Im Sommer vor der Wahl

Davit Gabunias Debütroman handelt von den Monaten vor dem Machtwechsel 2012 in Georgien

Von Martin GaiserRSS-Newsfeed neuer Artikel von Martin Gaiser

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Im Oktober 2012 fanden in Georgien Wahlen statt, die den ersten friedlichen Machtwechsel in diesem Land zur Folge hatten. Im Sommer vor diesen Wahlen und dieser großen Veränderung spielt der Debütroman Farben der Nacht des 1982 in Poti am Schwarzen Meer geborenen Davit Gabunia. Der auch als Dramaturg tätige Autor beginnt seinen Erstling beinahe wie einen Krimi. Ein Mann ist in einem Raum mit einem weiteren, scheinbar leblosen Mann. Ist er tot?  Anstatt die Polizei, einen Notarzt, eben Hilfe zu rufen, macht er Fotos von dem am Boden Liegenden.

Im ersten kurzen Kapitel, das wie ein Prolog auf das Buch zuführt und das in der dritten Person verfasst ist, erleben wir die Hauptfigur Surab als abgebrühten Typen, als jemanden mit einem Plan. Doch von vorn. Surab, junger Familienvater, dessen Frau Tina einen guten Job hat, weswegen er zuhause auf die Jungs aufpassen, sich langweilen und ab und zu mit seinem Kumpel Ika betrinken kann, war nicht immer so selbstsicher. Im heißen August 2012 fiel ihm ein extravaganter roter Wagen in den grauen Strassen seiner Wohnsiedlung auf. Klar, dass einer wie er, der Zeit hat und gern auch so ein Auto hätte, sich fragt, wem es gehören mag. Ein paar Stunden später, die er rauchend auf dem Balkon verbracht hat, weiß er es. Der Besitzer ist ein junger Kerl, den er hier noch nie gesehen und der Surabs Neugier geweckt hat. Seine Neugier wird belohnt, denn sein neuer Nachbar, der wenige Meter Luftlinie von ihm eine schicke kleine Wohnung hat, ist nicht gerade ein langweiliger Spießer. Im Gegenteil, vor allem nachts geht es gegenüber rund und Surab wird schnell klar, dass er einen Callboy beobachtet.

Davit Gabunia hat es so arrangiert, dass Surabs Frau Tina in diesen Wochen stark unter Stress steht. Sie kommt spät nach Hause, ist müde und erledigt, schaut noch kurz nach ihren beiden Kindern (die jedoch häufiger bei der Großmutter sind, wodurch ihr auch diese Pflicht teilweise genommen ist). Wann immer Surab sich ihr nähern, mit ihr reden oder Sex haben möchte, weist sie ihn ab, bittet ihn um Verständnis für ihre momentane Drucksituation im Büro. So kommt es, dass er halbe Nächte mit der Kamera im Anschlag hinter dem Vorhang steht und die gegenüber liegende Wohnung observiert. Und was er dort zu sehen bekommt, hat es in sich. Nein, es geht nicht um Voyeurismus, Surab ist eher konservativ bis reaktionär, Homosexualität gehört nicht zu seinem Weltbild. Er erkennt ein Muster, es gibt einen älteren Gast oder Kunden, der an bestimmten Tagen und zu festgelegten Zeiten kommt und geht. Ganz offensichtlich will er nicht erkannt werden, da er sich immer zu Fuß entfernt und wohl weiter weg geparkt hat. Wer mag das sein?

Der Leser ahnt bald, welche Verstrickungen Gabunia für ihn bereithält. Sein durch und durch politischer und genau beobachteter Roman, der natürlich an Alfred Hitchcocks Klassiker Das Fenster zum Hof erinnert, verbindet die kleinen bürgerlichen Verwerfungen mit der großen Politik. Denn Tina hat nicht nur viel Arbeit, da ist auch noch etwas anderes in ihrem Leben, und der nächtliche Callboy-Kunde ist eine wichtige Figur im Politbetrieb Georgiens. Und so wie Mitte September tagelang Demonstranten durch Tiflis ziehen und ihre Landsleute verunsichern – „diese jungen Leute sind ja nicht müde zu kriegen, wie die sich aufführen, zu meiner Zeit hätten wir uns das nicht getraut. Jetzt ist schon der dritte Tag, dass ich meine Serie nicht sehen kann, nichts als die Wahlen, die Wahlen, zur Hölle damit, seine Ruhe hat man erst wieder, wenn sie endlich vorbei sind“ –, so streift auch Tina eines Tages, allerdings kopflos und voller Sorge um ihre Zukunft, durch ihre Heimatstadt.

Gabunia lässt seine Protagonisten in sich abwechselnden Kapiteln ihre Sicht schildern, sie öffnen sich, bekennen sich zu ihren Taten und ihren Schwächen. Auch Merab, der geheimnisvolle nächtliche Gast, bekennt, womit der Roman zu der prologartigen Szene am Beginn zurückkehrt. Doch obwohl hiermit die Lösung des Falles vorliegt, geht das Buch weiter, da Gabunia eben keinen Krimi geschrieben und somit nicht primär besagten Fall im Sinn hat. Hier hat ein Intellektueller eine Zeitspanne in den Fokus genommen, die wegweisend für die Zukunft seines Landes sein könnte, eines Landes, dessen politisches System auch als „defekte Demokratie“ beschrieben wird, da es einerseits freie und geheime Wahlen gibt, andererseits deutliche Einschränkungen bei politischen und bürgerlichen Rechten. Und über das Surabs Freund Ika sagt: „Man könnte meinen, es sei total einfach, in diesem Scheißland auf eigene Beine zu kommen, dabei stinkt’s mir gewaltig, bloß rumzusitzen, mir die Eier zu kratzen und zu warten, bis mir jemand was zuwirft.“

Titelbild

Davit Gabunia: Farben der Nacht. Roman.
Übersetzt aus dem Georgischen von Rachel Gratzfeld.
Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 2018.
187 Seiten, 20,00 EUR.
ISBN-13: 9783737100410

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