Jage zwei Menschen und suche dich selbst

Helene Hegemanns dritter Roman „Bungalow“ ist ihr bisher bester

Von Dietmar JacobsenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Dietmar Jacobsen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Charlotte hat die Mutter ihre Tochter nach Charlotte Rampling genannt, aber die Siebzehnjährige will lieber Charlie gerufen werden. Und überhaupt: So richtig stimmig ist die Beziehung zwischen ihr und ihrer alleinerziehenden Mutter nicht. Die ist alkoholkrank und hat „Ausfallerscheinungen, die mir, obwohl ich jederzeit mit ihnen zu rechnen gelernt hatte, immer wieder das Blut in den Adern gefrieren ließen.“ Freunde mit nach Hause zu bringen, birgt da ein gewisses Risiko. Und wenn Mutter und Tochter mit dem Messer aufeinander losgehen und die Ältere der Jüngeren die Zähne in den Arm schlägt, sollte auch nicht unbedingt Publikum dabeisein.

Nach Axolotl Roadkill (2010) und Jage zwei Tiger (2013) ist Bungalow der dritte Roman der 1992 geborenen Helene Hegemann. Für eine 26 Jahre alte Autorin keine schlechte Bilanz, zumal Hegemann auch noch als Filmregisseurin, Hörspielautorin und Schauspielerin auftritt. Dass sie in ihrem literarischen Debüt vor acht Jahren recht freizügig mit dem Urheberrecht umging, hat sie 1) landesweit ins Gespräch gebracht und auch eine Weile in selbigem gehalten sowie 2) als Schriftstellerin ausgewiesen, deren Begrifflichkeit – und auch ihr Verständnis dessen, was einen „Autor“ ausmacht – nicht mit den Maßstäben realistischen Erzählens zu messen ist. Trotzdem finden sich im Anhang zu Bungalow nun ein paar Quellenhinweise auf Textstellen, in denen Hegemanns Figuren Gedanken anderer wiedergeben. Absicherung gegenüber erneut befürchteten Plagiatsvorwürfen oder ironisches Echo auf das Gewesene?

Auf alle Fälle hat ihr neuer Roman mehr noch als seine beiden Vorgänger mit unserer Welt zu tun. Einer Welt der Krisen und des Missmanagements, der Fakenews und Shitstorms, des Streamens und Stretchens. Schon der erste Satz konfrontiert den Leser mit einer Realität, die zwar – alptraumhaft verfremdet – nicht ganz die unsere zu sein scheint, aber es in nicht mehr ferner Zukunft durchaus werden könnte: „Ich war siebzehn, wir durften das Haus nicht verlassen wegen Ozonwarnung, Hitzefrei für Erwachsene“. Was macht eine Siebzehnjährige, wenn sie ans Haus gefesselt ist? Hegemanns Heldin hat Sex mit dem Nachbarn. Der heißt Georg und seine Partnerin Maria schaut den beiden vom Sofa her kiffend zu. Was so beginnt, kann nur noch – ein bisschen auch auf Michel Houellebecqs Spuren, wie es scheint – böse enden.

Und das tut es auch. Die Zeichen jedenfalls, die der Roman auf dem Weg zu seinem Ende hin setzt, sind diesbezüglich mehr als eindeutig. Da liegen zu Beginn gleich massenweise tote Tiere auf den Straßen und in den Parkanlagen. Später rafft eine Selbstmordepidemie zahlreiche Menschen dahin: „In den ersten beiden Januarwochen brachten sich in der Stadt, in der wir lebten, 985 von zwei Millionen Menschen um.“ Von Trümmern ist die Rede – der Roman blickt erzähltechnisch aus der Gegenwart der Siebzehnjährigen gut vier Jahre zurück zu jenen Tagen, Wochen und Monaten, in denen das Glamourpaar Georg und Maria und mit ihm eine völlig andere Welt in Charlies Leben einbrachen. Terroranschläge werden erwähnt, Geiselnahmen, Verhaftungen und ein kommender Krieg. Man existiert in einer „Barbarei des Aneinandervorbeilebens“, wünscht sich – nicht aus Überzeugung, sondern aus purer Langeweile – eine „Umwälzung der Verhältnisse“, spürt seiner inneren Leere und Gefühllosigkeit nach und findet doch keinen anderen Ausweg aus der verfahrenen Situation, als sich selbst zu verletzen: „Wenn man nicht mehr genau weiß, ob man überhaupt noch am Leben ist, ritzt man sich mit Systemrasierern für Frauen, die gefederte Klingen haben, ein bisschen zu tief in der Achselhöhle rum oder rammt sich eine Schere in die Hand.“

Georg und Maria, die in einen der 16 Bungalows eingezogen sind, die als teure „Ausnahmeimmobilien“ zum Weltkulturerbe zählen und nur Besserverdiener beherbergen, verkörpern für die minderjährige Charlie das Leben, das sie sich im Geheimen wünscht. Sie unternimmt deshalb alles, um in den Fokus des Pärchens zu kommen. Jeden Tag kann sie aus ihrem Fenster oder vom Balkon hinunterschauen auf den Flachbau, in dem die Schauspielerin und ihr Mann wilde Partys feiern und sich so ganz anders geben als alle, die Charlie bisher kennengelernt hat. Denn die Betonmietskaserne, in der das Mädchen und seine Mutter leben, gehört zu einem Karree von Sozialbauten, welches die Bungalows umgibt.

Ein treffendes Bild für die unsere Zeit und Welt prägenden sozialen Gegensätze ist Hegemann da gelungen: Hier die Schicht derjenigen, die es geschafft haben, die sich alles leisten können, gesund, gebildet und potent sind – da die zunehmende Zahl von prekären Existenzen, verzweifelt, krank und neurotisch, denen am Monatsende jedesmal weniger bleibt als nichts. Noch lebt man miteinander an ein und demselben Fleck, teilt sich Parkplätze, Grünstreifen, Einkaufsgelegenheiten. Doch die Verteilungskämpfe einer nahen Zukunft deuten sich schon an: „Von unserem Balkon sahen die Bungalows und ihre Hinterhöfe aus wie Hakenkreuze.“

Bungalow ist ein Roman, in den Helene Hegemann viel gepackt hat. Eine Liebesgeschichte, die sie nicht bis zu dem Punkt erzählt, wo sie wahrscheinlich nur scheitern kann. Eine erschreckende Vision deutscher und europäischer Zukunft. Auch eine ganze Menge an Autobiografischem offensichtlich und den Hilfeschrei einer Generation, die in den alten Werten nicht mehr die ihren erkennt und neue nirgendwo zu finden vermag. Das alles aufgeschrieben in einer Sprache, die einfache Beschreibungen mit hochartifiziellen Exkursen mischt, gelegentlich provokant-obszön daherkommt, aber auch die leisen Töne beherrscht, hie und da Bildungsfrüchte einfließen lässt und einen ganzen Text des russischen Barden Vladimir Vysockij (1938 – 1980) im Original zitiert.

Nicht alles ist gelungen, nicht jede Andeutung zu entschlüsseln, nicht jede auftauchende Figur wirklich notwendig. Doch schon allein Helene Hegemanns Beschreibung der Beziehung einer sich in ein anderes Leben hinaussehnenden Tochter zu ihrer mehr und mehr verwahrlosenden Mutter zeigt, welches Potenzial in dieser noch jungen Schriftstellerin steckt.

Titelbild

Helene Hegemann: Bungalow. Roman.
Hanser Berlin, Berlin 2018.
287 Seiten, 23,00 EUR.
ISBN-13: 9783446253179

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