Die spinnen, die Alten

Asterix und Obelix im Kampf der Generationen

Von Wieland SchwanebeckRSS-Newsfeed neuer Artikel von Wieland Schwanebeck

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Mit geradezu teutonischer Pünktlichkeit – aller zwei Jahre eine neue Geschichte – legen Jean-Yves Ferri und Didier Conrad, die seit der Publikation der letzten von Albert Uderzo verantworteten Asterix-Geschichte Gallien in Gefahr (2005) für die wohl beliebteste und bekannteste französische Comic-Reihe verantwortlich zeichnen, ihren vierten Band vor. Auch Die Tochter des Vercingetorix ist ein mit allerlei Anspielungen aufs politische Zeitgeschehen sowie etlichen selbstreferentiellen Verweisen gespicktes Abenteuer. Adrenaline, die Titelheldin des Bandes, wird von arvernischen Rebellen aus den Reihen der APO („Arverner proben Opposchitschion“) aus dramaturgisch eher an den Haaren herbeigezogenen Gründen im Dorf versteckt; Asterix und Obelix müssen auf die letzte Nachfahrin des großen Häuptlings aufpassen, dessen Name die Gallier auf ewig an ihre Niederlage im Kampf gegen die Römer erinnert. Da Adrenaline sich bei den piefigen Provinzlern alles andere als heimisch fühlt – ein ähnlicher ,Kulturschock‘ ereilte bereits andere jugendliche Gallien-Touristen in Abenteuern wie Asterix und die Normannen (1966) sowie Asterix und Latraviata (2001) – und ihrem Ruf als Meisterin im Ausbüxen alle Ehre macht, haben die beiden Helden bald alle Hände voll zu tun, um den Frieden zu wahren, Spione und Piraten in die Flucht zu schlagen, und ganz nebenbei noch die Alten und die Jungen im Dorf miteinander auszusöhnen.

Selbst alteingesessene Asterix-Fans, die dem Projekt einer ohne Beteiligung der Original-Schöpfer fortgesetzten Reihe skeptisch gegenüberstehen und jenseits des letzten von Goscinny mitverantworteten Bandes (Asterix bei den Belgiern, 1979) ohnehin nichts mehr gelten lassen, dürften zugestehen, dass Ferri und Conrad mit ihren jüngsten Werken der Reihe endgültig ihren Stempel aufgedrückt haben. Ihre erste Arbeit, der sehr amüsante, mit Wortspielen und interkulturellen Gags nicht geizende Band Asterix bei den Pikten (2013), war noch ganz der Erfolgsformel von Meisterstücken wie Asterix bei den Briten (1966) oder Asterix auf Korsika (1973) verpflichtet, in denen ein auswärtiger Besucher die Unbeugsamen um Hilfe im Kampf gegen die römischen Besatzer ersucht, woraufhin Asterix und Obelix auf Wanderschaft gehen und als teilnehmende beziehungsweise kräftig austeilende Beobachter auf Tuchfühlung mit Land und Leuten gehen. Mit ihren Nachfolgewerken sind Ferri und Conrad eigene Wege gegangen, was nicht nur die immense deutschsprachige Fangemeinde – die deutsche Übersetzung der Tochter des Vercingetorix brüstet sich mit einer Erstauflage von 1,6 Millionen Exemplaren – einigermaßen polarisieren dürfte. Und tatsächlich, gemessen am Maßstab von Goscinnys zeitloser Charakterkomik und dem filigranen Strich Uderzos ist der Band auch eher eine Enttäuschung, nicht nur, weil sich in den Gesichtern der Nebenfiguren und der Komparserie bereits jetzt die Qualitätsunterschiede zwischen Conrad und Uderzo zeigen, sondern auch, weil es statt eines zusammenhängenden Plots eher eine kabarettistische Nummernrevue gibt, die wohl kaum so wunderbar altern dürfte wie Asterixʼ sprichwörtlich gewordene Begegnung mit der Nase der Kleopatra oder die vielzitierten Flegeljahre der 1. Legion, 3. Kohorte, 2. Manipel, 1. Zenturie.

Im Ergebnis fällt Die Tochter des Vercingetorix zwischen alle Stühle, weil der Band überladen ist und an seiner selbstauferlegten Bürde schwer trägt – ein wenig den jüngsten James-Bond-Filmen vergleichbar, die einerseits nicht das Stammpublikum vergraulen wollen, andererseits aber deutlich bemüht sind, behutsame und überfällige Anpassungen an den Zeitgeist vorzunehmen, und die zugleich mit allgegenwärtigen Selbstzitaten permanent auf die Vorgänger verweisen. In der Tochter des Vercingetorix treffen dabei unter anderem der Versuch einer Revision des recht altbackenen Frauenbilds der klassischen Asterix-Bände, ein Kommentar zum Generationenkonflikt und ein paar moderne Ideen über Patchwork-Familien zusammen. Der Ansatz ist durchaus sympathisch, aber die Ideen bremsen ständig den Handlungsfortgang aus, und wenn Adrenaline in der zweiten Hälfte der Geschichte auf hoher See beim unvermeidlichen Clash mit den Piraten politische Utopien beschwört, dann tritt der Plot so planlos auf der Stelle wie in Obelix auf Kreuzfahrt (1996) vom späten Uderzo, der als Zeichner ein Gigant, als Szenarist jedoch immer ein wenig überfordert war.

Um ihre Mission sind die Autoren natürlich nicht zu beneiden, da – auch dies eint Asterix inzwischen mit der Marke James Bond – jeder Versuch einer kritischen Revision nur innerhalb der äußerst eng bemessenen Grenzen dessen erfolgen kann, was die Marke Asterix erlaubt. Die personelle Zusammensetzung des Dorfs der Unbeugsamen gilt als unverrückbar, selbst in ihrem emanzipatorischen Ansatz respektieren die Autoren weiterhin die existierenden Leerstellen – die Ehefrauen des Dorfältesten sowie des Schmieds firmieren weiterhin anonym unter „Madame Automatix“ sowie „Madame Methusalix“. Conrad und Ferri behelfen sich mit einer Untertunnelung der von Goscinny und Uderzo geerbten Figuren-Topografie; immerhin etwas familiärer Zuwachs ist möglich, so dass für Automatix und seinen ewigen Rivalen, den Fischhändler Verleihnix, pubertäre Söhne aus dem Hut gezaubert werden, die sich gemeinsam mit Adrenaline am „Wildschweinesystem“ der Alten aufreiben. In ihrer Sympathie für den Nachwuchs unterscheiden sich Ferri und Conrad dann doch sehr deutlich von ihren Vorgängern, vielleicht weil sie selbst schwer am Erbe der Väter tragen. Führten die klassischen Asterix-Bände – vor allem zu Zeiten der Uderzo’schen Alleinherrschaft – ,frischen Wind‘ nur allein deshalb ins gallische Dorf, um ihn vom reaktionären Mief des Sauf-und-Prügel-Patriarchats schlucken zu lassen (man denke mit Schaudern an Asterix und Maestria (1991), eine grausige Abrechnung mit dem Feminismus), ist im neuen Band durchaus Sympathie für die Jugend spürbar, die für Nachhaltigkeit und Flower-Power-Idealismus eintritt. Kein Wunder, dass einige Rezensionen Parallelen zwischen Adrenaline und Greta Thunberg gezogen haben.

Was Die Tochter des Vercingetorix diesem Elan zum Trotz zu einem eher zähen und witzlosen Unterfangen macht, ist, dass die Situationskomik stockt und nur wenige Gags zünden. Referenzen auf die zeitgenössische Populärkultur wirken forciert – konnte man an der Figur des Präfekten in der Goldenen Sichel (1962), der fleischgewordenen spätrömischen Dekadenz, auch dann seine Freude haben, wenn man sie nicht als Karikatur des Schauspielers Charles Laughton in Spartacus (1960) wiedererkannte, schmuggeln Ferri und Conrad eine wenig subtile Hommage an Charles Aznavour unter die Piraten, die das Geschehen mehrfach mit einem Aznavour-Liedtitel kommentiert. Jüngere Leser dürften zudem schwer daran kauen, dass Asterix und Obelix in ihren Rollen als Leibwächter der sympathisch aufbrausenden Häuptlingstochter lediglich als Verwalter des Plots fungieren, die für szenische Übergänge sorgen und an ein paar dramaturgischen Stellschrauben drehen, damit im passenden Augenblick der Hinkelstein fliegt und die Zaubertrankflasche entkorkt wird. So kann man sich bei der Lektüre nicht des Eindrucks erwehren, Ferri und Conrad wüssten mit Asterix und Obelix selbst eher wenig anzufangen, die zudem mehr und mehr auf die Seite der Dorfältesten rücken. Dass aber das Abenteuer nach der Vitalität und der „unbedingten Gegenwärtigkeit“ die Jugend verlangt, kann man schon bei Georg Simmel (Das Abenteuer, 1910) nachlesen. Bedenkt man, wie sich die in Ehren ergrauten, aber traditionell agilen Dorfautoritäten Miraculix und Majestix zusehends müde durch die Bände schleppen und wie häufig die beiden Haupthelden der gallischen Widerstandschronik mittlerweile mit Augenringen und Fältchen in Erscheinung treten, dann dürften die Ferri-/Conrad-Bände vielleicht als Asterixʼ geriatrische Periode in die Geschichte eingehen. Man darf aber auch nicht vergessen, dass die Autoren 2013 eine Reihe übernahmen, die zusehends im Zeichen der reaktionären Ansichten eines fast 80-jährigen Schöpfers stand und aus deren Kino-Adaptionen sich eben erst der 63-jährige Gérard Depardieu in der Rolle des großen Kinds Obelix verabschiedet hatte. Apropos Obelix: Je mehr epischer Ballast Einzug in Gallien hält, desto mehr scheint der beliebte und beleibte Hinkelsteinlieferant zum dramaturgischen Problem zu avancieren. Obelix wird hier nicht zum ersten Mal von den Autoren mit einem Minderwertigkeitskomplex beladen, der bloß dem Zweck dient, seine Kräfte zu drosseln. Ähnliche Kunstgriffe zauberten auch die letzten beiden Kinofilme Asterix im Land der Götter (2014) sowie Das Geheimnis des Zaubertranks (2018) aus dem Hut, um zu verhindern, dass die Dampfwalze Obelix einfach alle Plothindernisse aus dem Weg räumt – aber mal ehrlich, wann wäre die Qualität eines Asterix-Bands jemals eine Frage der Spannungskurve gewesen?

Insgesamt handelt es sich hier um eine Asterix-Geschichte, die zum Abbild ihrer pubertierenden Anti-Heldin geraten ist: hyperaktiv, durchaus nicht unsympathisch, aber leider auch ein wenig ziellos. In zwei Jahren dürfte nach den innergallischen Verwicklungen der Tochter des Vercingetorix dann wieder ein Reiseabenteuer dran sein – vielleicht der richtige Zeitpunkt für eine abermalige Frischzellenkur.

Titelbild

Jean-Yves Ferri / Didier Conrad: Asterix 38. Die Tochter des Vercingetorix.
Übersetzt aus dem Französischen von Klaus Jöken.
Egmont Comic Collection, Berlin 2019.
48 Seiten, 12,00 EUR.
ISBN-13: 9783770436385

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch