Auf der Suche nach der verlorenen Jugend

In seinem Debütroman „Und alles wie aus Pappmaché“ berichtet Yannic Han Biao Federer von Erinnerungen an eine Jugend in der Provinz Baden-Württembergs

Von Sascha SeilerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sascha Seiler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Erinnerungen an die gar nicht so ferne Jugend sind in der deutschen Gegenwartsliteratur derzeit hoch im Kurs, zuletzt erschienen mit Bov Bjergs Auerhaus, Nis-Momme Stockmanns Der Fuchs, Thorsten Nagelschmidts Der Abfall der Herzen sowie Dirk von Lowtzows brillanten Prosaskizzen Aus dem Dachsbau viel beachtete Texte, die ein großes Spektrum an Möglichkeiten subjektiver Erinnerungsarbeit abdecken, jedes auf seine Weise berührend und nicht zuletzt mit einer gehörigen Prise Sentimentalität gewürzt.

Hier reiht sich nun auch der Debütroman des Freiburgers Yannic Han Biao Federer ein. Sein Ich-Erzähler Jian – Endzwanziger, Sohn eines Deutschen und einer Indonesierin – erinnert sich im Jahr 2017 an seine nicht allzu ferne Vergangenheit: Seine Jugend, die Zeit seines Abiturs, seine Studienjahre. Er erinnert sich auch an die Menschen, die ihn in diesen Jahren begleitet haben: Sarah, die Model wurde und unglücklich in eine schwerreiche italienische Familie eingeheiratet hat. Anna, die es schon immer eher zu Frauen hingezogen hat, die jedoch aus einem streng christlichen Elternhaus stammt. Und Frank, der zu Schulzeiten mit Anna zusammen war, bis diese Sex mit Jian hatte, der sich aber eigentlich nur für Sarah interessierte – zumindest, bis er seine Bisexualität entdeckt und eine Beziehung mit dem schmierigen Unsympathen Aron beginnt. Am Ende ist Jian dann aber doch mit Sarah zusammen, was man ohne zu spoilern verraten kann, weil der Roman nicht chronologisch, sondern episodisch erzählt ist und Federer zwischen den Jahren hin und her springt.

Wenn man die zahlreichen Verstrickungen der Figuren untereinander, wie eben geschehen, nachzuerzählen versucht, könnte mitunter der Eindruck entstehen, der Roman habe in etwa das Niveau einer Vorabendsoap, doch tatsächlich gelingt es dem Autor aufgrund der gekonnten Konstruktion seines Romans sowie seiner durchweg zwischen Melancholie und Humor hin und her pendelnden Erzählweise, den Figuren Leben einzuhauchen. Dass vieles in diesem Roman autobiografisch zu sein scheint, liegt aufgrund der zahlreichen (scheinbaren) Ähnlichkeiten von Autor und Erzähler nahe, doch natürlich muss man hier vorsichtig sein. Der besondere Clou des Romans ist jedoch die Kunst der Verdichtung, die Federer spielerisch beherrscht: In ihrer Häufung und ihrer schnellen Abfolge wirken die Ereignisse oft skurril, überzeichnet und wenig glaubwürdig. Denkt man sich jedoch die Zeit zwischen den Episoden hinzu, all das Verschwiegene, vielleicht aus Gründen der allzu großen Banalität vom Erzähler Unterdrückte, so merkt man schnell, nur mit Ausschnitten eines Lebens konfrontiert zu sein, die prägend und wegweisend waren.

Leider hat Und alles wie aus Pappmaché auch Schwächen: Zum einen mag sich nicht so recht erschließen, warum die Erzählperspektive das eine oder andere Mal wechselt, bzw. wie der Erzähler Einblick in gewisse Abläufe bekommen konnte, ohne dabei gewesen zu sein. Diese wenigen Stellen wirken je nach Sichtweise entweder manieriert oder inkonsequent. Zum anderen steuert der Roman trotz seiner komplexen Konstruktion irgendwie doch recht klischeehaft auf eine Art Showdown hin (auch wenn dieser ein paar Jahre in der Vergangenheit liegt), der Auflösung verspricht, aber letztlich nur dazu dient, die Figuren irgendwie ins Leere laufen zu lassen. Genau hier befindet sich der Knackpunkt des Romans: Möchte Federer seiner Handlung einen tieferen Sinn verleihen, also eine klassische fiktionale Konstruktion entwerfen, die nach Totalität strebt, oder möchte er seine Leser darauf hinweisen, dass unsere Gegenwart eine fragmentierte ist, dass jede Erfahrung letztlich nur zur subjektiven Erinnerung wird, die sich mit der Wahrnehmung anderer beteiligter Subjekte nicht zwingend decken wird? Nicht nur der Titel deutet auf letztere Lesart hin.

Ein Beitrag aus der Komparatistik-Redaktion der Universität Mainz

Titelbild

Yannic Han Biao Federer: Und alles wie aus Pappmaché.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2019.
208 Seiten, 14,95 EUR.
ISBN-13: 9783518469392

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