Das kalte Ende der Marktgläubigkeit

Rob Harts literarische Überlegungen zur Zukunft der Monopolisten verlieren sich im Wechselspiel von politischer Analyse, literarischer Dystopie und Samstagsabendthriller

Von Simon ScharfRSS-Newsfeed neuer Artikel von Simon Scharf

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Der Markt bestimmt.“ – Auf diesem radikal neoliberalen Credo fußt gewissermaßen die von Rob Hart in seinem überaus gegenwartssensiblen Roman Der Store entworfene apokalyptisch anmutende neue Welt: Der Monopolist Cloud (ein Schelm, wer dabei an Amazon denkt!) hat nach der Übernahme sämtlicher kleinerer Unternehmen, Dienstleistungen und Angebote eine Art amerikanische Konsumwüste mit mächtigen Oasen erschaffen. Er regiert nicht mehr nur die Sphäre der Wirtschaft, sondern ist tief verwurzelt in sämtlichen Bereichen des öffentlichen Lebens und der Politik, weswegen seine Arbeitszentren (die sogenannten „MotherClouds“) in sich geschlossene und selbstständige Kosmen sind, in denen die arbeitenden Akteure nicht nur ihrer Erwerbsarbeit nachgehen, sondern ebenso wohnen, konsumieren und leben.

„Weißt du, was früher die durchschnittliche Arbeitszeit pro Woche war? Vierzig Stunden. Samstag und Sonntag hatte man frei. Für Überstunden wurde man bezahlt. Die Krankenversicherung war durchs Gehalt gedeckt. Wusstest du das? Und bekanntlich wurde man mit Geld bezahlt, nicht mit einem bizarren Credit-System. Man hat ein Haus oder eine Wohnung besessen. Man hatte ein Leben, das von der Arbeit getrennt war. Und jetzt?“ Sie schnaubte. „Jetzt ist man ein Wegwerfartikel, der Wegwerfartikel verpackt.“

Auf der Grundlage eines perfektionierten Überwachungssystems funkeln in Harts Roman gewissermaßen die hochfliegenden Träume der Plattformökonomie, die alle Refugien des Arbeitssubjekts ausleuchtet und im Sinne einer 360-Grad-Logik das Prinzip Arbeit derart totalisiert, dass andere Bereiche menschlichen Lebens lediglich mit Blick auf ihre ökonomische Verwertbarkeit relevant sind. Die smarte Uhr am Handgelenk und der eigene Fernseher zu Hause reichen als Steuerungsmedien aus, um den maximal umfassenden Einfluss auf Arbeitsprozesse, Arbeitsgeschwindigkeit, Konsumentscheidungen und Unternehmensbindung auszuüben – ein unabhängiges Jenseits hinter diesem panoptischen Auge der Cloud wird unmöglich.

Die beiden Hauptfiguren der Geschichte, Paxton und Zinnia, stehen stellvertretend für die grassierende Alternativlosigkeit zu einem solchen Arbeitsmodell: Gerade weil ihre alten Arbeitgeber im sterbenden öffentlichen Sektor systematisch von der Allmacht Clouds verdrängt wurden und der Arbeitsmarkt insgesamt aufgrund der Monopolstellung zusammengebrochen ist, bleibt ihnen trotz ihres Widerwillens nichts anderes übrig, als sich dem Giganten anzuschließen, um nicht selbst wirtschaftlich zu scheitern. Paxton, früher Gefängniswärter, wird in einem maximal undurchsichtigen Bewerbungsverfahren für den internen Sicherheitsdienst einer MotherCloud auserkoren und erlangt – trotz anfänglicher Eingewöhnungsschwierigkeiten – eine respektable Position innerhalb des Teams, inklusive der warmherzigen Titulierung „mein Junge“ von Seiten des Chefs, und dazu die Perspektive einer unbefristeten Anstellung jenseits der allgegenwärtigen Fixierung auf das Kreditsystem permanenter Arbeitsbewertung. Die Grundlage dessen ist sein offenbar feines Gespür für brenzlige Gefahrensituationen, bei denen er mehrfach Menschenleben rettet.

Zinnia, deren Vergangenheit deutlich schwieriger zu rekonstruieren ist, fristet ihr Arbeitsdasein im Warenlager und versucht sich – in einem Job ausschließlich getrimmt auf Geschwindigkeit – an einer Verbesserung ihres Rankings, um sich, ob der Sinnlosigkeit der Tätigkeit, nicht völlig der Verzweiflung zu ergeben. Ausgezehrt von den körperlichen Belastungen einer Arbeit, die weder den Toilettengang noch längere Krankheitsphasen duldet und mit radikalen Wertungseinbußen und Konsumbeschränkungen bestraft, darüber hinaus sexuellen Übergriffen eines gewissen Rick ausgesetzt, der seine höhere Position als Manager missbraucht, verliert sie langsam die Geduld: Zum einen nutzt sie ihre Kampfsporterfahrung, um Rick deutlich in die Schranken zu weisen, zum anderen arbeitet sie – angeheizt von der eigenen Wut auf das System und offenbar instrumentalisiert von Cloud selbst – an einem Angriff auf die internen Rechnersysteme. Als dann noch einige fundamentalistische Gegner des Monopolisten die Bühne betreten und Paxton und Zinnia, mittlerweile in einer Liebesbeziehung, zum Widerstand zwingen und sich zudem der alternde und vom Krebs gezeichnete Chef des Unternehmens zu Besuch ankündigt, gerät die minutiös überwachte Welt außer Kontrolle.

Auch wenn Rob Hart mit seinem ungemein ambitionierten, zwischen den Figurensichten und Unternehmensbotschaften changierenden Erzähltext einen beängstigenden Blick in die Glaskugel wagt und die politischen und wirtschaftlichen Realitäten der Jetztzeit fast dystopisch weiterdenkt, scheint er in seinen Absichten nicht konsequent genug: Der Store ist über weite Strecken – wen wundert’s ob der politisch-journalistischen Tätigkeit seines Verfassers – ein politisch motivierter Einblick in die Unternehmenslogik Amazons und kann die frappierenden Ähnlichkeiten darin kaum kaschieren geschweige denn so literarisieren, dass es sich um einen eigenständigen fiktionalen Entwurf mit wirklich dystopischen Qualitäten handeln würde. Dazu irritiert die gerade gegen Ende des Romans aufscheinende Unterhaltungs- und Sensationslogik, die – sowohl mit Blick auf das Liebesmotiv als Abwendung der Katastrophe als auch hinsichtlich der amerikanisierten Version des personalisierten Bösen in Form des Unternehmenschefs – den Text als einen Roman entlarvt, der möglicherweise einfach nur „eine gute Geschichte“ erzählen will und darin seine politische Sprengkraft verwässert. Damit ist gewissermaßen vieles gewollt, aber nur wenig konsequent zu Ende gedacht. Ärgerlich sind darüber hinaus auch einige sprachliche Unschärfen in bestimmten feststehenden Ausdrücken und die streckenweise hölzern und wenig authentisch wirkende wörtliche Rede, wobei nicht unbedingt klar wird, ob es sich dabei um ein Übersetzungs- oder ein Darstellungsproblem von Seiten des Autors handelt.

In jedem Fall aber – und das sei unbedingt zur Ehrenrettung des Romans gesagt – skizziert Der Store ein ungemütliches, ja besorgniserregendes Szenario einer weder undenkbaren noch allzu fernen Zukunft, das die Leser unbedingt zu Wachsamkeit und Sorge animieren sollte in Anbetracht der schon heute mit Händen zu greifenden Macht und Einflussnahme umstrittener global player. Und das ist eben keine nur packende Geschichte.

Titelbild

Rob Hart: Der Store. Roman.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Bernhard Kleinschmidt.
Heyne Verlag, München 2019.
590 Seiten, 22,00 EUR.
ISBN-13: 9783453272309

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