heißen diese Kräfte in der „Freundschaft“ zwischen Moritz und Raffael, genannt Raf. Im Kindergartenalter lernen sie sich kennen, als Moritz mit Mutter und Schwester in das kleine Bergdorf im Salzburger Land zieht. Mit dem selbstbewussten und unfassbar anziehenden Raf stimmt etwas nicht, er beißt und schlägt Moritz, will ihn unterwerfen und an sich binden. Woher kommt diese Störung? Werden manche Menschen mit einer Disposition zum Bösen geboren? Jedenfalls ist es keine Liebe, nicht mal Sympathie, die aus den beiden Kindern Freunde macht. Gegenseitig ziehen sie sich an, bilden über Jahre ein unzertrennliches Paar, in dem der eine ohne den anderen den Halt verlieren würde. Das Gefälle bleibt, Raf ist der unbestrittene Anführer, der Moritz vor sich her treibt und zum Teil sadistisch quält. Aber er vertreibt auch die Langeweile im Kaff, sinnt stets auf neue Abenteuer und hat ein Lächeln, dessen Strahlkraft sich keiner widersetzen kann.

Marie, Moritzʼ Mutter, sieht das Unheilvolle der Beziehung schon seit den Anfängen. Sie selber kämpft mit dem Leben, zieht ihre zwei Kinder alleine groß und muss als Zugezogene Einsamkeit und Ablehnung ertragen. Sorge ist die Kraft, die sich zwischen sie und Moritz schiebt.

Kurz vor dem Schulabschluss der beiden Jungen tritt Johanna auf dem Plan, aus dem Doppelgespann wird eine Dreiecksgeschichte, die verlässlich in der Katastrophe endet. Der Roman wird aus drei Perspektiven erzählt: Moritz berichtet vornehmlich aus der Gegenwart, Marie aus seiner Kindheit, Johanna bildet ein Bindeglied, füllt mit ihrem Bericht die Lücken zwischen damals und heute.

17 Jahre liegen zwischen dem Auseinanderbrechen des Trios und der Gegenwart, Jahre, in denen Moritz sich langsam gelöst hat aus der Umklammerung Rafs, während sich Johanna immer mehr darin verfangen hat. Dann erscheint Raf plötzlich an der Tür von Moritz und nistet sich in dessen Wohnung ein. Alte Muster werden erneuert, Raf übernimmt das Kommando, bis sogar Moritz hochschwangere Freundin auszieht. Währenddessen ist Johanna auf der Suche nach Raf, der aus dem gemeinsamen Wohnort Florenz ohne ein Wort abgehauen ist. Alles läuft auf den Moment zu, an dem die drei nach all den Jahren wieder aufeinandertreffen.

Dunkelgrün fast schwarz ist ein temporeicher Roman; packend und kurzweilig geschrieben, zieht er den Leser hinein in die Abgründe der handelnden Charaktere. Diese stehen allesamt unter dem langen Schatten der Generationalität. Mit großer Empathie verhandelt Fallwickl Fragen wie: Bin ich dazu verdammt, die Muster meiner Eltern zu wiederholen? Wie umgehen mit dem Erbe, in das ich hineingeboren wurde? Und wie ausbrechen aus dem Kreislauf von Schuld?

Anzeichen für Störungen finden sich in allen Beziehungen des Romans. Liebe, Vertrauen, Ehrlichkeit fehlen an jenen Stellen, wo sich die fremden Kräfte bemerkbar machen. Wenn es um Sex geht, was nicht eben selten der Fall ist, dann in krasser Sprache, die das Körperliche und Triebhafte betont; hinter jeder Anziehung steht Macht, hinter dauerhaften Beziehungen Gewöhnung und Abhängigkeit, hinter Nachbarschaft Argwohn.

So wird in Dunkelgrün fast schwarz gerade im Negativen die Lücke deutlich, nach deren Füllung der stumme Schrei nach Liebe verlangt. Dass am Ende des Buches ausgerechnet ein neugeborenes Kind für die Hoffnung herhalten muss, ist da fast ironisch. Und dennoch liegt darin kein Kitsch, sondern das Wissen, dass eine neue Generation zwar nicht davor gefeit ist, die Fehler der alten zu wiederholen, dazu aber genauso wenig gezwungen ist.

Veränderungen werden in konkreten Situationen erreicht, und so ist das Wiedersehen von Moritz, Raf und Johanna auch ein kathartischer Moment, eine Möglichkeit für Offenheit und Versöhnung. Dass Mareike Fallwickl die Spannungen an keiner Stelle einfach auflöst und verschwinden lässt, treibt die atemlose Lektüre immer weiter voran und hält den Leser auch dann noch gefangen, wenn er längst am Ende angekommen ist. Der Autorin ist mit Dunkelgrün fast schwarz ein wirklich fesselndes und lohnendes Debüt gelungen.

Titelbild

Mareike Fallwickl: Dunkelgrün fast schwarz. Roman.
Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt a. M. 2018.
478 Seiten, 24,00 EUR.
ISBN-13: 9783627002480

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