Nostalgie für Ruhr-Silver-Ager

Frank Goosens Buchfreunde Fränge, Brocki und Förster versuchen sich in „Spiel ab!“ im Jugendfußball

Von Frank RiedelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Frank Riedel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Nach dem Roman Förster, mein Förster (2016), in dem die drei im Untertitel dieser Rezension genannten Bochumer Freunde kurz vor ihrem fünfzigsten Geburtstag mit dem VW-Bulli nur noch einmal wegwollen, und der dreißig Jahre zuvor spielenden Fortsetzung Kein Wunder (2019), in der sie den letzten Sommer vor der Wende im noch geteilten Berlin erleben, beendet Frank Goosen mit dem Roman Spiel ab! seine Trilogie. Inhaltlich soll es hier dem Autor zufolge – wenig bodenständig – um „die Welt im Allgemeinen und den Fußball im Besonderen“ gehen. Schon Nick Hornby, sein implizites Vorbild, hatte in seinem Meisterwerk Fever pitch (1992) die Faszination dieses Sports für die Arbeiterklasse erkannt:

Fußball ist eine Ersatzwelt, so ernsthaft und anstrengend wie die Arbeit, mit den gleichen Sorgen, Hoffnungen, Enttäuschungen und gelegentlichen Hochgefühlen.

Ähnlich wie die Einwohner Londons, Manchesters und Liverpools hat der Fußball auch die Menschen in den Malocherstädten an der Ruhr geprägt. Dass er dort besonders ehrlich und traditionell sei, glaubt man im ehemaligen ‚Kohlenpott‘ noch heute. Der regionale Popstar Goosen legt sich aber nicht auf seinen VfL Bochum, wie Grönemeyer mit seiner Hymne für Verein und Stadt 1984, fest, sondern nimmt sich der Faszination des Jugendfußballs in den Niederungen der Kreisliga an und gönnt den großen Clubs aus Bochum, Dortmund oder Gelsenkirchen lediglich eine Statistenrolle in seinem Text.

Der feste Figurenbestand der Trilogie philosophiert vor diesem Hintergrund über Fußball und trifft sich zu den Spielen im Café Dahlbusch oder rund ums Vereinsheim der Spielvereinigung. Der Grund für Fränges Einsatz als ungelernter Jugendtrainer liegt in der unhaltbaren Vernachlässigung seines Sohnes Alex, die er endlich wiedergutmachen möchte. Anlass gibt ihm dazu die 25:0-Niederlage von dessen Mannschaft und die endgültige Resignation des Trainers. Bald sind auch sein Freund Förster und der Lehrer Brocki wieder mit von der Partie und die drei stürzen sich in das Abenteuer Kreisklasse, von dem sie keine Ahnung haben. Ihre pubertierende Mannschaft beschimpft sich gern auf Albanisch, Libanesisch, Arabisch oder Deutsch und lässt sich vom neuen Trainer kaum bremsen. Auch diese Spielvereinigung ist – entsprechend des Genres Sportroman und -film – anfangs aus vielen Gründen jedem Gegner hoffnungslos unterlegen. Lichtblicke, wie einen überraschenden Ausgleich, gibt es in einem der folgenden Spiele, auch wenn es dann doch wieder 1:12 verloren geht. Obwohl die Jungen charakterlich und spielerisch ein perfekt zusammengestelltes literarisches Dream-Team sein könnten, scheint Goosen das Zitat des großen Dortmunder Spielers Adi Preißler nicht zu Herzen genommen zu haben: „Grau is’ im Leben alle Theorie – aber entscheidend is’ auf’m Platz.“ Dabei deuten gerade die Spielszenen an, was in dem Thema steckt.

Die fußballerischen Einfälle des neuen Trainers sind mehr als einfältig, nur zwei Runden warmlaufen ist bei den Jungen natürlich beliebter als die fünf bei seinem Vorgänger. Das Drumherum ist den erwachsenen Beteiligten viel wichtiger und bestimmt somit das Geschehen: Denn „es ist Kinderfußball, oder? Wir sollen hier keinen Impfstoff gegen AIDS entwickeln.“ Die kreativen Momente des Autors sind ebenfalls viel zu rar, etwa die drei Live-Ticker-Kapitel, die Badewannenszene, in der der angetrunkene, fußballverrückte Förster mit seiner Lebensgefährtin wunderbar lebensnah über Fußball fachsimpelt oder wenn eine Mutter den Sohn wegen privater Verpflichtungen eigenmächtig auswechselt und damit das Fußballregelwerk ignoriert. Immerhin halten die Protagonisten dem Autor schelmisch den Spiegel vor. So wird die fehlende Pfeife auf dem Platz so oft doppeldeutig erwähnt, dass der Kommentar dazu im Roman, der Witz werde durch Wiederholung nicht lustiger, der Leserschaft aus der Seele spricht. Mag sein, dass die Herberger- und Beckenbauer-Zitate nicht mehr allen geläufig sind, sie gehören aber – wie im Roman angesichts der Klischees zumindest selbstreflexiv angemerkt wird – in die Sprüche-Mottenkiste. Und da soll Brocki nochmal der Jugend vorwerfen „die Sprache verlottert“ wegen WhatsApp!

Dass es in Spiel ab! um die gute alte Zeit geht, in der Clubs noch Disco hießen, Erich Beer für Hertha Tore schoss und Musik, Suff und Frauengeschichten nicht nur das Leben in Bochum beherrschten, leuchtet dem Rezensenten ein. All das mutet jedoch etwas altbacken an und daran ändert ein bisschen Social Media auch nichts. Musikalisch gibt es dafür reichlich auf die Ohren: Eine wilde Mischung aus Nirwana, Depeche Mode, den Rolling Stones und Chic, wobei vor allem den T-Shirts mit Band-Aufschriften eine wichtige Rolle zukommt, wenn sie von Fränges nächtlichen, weiblichen Bekanntschaften übergestreift werden, um Überraschungsbesuchern die Tür öffnen zu können.

Ohne Frage ist Frank Goosen für einen Popliteraten etwas in die Jahre gekommen, was sich auf seine Protagonisten auswirkt und die Silver-Ager zu seinem Lesepublikum macht. Im Ü50-Umfeld kann er mit seinem durchaus humoristischen, kurzweiligen Text noch punkten, auch wenn das Romangeschehen im Modus des Erinnerns erlebt wird. Er inszeniert sich als Archivar von Fußballzitaten aus vergangenen Zeiten, der sich etwas zögernd an aktuelle Themen heranwagt. So lässt er eine multikulturelle Jugendmannschaft sich gegen Rassismus eher lieblos positionieren, obwohl das Thema derzeit jedes Wochenende im deutschen Jugendfußball mit auf und neben dem Platz steht. Der neuerdings in manchen Kreisen obligatorische Gender-Kalauer unterstreicht dies ebenfalls eindrücklich.

Man fragt sich, wie lange sich Spiel ab! über Bochum und Umgebung hinaus trotz der gewaltigen Merchandisingmaschinerie auf den Büchertischen halten wird. Brocki würde wohl sagen: Schnell lesbar, aber ebenso vergänglich. Oder um nicht Giovanni Trappatoni strapazieren zu müssen: Der Drops scheint gelutscht.

Titelbild

Frank Goosen: Spiel ab! Roman.
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2023.
336 Seiten , 23,00 EUR.
ISBN-13: 9783462004144

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