Der schärfste Ausdruck des patriarchalen Herrschaftsanspruchs

Kristina Hänel hat ein Tagebuch über ihre Verfolgung als „Abtreibungsärztin“ und ihren Kampf gegen die Paragrafen 218 und 219a veröffentlicht

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Vor kaum mehr als zwei Jahren war Kristina Hänel der Öffentlichkeit noch völlig unbekannt. Das hat sich gründlich geändert. Denn wie so viele andere ÄrztInnen, die auf ihren Webseiten darauf hinweisen, dass sie Schwangerschaften abbrechen, wurde sie von einem Embryonenschützer angezeigt. Im Falle von Frau Hänel war dies der Klever Mathematikstudent Yannic Lukas Hendricks, der 2017 unter Pseudonym in der taz erklärte, bislang schon 60 bis 70 Menschen wegen Verstoßes gegen den § 219a des Strafgesetzbuches angezeigt zu haben. Bis zur Anzeige gegen Hänel war der Paragraf weithin ebenso unbekannt wie sie selbst. Inzwischen ist er umso berüchtigter. Denn anders als die ÄrztInnen vor ihr beugte sich Hänel weder dem Maulkorbparagrafen noch tilgte sie auf ihrer Webseite den Hinweis, dass sie Schwangerschaften abbricht, sondern bestand auf ihrem Recht der Informationsfreiheit und ließ es zum Prozess kommen.

Nun hat sie einen Band mit tagebuchartigen Aufzeichnungen über den bisherigen Verlauf des Verfahrens veröffentlicht. Sie beginnen mit dem 2. August 2017, dem Tag an dem sie die Ladung zum Prozess erhielt, und enden mit dem 12. Oktober 2018, an dem das Urteil im Revisionsprozess gesprochen wurde, in dessen Begründung der vorsitzende Richter erklärte, sie solle „dieses Urteil tragen wie einen Ehrentitel im Kampf um ein besseres Gesetz“. Doch geht es Hänel nicht nur um ein besseres Gesetz, sondern um die Abschaffung des von den Nazis sogleich nach der Machtergreifung 1933 in das Strafgesetzbuch geschriebenen Paragrafen. Dort hat er sich, in unwesentlich modifizierter Form, bis heute gehalten.

Hänels Buch ist sehr persönlich gehalten. Doch gerade darum ist es hoch politisch. Die Autorin lässt die Lesenden an ihren Hoffnungen, Ängsten, Überlegungen, Irrtümern und während der Zeit des Verfahrens neu gewonnenen Erkenntnisse teilhaben. So erfahren sie viel über den Menschen, dem der Prozess gemacht wird. Dabei geht es natürlich auch um ihren „Spagat zwischen politischem Engagement und dem Versuch, einen Hauch Privatleben zu retten“. Denn ihr Engagement gegen den „Unrechtsparaprafen“ wurde mit der Zeit immer größer und zeitraubender. Bis es schließlich zu ihrem „Hauptjob“ wurde, auf Veranstaltungen über ihre ärztliche Tätigkeit und den „Geheimhaltungsparagrafen“ zu informieren. Dabei musste sie nicht nur weiterhin ihre Praxis betreiben, sondern war auch noch im Rettungsdient tätig und unterhielt einen Hof für therapeutisches Reiten.

Hänel berichtet ebenso von den Notlagen, in welche die Gesetzeslage Frauen treibt, die – aus welchen Gründen auch immer – einen Embryo nicht austragen können oder wollen, wie über die Reaktionen von Standesorganisationen, Initiativen, Medien, bekannten und weniger bekannten PolitikerInnen, Parteien, ehemaligen Patientinnen und anderen Frauen wie auch von Männern. Und sie berichtet von der wieder erstarkenden Bewegung gegen die beiden Paragrafen 218 und 219a. Denn seit Bekanntwerden des Verfahrens gegen Hänel schließen sich immer mehr Menschen dem Kampf gegen den Maulkorbparagrafen an, der zusammen mit dem § 218 nach wie vor der schärfste Ausdruck des patriarchalen Herrschaftsanspruchs über die Frau und ihren Körper ist. Zugleich sichert er EmbryonenschützerInnen die „Informationshoheit“ über Schwangerschaftsabbrüche, da sie ÄrztInnen, die auch nur darauf hinweisen, dass sie Frauen von ungewollten Schwangerschaften befreien, mit Strafanzeigen überziehen, Patientinnen vor deren Praxen bedrängen oder auf Webseiten ebenso frauenfeindlich wie antisemitisch von einem angeblichen „Babycaust“ schwadronieren. All dies trägt dazu bei, dass hierzulande immer weniger ÄrztInnen breit sind, Schwangerschaften abzubrechen.

„Mein Beruf“, schreibt Hänel, „ist es, Leben zu schützen. Ich tue dies im Rettungsdienst genauso wie beim Schwangerschaftsabbruch“. Das Leben der Frauen nämlich, die ohne ÄrztInnen wie sie Gefahr laufen würden, bei illegalen Schwangerschaftsabbrüchen zu sterben. Ein Schicksal, dass weltweit alljährlich Zehntausende erleiden. Menschen, die vorgeben, LebensschützerInnen zu sein, haben hingegen nicht ein einziges dieser Leben geschützt. Im Gegenteil, sie setzen nicht nur „Gesundheit und Leben von Frauen aufs Spiel“, sondern einige wenige von ihnen ermorden – wenn bislang auch noch nicht hierzulande – auch schon mal ÄrztInnen, die Schwangerschaften abbrechen.

Hänel hat einige Dokumente in ihren Tagebuchaufzeichnungen eingeflochten wie etwa ihren Petitionstext auf change.org oder ihren Offenen Brief an die Bundeskanzlerin. Zudem sind etliche Anmerkungen des Fernsehjournalisten Thomas Vallée zwischengeschaltet. Das Vorwort wurde von Luc Jochimsen beigesteuert, die darauf hinweist, dass das Abtreibungsrecht „Frauen in ihrer Existenz trifft wie kein anderes“. Alleine schon die paar Seiten des Vorwortens geben Grund genug, das Buch zu lesen. Die folgenden 230 fügen noch etliche weitere hinzu.

Titelbild

Kristina Hänel: Das Politische ist persönlich. Tagebuch einer ,Abtreibungsärztin‘.
Argument Verlag, Hamburg 2019.
238 Seiten, 15,00 EUR.
ISBN-13: 9783867545136

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