Schönes Leben?

Zum Briefwechsel Wolfgang Frommels mit Friedrich W. Buri von 1933 bis 1984

Von Friedrich VoitRSS-Newsfeed neuer Artikel von Friedrich Voit

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es ist längst kein Geheimnis mehr, dass sowohl der George-Kreis wie der diesem nachfolgende Männerfreundschaftsbund um Wolfgang Frommel und das Amsterdamer Castrum Peregrini homoerotisch geprägt waren. Dabei gepflegte Beziehungen zwischen älteren und jüngeren Freunden sah man als Erziehungsunterfangen und von ‚pädagogischem Eros‘ getragen. In jüngerer Zeit nun wurde jedoch auch sexueller Missbrauch zur Sprache gebracht, der offenbar ebenfalls vorkam. Dies aber wirft neues, kritisches Licht auf das in beiden Gruppen hochgehaltene erzieherische Ethos und die idealisierte elitär-ästhetische Utopie des schönen Lebens. Der vorliegende Briefwechsel zwischen Wolfgang Frommel (1902-1986) und Friedrich W. Buri (1919-1999), der sich von 1933 bis 1984, also über mehr als 50 Jahre erstreckt, gibt ein detailliertes Bild einer solchen das Leben prägenden Männerfreundschaft.

Den Briefwechsel leitet ein längerer Essay des Herausgebers Stephan C. Bischoff ein, der die Stationen dieser Freundschaft und zeitgeschichtlichen Zusammenhänge nachzeichnet. Der 32-jährige Schriftsteller und Rundfunkautor Frommel lernte den 14-jährigen Friedrich Adolf Wongtschowski in Frankfurt kennen. Wongtschowski, der nach Machtantritt der Nationalsozialisten als Jude das Gymnasium hatte verlassen müssen und gerade eine Malerlehre begonnen hatte, gehörte dem Jugendbund  ‚Die Kameraden‘ an, wo man ihn Buri nannte. Diesen Namen behielt er im Freundeskreis bis an sein Lebensende bei.

Mit Zustimmung der Eltern entwickelte sich rasch ein nahes Verhältnis zwischen beiden. Frommel, der vielfältige Kontakte auch zu Mitgliedern des George-Kreises hatte (darunter Percy Gothein und Ernst Morwitz) ‚erzog‘ Buri, indem er ihn mit Dichtung, vor allem der Stefan Georges, im gemeinsamen Lesen und Interpretieren bekannt machte und den jüngeren bei seinen Freunden einführte. Als Frommel 1934 nach Berlin und dann nach Greifswald wechselte, trat an die Stelle des selteneren Zusammensein ein intensiver Briefwechsel, in dem Frommel Buri als Mentor und geistiger Führer weiter begleitete und lenkte. Mit Zustimmung der Eltern Wongtschowski, die 1936 die Emigration der Familie nach Brasilien vorbereiteten, blieb Buri auf eigenen Wunsch zurück, unterstützt von Frommel, der ihm zu einer Emigration in die Niederlande verhelfen wollte. Dort sollte ihm ein anderer enger Freund Frommels, William Hilsly, ein Unterkommen an der Quäkerschule in Eerde besorgen. Frommel selbst verließ Deutschland im November 1937, wohl um einer Verhaftung wegen eines Verstoßes gegen den §175 zu entgehen. Nach Aufenthalten in Italien, wo er auch Kontakt zu dem bereits 1933 in Exil geflohenen Karls Wolfskehl hatte, und in Paris ging auch er nach Holland, um dort in der Nähe seiner Freunde zu leben.

In den nachfolgenden Jahren bildete sich um Frommel in Holland ein Freundeskreis, zu dem auch der Dichter A. Roland Holst und die Malerin Gisèle van Waterschoot van der Gracht gehörten. Diese Freunde spielten eine entscheidende Rolle, indem sie ihn und seine deutsch-jüdischen jungen Anvertrauten vor Verfolgung während der deutschen Besatzung der Niederlande von Mai 1940 bis zum Kriegsende schützend zur Seite standen. Als Buri die Schule in Eerde verlassen musste, konnte er zunächst als Assistent bei dem Maler-Ehepaar Eyck bleiben. Mit dem Beginn der Deportationen der Juden aus den Niederlanden bot Gisèle van Waterschoot van der Gracht im Juli 1942 Frommel und Buri ihre Wohnung in Amsterdam in der Herengracht 401 als verdeckten Unterschlupf an. Dort konnte dann noch ein weiterer jüdischer Schüler der Quäkerschule in Eerde , Claus V. Bock, versteckt werden.

Der semi-illegal lebende Frommel und Gisèle van Waterschoot van der Gracht kümmerten sich gleichermaßen um die Untergetauchten, zu denen sich zeitweise immer wieder andere gesellten. So formte sich dort auf engstem Raum eine Lebensgemeinschaft, die zum Kern des späteren Castrum Peregrini und seiner Aktivitäten wurde. Das beengte Leben im Verborgenen gestaltete man mit intensivem Lesen, Abschreiben und Auswendiglernen von ‚hoher‘ Dichtung, wobei die Stefan Georges und Dantes im Vordergrund standen. Auch eigenes Gedichteschreiben gehörte dazu. Mit solchen Übungen und Beschäftigungen rettete man sich über die Zeit bis zum Kriegsende. Im Briefwechsel findet sich darüber wenig, doch geben Buri und Bock eingehende Schilderungen in ihren Erinnerungen. Spannungen ließen sich in solcher Situation nicht vermeiden. Buri hatte eine längere Liebesliaison zu Gisèle van Waterschoot van der Gracht, die zugleich mit Frommel vertraut befreundet war.

Buris Beziehung zu Frauen änderten sein Verhältnis zu Frommel, ohne jedoch die gegenseitige emotionale Nähe, die seit dem Kennenlernen und in der Zeit im Versteck entstanden war, wesentlich zu ändern. Frommel setze nach dem Kriege sein Erziehungsprojekt auf verschiedenen Ebenen fort. In Deutschland engagierte er sich bei Planungen zu einem Landschulheim und Erziehungsreformen. Er erneuerte seine Kontakte zu Freunden und gewann neue. Zwischen 1945 und 1949 führte Frommel ein unstetes Leben, blieb oft lange von Amsterdam fern und nahm bei Freunden in Deutschland, in der Schweiz oder Italien Aufenthalt. Buri blieb in Holland, doch verließ er die Herengracht 1945, bildete sich zum Graphologen aus, was er jedoch nach einiger Zeit wieder aufgab. Er verband sich mit Jannie Strengholt, die ebenfalls zum Freundskreis um Frommel gehörte, und sie heirateten 1948.

Die Heirat brachte aber keineswegs etwa das Unabhängigwerden von seinem ‚geistigen‘ Vater, er blieb auch jetzt der ‚familia spiritualis‘ Frommels auf engste verbunden. Maßgeblich konzipierte er mit dem sein Leben und Denken bestimmenden charismatischen Präzeptor die Zeitschrift Castrum Peregrini, die ab 1951 (bis 2007) erschien und für die Nachkriegswirkungsgeschichte der Dichtung Georges und des Schriftstellers Frommel von wesentlicher Bedeutung wurde. Frommel wie Buri schrieben und veröffentlichten dort in separaten Bänden auch eigene Gedichte, die jedoch kaum über den Freundeskreis hinaus rezipiert wurde. Das lag vor allem an der Abhängigkeit von dem größeren Vorbild.

Die Lebensform, die Frommel für sich und seinen Kreis entwickelte, mag ihm und den meisten seiner Freunde das Gefühl eines der Dichtung und dem wie auch immer gearteten Schönen gewidmeten Lebens gegeben haben, wie es noch in diesen Briefen immer wieder angesprochen wird. Heutigen erscheint diese auf die griechische Klassik zurückgeführte Idealvorstellung vor allem in seiner homosozialen Prägung und Beschränkung befremdend. Sie war wohl nicht erst zu seiner Zeit bereits anachronistisch.

Der Briefwechsel gibt vielfältige und lebendige Einblicke in eine Männerfreundschaft, die einer vergangenen Welt angehört. In der Offenheit der Mitteilung, selbst wo sie diskret bleibt, in dem zum Ausdruck gebrachten Lebensgefühl, in den Schilderungen der Besuche bei Freunden, wie der Orte, wo man arbeitete oder Ferien verbrachte, bezeugt diese Korrespondenz eine schwindende Briefkultur. Der nicht zu übersehende blinde Fleck in dieser ‚schönen‘ Welt ist die verquere Haltung gegenüber der ‚Frauenwelt‘. Den Jünglingserzieher Frommel plagten bei seinen Begegnungen mit jüngeren Frauen eine gynophobe Angst vor einen bei diesen unterstellten „unaufhörlich gespannte[n] jagd nach der wollust“  und er meinte, den jüngeren Freund gegen den „einbruch der frauenwelt“ wappnen zu müssen. Solcher Sexismus konnte in diesem Erziehungsprojekt nicht ohne schädigende Folgen bleiben. Freundinnen, die es auch gab, und Partnerinnen hatten in dieser Welt ‚pädagogischer‘ Freundschaft zwischen jüngeren und älteren Männern allenfalls nebengeordnete Bedeutung. Die alljährlichen Feste, bei denen man sich zu rituell-kultischen Lesungen von Dichtung und zu Gastmälern traf, blieben Männerrunden, bei denen man sich entsprechend gewandete und mit Efeu bekränzte. Der praktische Beitrag, den befreundete Frauen gewährten, ebenso wie deren schöpferische Leistungen, werden eher beiläufig anerkannt, am eklatantesten im Falle der Künstlerin Gisèle van Waterschoot van der Gracht, ohne die das ganze Unternehmen Castrum Peregrini gar nicht möglich gewesen wäre. Erst heute, lange nach Frommels und ihrem Tod, wird ihre Bedeutung vom neukonzipierten Amsterdamer Castrum Peregrini anerkannt und gewürdigt.

Was bleibt vom Frommel-Kreis? Wohl wenig. Die Korrespondenz gewährt einen aufschlussreichen Rückblick, doch macht sie zugleich deutlich, wie sehr sich die Schätzung, der Umgang und die Auseinandersetzung mit Dichtung, gerade solch ‚hoher‘ wie der Stefan Georges, inzwischen gewandelt hat.

Titelbild

Wolfgang Frommel / Friedrich W. Buri: Briefwechsel 1933–1984.
Herausgegeben und eingeleitet von Stephan C. Bischoff.
Wallstein Verlag, Göttingen 2017.
920 Seiten, 59,90 EUR.
ISBN-13: 9783835330238

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