Mehr sein als nur die erste Geige

Flavia Scuderi und Alessandro Ferrari stellen Marlene Dietrichs Leben grafisch nach

Von Stefan CernohubyRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefan Cernohuby

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es gibt Stars, deren Leben auf eine Art und Weise verlaufen ist, dass man eher glauben würde, die dahinterliegenden Geschichten wären fiktiver Natur. Kein Wunder also, dass es viele verschiedene Interpretationen des Stoffes für unterschiedliche Medien gibt. Dies betrifft auch die Biografie von Marlene Dietrich. Der erste Teil ihres bewegten Lebens, bearbeitet von Flavia Scuderi und Alessandro Ferrari, ist nun bei Panini als Graphic Novel erschienen.

Schon als Kind gibt es einen Plan für Marie Magdalena Dietrich von Losch, als ihre Mutter ihr für 2.500 Mark eine Violine kauft. Sie übt hart und über Jahre, um die damaligen Stummfilme mit dem Orchester begleiten zu können und wird sofort die erste Geige des Orchesters. Doch sehr schnell merkt sie, dass das längst nicht alles ist, was sie will und nimmt parallel dazu Gesangsunterricht. Aber sie lernt auch andere Dinge, von Männern und Frauen. Ihre Beziehungen und Affären nutzt sie, um sich selbst weiterzuentwickeln, zu lernen. Ein Weg, der sie zuerst zum deutschen Film führt, wo sie bei einer der ersten Tonfilmproduktionen mitwirkt (Der blaue Engel), und später auch nach Hollywood. In der vorliegenden Graphic Novel nicht unbedingt in dieser chronologischen Reihenfolge.

Jene Reihenfolge und die damit verbundenen Sprünge sind das große Problem an der Graphic Novel. Man folgt keiner stringenten Handlung, sondern wird mit Episoden aus dem Leben von Marlene Dietrich konfrontiert, welche die Autorin für die Gesamtdarstellung für relevant hielt. Etwas, was man nicht in Frage stellen muss – bei allen Szenen handelt es sich um einschneidende Momente. Eine Begegnung im zweiten Weltkrieg, das erste Vorspiel für ein Orchester, der erste Kuss einer Frau. Kompliziert wird es aber, wenn Zeit und Szenerie gewechselt werden, ohne dass es explizit erklärt wird. In den Episoden wird auch Marlene Dietrichs seltsames Bild der Welt dargestellt. Sie sieht sich als emanzipiert und über klassische Normen erhaben, will jedoch trotzdem eine klassische Ehe führen, in der sie ihre Tochter Marie auf eine Weise formen möchte, wie sie es bei ihrer eigenen Mutter stets abgelehnt hat. Über die Jahre eignet sie sich vieles an, was sie in ihrem späteren Leben braucht: Gesang, Schauspiel und die singende Säge zu spielen. So hangelt man sich durch die Handlung, um zwischenzeitlich Episoden in den 1950-ern zu erleben, um am Ende des Werks jedoch festzustellen, dass Dietrich gerade erst nach Amerika emigriert und man hier nur einen Teil ihrer Geschichte erlebt hat. Nach welcher Logik die Fragemente der Geschichte in der vorliegenden Reihenfolge geordnet wurden, ist leider nicht ersichtlich.

Beeindruckende Fragmente des wilden Lebens einer einzigartigen Persönlichkeit, ohne Frage. Aber trotz der tollen Illustrationen von Flavia Scuderi, die Dietrich in unterschiedlichen Lebensabschnitten sehr verschieden dargestellt hat, ist die Graphic Novel ein unvollständiges Stückwerk, das vermutlich nur mit dem geplanten zweiten Band, der aber noch nicht erschienen ist, seine volle Wirkung entfalten kann.

Marlene Dietrich, verfasst von Alessandro Ferrari, illustriert von Flavia Scuderi, ist eine Graphic Novel, die versucht, sich über zeitliche und örtliche Sprünge an die Persönlichkeit der berühmten Schauspielerin und Sängerin heranzutasten. Da es sich jedoch nur um den ersten Band eines Zweiteilers handelt, hat man stets das Gefühl, dass wichtige Fragmente fehlen würden, um das Gesamtbild zu verstehen. Und das ist schade.

Titelbild

Alessandro Ferrari / Flavia Scuderi: Marlene Dietrich. Bd. 1.
Panini Verlag, Nettetal 2021.
64 Seiten, 17,00 EUR.
ISBN-13: 9783741624384

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