Volksfront als Lösung

Ein Autor in der politischen Auseinandersetzung mit dem Faschismus: Heinrich Manns Essays aus den Jahren 1936 und 1937

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Kurz vor dem Abschied von der Weimarer Republik hatte Heinrich Mann 1932 sich noch zum „Übernationalen“ bekannt und in den zunehmenden Verflechtungen internationaler Beziehungen ein Indiz für die sich stetig steigernde Bedeutung einer transnationalen Ordnung gesehen. Den engstirnigen Nationalismus hielt Mann für anachronistisch und für nicht überlebensfähig, trotz der immer größeren Resonanz, die sich die NS-Gefolgschaft mit ihrem lärmenden Auftritt in der deutschen Öffentlichkeit verschaffte. In einem deutsch-französischen Bundesstaat sah Mann – bei allem Misstrauen zwischen beiden Ländern, das die 1920er Jahre bestimmt hatte – die Grundlage für einen europäischen Staatenbund, und nur in einem solchen Staatenbund schien ihm das Überleben einer offenen Gesellschaft gesichert. Eine Überlegung, die für die 1930er Jahre unerhört war.

Dass Mann vom Nationalsozialismus und seinen Gefolgsleuten nichts hielt, ist nicht zuletzt seinen Schriften der Jahre 1936 und 1937 abzulesen, die mit dem siebten Band der Kritischen Ausgabe der Essays und Publizistik soeben umfänglich dokumentiert werden. Die Mischung aus Borniertheit, Unfähigkeit, Grausamkeit und Machtbewusstsein, die den Nationalsozialismus kennzeichnete, stieß ihn nicht weniger ab als die alte Elite, die bis 1918 an der Macht gewesen war und sich hinreichend erfolgreich auch in der Republik einzurichten wusste.

In dem kleinen Essay Geist und Tat aus dem Jahr 1911, der im Kontext des expressionistischen Aktivismus die Position von literarischen Autoren neu verortete und die Gleichsetzung von Autorschaft und Intellektualität beförderte, hatte Heinrich Mann noch die Intellektuellen der Kaiserzeit für ihre Anbiederung an das herrschende System und seine Landsleute für die Verehrung „Großer Männer“ gescholten. Er hatte damit das Programm für die Politisierung der Autoren und damit auch von Literatur vorgegeben: Die kritische Distanz zum herrschenden System, das auf Unterdrückung und Ausbeutung beruhte, wurde zur intellektuellen Pflicht, die Anbiederung an die herrschenden Mächte zum Sündenfall der Literatur. Mann ist dieser Maxime über die 1920er Jahre hinweg konsequent gefolgt, auch wenn er einer der kulturellen Repräsentanten der Republik war.

Mit dem Exil war Heinrich Mann auf Konfrontationskurs zur NS-Diktatur in Deutschland gegangen: Statt für eine europäische Union oder auch nur für eine deutsch-französische Verständigung zu werben, sah sich Heinrich Mann nun in der Pflicht, gegen das NS-Regime in Deutschland anzuschreiben und dafür jede nur erdenkliche Unterstützung einzuwerben. Aus dem eigenen Land vertrieben, wurde er zu einem der bedeutendsten Repräsentanten des Exils, wortgewaltig, lautstark und mit einem unermüdlichen publizistischen Einsatz für seine politischen Überzeugungen, mit denen er sich vehement gegen das NS-Regime wandte. Spätestens jetzt war aus dem literarischen Autor, dem Romancier ein politischer Publizist und Aktivist geworden, ein Intellektueller, der sich in das Getümmel der politischen Auseinandersetzung geworfen hatte und sich dabei entschieden als Linker, als Parteigänger der Arbeiterbewegung positionierte.

Das allerdings war eine konsequente Weiterentwicklung seiner früheren Positionen. Denn schon Anfang der 1930er Jahre hatte Mann auf den Sozialismus als einzigen Ausweg aus den Widersprüchen der modernen Gesellschaft gesetzt. Von dem Verdacht aber, dass es sich bei ihm schließlich doch um einen Idealisten handelte, dem eine belastbare ideologische Grundlage fehlte, konnte sich Mann auch im Exil nie ganz befreien, auch wenn er in seinen Schriften nicht nur dieser beiden Jahre der Sozialisierung das Wort redete und die ökonomischen Grundlagen von Freiheit hervorhob. In seinem Vorschlag fuer Ergaenzungen des Gumbel’schen Minimalpogramms der Deutschen Volksfront, den Mann für die Gründungskonferenz der Volksfront im Februar 1936 geschrieben hatte, forderte Mann nicht weniger als die Sozialisierung respektive Verstaatlichung der großen Wirtschaftsunternehmen und die Enteignung des Großgrundbesitzes, der anschließend mit eine „moeglichst zahlreiche[n] Bauernschaft“ zu besiedeln sei.

Selbst in diesem Text ist freilich erkennbar, dass Heinrich Mann einer allgemeinen Idee von Freiheit verpflichtet war. Seinen Essays fehlt der für marxistische Schriften typische Stil, und auch die Kaltschnäuzigkeit, mit der KP-Akteure ihre politischen Gegner abtaten, wenn es geboten schien, ging Heinrich Mann entschieden ab. Er war und blieb der Vermittler zwischen den Extremen der Volksfront – und scheiterte damit, notwendigerweise, mag man meinen.

Mit dem Exil wurde die Sowjetunion für Mann zum zentralen Hoffnungsträger und zum wichtigsten sozialen und politischen Experiment seiner Gegenwart aufgewertet. Sie wird ihm, wie ein Text aus dem Jahr 1937 überschrieben ist, zur Verwirklichte[n] Idee. „Ehre und Ruhm dem menschlichen Verstande dafür, daß das Sowjet-Experiment gelingt“, wünscht er in einem wenig später erschienenen Text. Der Sozialdemokratie hielt er noch in seinen Essays der Jahre 1936/37 ihr Versagen in der Revolution 1918 vor. Als ihr die Macht durch den Zusammenbruch des Wilhelminismus zugefallen war, sei sie „hoch erstaunt“ gewesen, bemerkt Mann in der Skizze Der Weg der deutschen Arbeiter aus dem Jahr 1936, mit der er die Entstehung der Volksfront als logische Konsequenz der politischen Entwicklung darzustellen suchte. 1918 hätte sich die Sozialdemokratie gegen die „Umwälzung“ entschieden, was sie im Endeffekt zu „Handlangern der Nationalisten“ gemacht habe. Ihr habe schlichtweg der „Sinn für die Macht“ gefehlt. Nun aber, im Exil und im NS-Regime, seien die unterschiedlichen Positionen der beiden großen sozialistischen Gruppierungen in den Hintergrund getreten. Im Vordergrund stehe inzwischen, dass sich das deutsche Volk seiner nationalsozialistischen Unterdrücker entledige und die entscheidenden Schritte in Richtung einer wirklich freien Gesellschaftsordnung gehe. Die ideologischen Differenzen zwischen KP und SPD müssten vor der gemeinsamen Aufgabe zurücktreten, so Mann. Und er fasst in einem Appell an das Deutsche Volk deren Kern zusammen: „Recht und Frieden, das ist die Volksfront!“

Seine Unterschrift unter den Aufruf zur Bildung einer Aktionseinheit zwischen KPD und SPD hatte den Nationalsozialisten und ihren Handlangern in der Sektion für Dichtkunst der Preußischen Akademie der Künste zum Vorwand gedient, Heinrich Mann aus der Akademie und dem Land zu drängen. Im Exil verstärkte er, der 1936 die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft erhielt, sein Engagement für die Bündelung der Kräfte von Sozialdemokratie und KP nicht zuletzt durch seinen Vorsitz des Vorbereitenden Ausschusses der deutschen Volksfront. Er wurde zu einem der exponiertesten Repräsentanten des Exils, zu einem entschiedenen Propagandisten der Volksfront, und er warb intensiv für die Sowjetunion als Hoffnungsträger einer künftigen Weltordnung. Die UdSSR – das große Vorbild ist einer seiner Texte aus dem Jahr 1937 überschrieben (wenngleich der Titel nicht von ihm stammt).

Damit entschied Mann sich für eine in der Weimarer Republik intensiv diskutierte Systemkonkurrenz, in der die USA und die UdSSR die extremen Pole darstellten. Ob die UdSSR oder die USA die Blaupause für ein Deutschland im Umbruch zur Moderne sein konnte, darüber war lange und heftig gestritten worden. Mit dem „konsequenten Kapitalismus“ an der Macht war dieser Disput für Mann aber vorbei. Die USA tauchen als Option in Manns Essays der Jahre 1936 und 1937 nicht einmal mehr auf.

Wenn ein westliches Land überhaupt noch Exemplarisches zu bieten hatte, dann das Frankreich unter der Volksfrontregierung, die es wagte die 40-Stunden-Woche (und damit quasi den Kommunismus) einzuführen, gefolgt von einem Spanien, gleichfalls mit einer Volksfrontregierung, das sich gegen die franquistische Insurrektion zu behaupten suchte, schließlich aber – nicht zuletzt durch die von Heinrich Mann intensiv kommentierte Intervention des NS-Regimes – unterlag.

Aber selbst diese beiden Länder müssen in ihrer Bedeutung hinter die Sowjetunion und Nazi-Deutschland zurückstehen, die die politischen und ideologischen Extrempositionen einnehmen, wie sie sich in den Essays Manns dieser beiden Jahre zeigen. Zwischen ihnen galt es sich nach Heinrich Mann zu entscheiden. Diese beiden Systeme standen sich entschieden gegenüber: Immer wieder kommt Mann auf den Antibolschewismus des NS-Regimes zu sprechen, das sich als Hort und letzter Verteidiger der abendländischen Kultur gerierte und dabei dezidiert materialistische Ziele verfolgte: „Die Verteidigung der westlichen Kultur gegen den barbarischen Eroberungsdrang des Bolschewismus ist tatsächlich nicht mehr als ein ziemlich wirksamer Vorwand, um sich der Bergwerke von Bilbao zu bemächtigen.“ In diesem Antagonismus rückte deshalb die Sowjetunion in eine politisch unangreifbare, kulturell vorbildliche Position, ein Land, das sich zu demokratisieren versuchte.

Das lässt sich aus der heutigen Distanz als naiv diskreditieren, ja, Manns Texte zeigen teilweise ein ans Peinliche grenzendes Vertrauen in den friedlichen, eben nicht auf aggressive Expansion ausgelegten Charakter der Sowjetunion und in den Willen des real existierenden Sozialismus, zu einer wirklich freien Staatsordnung zu kommen. Der Umstand, dass eine literarische Zeitschrift eine Rede Stalins publizierte, nebenbei bemerkt im selben Heft wie der Vorabdruck eines Romans von Heinrich Mann, galt für ihn als Beleg für den hohen Entwicklungsstand des Sowjetsystems. Literatur habe hier eben eine besonders große Bedeutung. Die Verfassung der Sowjetrepublik der Wolgadeutschen pries Heinrich Mann 1937 als Ausdruck eines selbstbewussten demokratischen Systems, eines Landes zudem, in dem Deutsche wirklich frei seien. Dass die Wolgadeutschen nur wenige Jahre später deportiert wurden und die Republik aufgelöst wurde, konnte Mann zum Zeitpunkt der Niederschrift seines Textes nicht ahnen. Seine knappen Bemerkungen zu den Moskauer Schauprozessen 1936, die Mann sich zu verurteilen weigerte, lassen Zweifel zu, ob er die UdSSR nicht doch zu idealistisch wahrnahm, was sich mit der Anspannung des Exils und den permanenten Anstrengungen seines Kampfes gegen den Nationalsozialismus begründen lässt. Doch ein wenig mehr kritische Distanz zum Stalinismus wünscht man ihm aus heutiger Sicht, gerade weil das Engagement Manns für die Volksfront und gegen das NS-Regime jeden Respekt verdient. Auch hätten ihn die Aktivitäten, mit denen KP-Funktionäre um den späteren Generalsekretär des Zentralkomitees der SED Walter Ulbricht ihren wohl aktivsten Propagandisten Willi Münzenberg zu disziplinieren versuchten (der Kommentar gibt dazu umfänglich Auskunft), misstrauisch machen können. Mann selbst arbeitete eng mit Münzenberg zusammen und kommentierte dessen Schriftensammlung Propaganda als Waffe (1937) als „bemerkenswertes Werk“: „Die stärkste Waffe einer Gegenpropaganda ist immer die Wahrheit. Man lerne ihren Gebrauch!“, fasst er ihre Lehre zusammen. Trotz der zahlreichen irritierenden Momente hielt Heinrich Mann weiter an der Volksfront-Idee fest, während er für KP-Funktionäre wie Ulbricht wohl eben doch nur ein bürgerlicher Sympathisant war, der für die eigene politische Sache zu instrumentalisieren war.

Und dafür eignete sich Mann nicht zuletzt, weil er nicht nur die Idee der Volksfront propagierte, sondern den Anschein zu erwecken wusste, dass ihr Erfolg unaufhaltsam war: „Alle, nicht nur die Arbeiter, begreifen die Freiheit – nach ihrem Verlust. Daher folgt dem Fascismus die Volksfront, wie dem Donner der Blitz; aber ihre erste entschlossene Miliz sind die vereinigten Arbeiter. Die anderen Abteilungen der Volksfront werden mitkommen“. Auffallend ist in den Publikationen dieser beiden Jahre  der Optimismus, mit dem er die Entstehung und die Erfolge der Volksfront im Exil wie auch in Deutschland beschrieb: „Nach ihm [Hitler] wird in Deutschland eine Volksfront herrschen. Schon jetzt umfaßt sie bürgerliche wie sozialistische Parteien“, schrieb er im März 1936 in einem französischsprachigen Beitrag, in dem er das Ende des NS-Regimes nahen sah. Die Schwäche und Unfähigkeit des NS-Regimes und die Stärke seiner Gegner, deren Zahl sich stetig durch die alltägliche Not und die mangelnde Freiheit vergrößerte, waren für ihn derart offensichtlich, dass der Niedergang der deutschen Diktatur unvermeidlich schien.

Zugleich jedoch wies Mann wiederholt darauf hin, dass der Nationalsozialismus zum Krieg drängte und er nur durch den Krieg abgelöst werden könnte, was ihm, folgt man dem Kommentar, als Kriegstreiberei ausgelegt wurde. Das lässt vermuten, dass Heinrich Mann die politische Situation und die Möglichkeiten des Widerstands doch realistischer einschätzte, als man es seinen Volksfront-Texten ablesen kann. Das zeigt sich auch in seinen Texten zur Olympiade 1936, zu deren Boykott er immer wieder aufrief, nicht zuletzt mit dem Argument, dass das NS-Regime den Prestigegewinn durch eine gelungene Olympiade zu seinem Vorteil nutzen würde.

Auffallend auch, dass für Mann der Antibolschewismus den Kern der NS-Ideologie ausmachte. Das wird ergänzt und begründet durch Manns Hinweise auf die enge Bindung des NS-Regimes an industrielle und kapitalistische Eliten. Er wies immer wieder auf die tendenzielle Verelendung und die prekäre Versorgungslage im NS-Deutschland hin, mit dem das Regime die Ausbeutung der Bevölkerung zu Gunsten der Eliten vorangetrieben habe. Das untermauerte Mann durch immer wieder hervorgeholte Kennzahlen etwa zur Fleischversorgung der breiten Bevölkerung, aus denen eher die sich ausbreitende Unterernährung als der Erfolg der Nationalsozialismus an der Macht hervorging, so Mann.

Der literarische Autor hatte sich mithin endgültig aus der vermeintlichen Komfortzone literarischer Produktion gewagt, hatte sich eben auch Ökonomisches anzueignen gewusst (was Leser etwa des Untertan ja bereits wissen konnten). Das Regime habe die Umschichtung von Vermögen zu Lasten der Bevölkerung vorangetrieben, nicht zuletzt um sich selbst und die tonangebende Elite Deutschlands zu bereichern. Dass sich Mann bei einer solchen Gelegenheit eine süffisante Nebenbemerkung zum Erfolgsautor Hitler erlaubte, der sein Werk einfach zur Pflichtlektüre erhoben habe, um so seine Tantiemen zu erhöhen, sei ihm nachgesehen.

Einen aus heutiger Sicht überraschend kleinen Stellenwert hatte hingegen der Antisemitismus: Zwar nahm Mann den Antisemitismus des NS-Regimes durchaus wahr, wie sich an verstreuten Hinweisen in den Texten dieser beiden Jahre erkennen lässt. Er maß ihm jedoch nicht das Gewicht zu, das ihm später, auch unter dem Eindruck der Vernichtung der europäischen Juden durch Nazi-Deutschland, zugewiesen worden ist. Der „Antisemitismus“, bestätigt auch der Herausgeber der Essays Wolfgang Klein, hatte „für Heinrich Manns Auseinandersetzung mit dem Faschismus keine zentrale Bedeutung.“ Das entspricht mehr oder weniger der zeitgenössischen Wahrnehmung des Nationalsozialismus, der zwar völkische und antisemitische Ideologeme und Gruppen von Beginn an integriert hatte, der aber sein Profil als entschiedener Kontrahent des Bolschewismus auf den Straßen vor allem Berlins geschärft und damit eben auch bürgerliche Gruppen zu gewinnen verstanden hatte. (Joseph Goebbelsʼ Kampf um Berlin, 1931, ist, was das angeht, sehr offenherzig.)

Die beiden nun erschienenen, von Wolfgang Klein herausgegebenen Bände enthalten etwas mehr als 160 Texte Heinrich Manns aus den Jahren 1936 und 1937. Hinzu kommen 23 Texte, die Mann mit anderen Autoren gemeinsam
unterzeichnete
, auch wenn er nicht notwendig ihr Verfasser war. Nur fünf Mann-Texte, die eine eigene kleine Abteilung füllen, sind zuvor nicht gedruckt worden. Den auf Französisch und – in einem Fall – Englisch erschienenen Texten sind Übersetzungen beigegeben. Die Texte werden in der Regel nach den Erstdrucken wiedergegeben. Abweichungen späterer Drucke sind im Apparat angegeben. Nur in einzelnen Fällen geht die Ausgabe auf andere Fassungen zurück, was jeweils begründet wird, etwa mit Abweichungen, die durch Eingriffe von Redakteuren oder Übersetzern entstanden sind und die als zu weitreichend angesehen werden.

Die geringe Zahl der jetzt erst aus dem Nachlass publizierten Texte mag auf die Überlieferungslage hinweisen, kennzeichnet aber auch den Publikationsdruck, unter dem Mann stand. Er konnte es sich mithin nicht leisten zu schreiben, ohne – in der Regel – gegen Honorar zu publizieren. Immerhin war mit diesen Arbeiten nicht nur der eigene Lebensunterhalt, sondern auch der seiner Frau zu bestreiten, von den gelegentlichen Zahlungen abgesehen, die er etwa seiner geschiedenen Frau und seiner Tochter zukommen ließ.

Wie hoch die Produktivität Manns in jenen Jahren war, lässt sich zudem daran erkennen, dass diese beiden Jahre die Lücke zwischen den beiden Bänden des Henri IV. füllten, die 1935 und 1938 erschienen. Wie einer Bemerkung Manns in einem seiner Texte zu entnehmen ist, begann der Vorabdruck des zweiten Bandes bereits 1937. Zu berücksichtigen sind zudem die Sammelbände von 1933 (Der Haß) und 1939 (Mut) sowie Deutsches Lesebuch von 1936, das er zusammengestellt hatte.

Roman und Essays sind dabei enger verbunden, als es auf den ersten Blick erscheinen mag: Mann versuchte im Henri IV. die Möglichkeiten einer guten Herrschaft zu sondieren, die über das (von Henri IV. angeblich jedem Franzosen versprochene) sonntägliche Huhn im Topf hinausging. Für das frühe 17. Jahrhundert ist ein solches Versprechen ein unerhörter Anspruch, das dem Begründer der bourbonischen Dynastie seine große Popularítät sicherte. Das buchstäbliche „poule-au-pot“ des guten König Henri IV., der sich – folgt man dem Roman Heinrich Manns – gegen eine machtgierige Adelsclique durchzusetzen hatte, hat sich bis heute in der französischen Küche erhalten. Im Kontext des Engagements Heinrich Manns im Exil ist es aber auch im Kontext der Diskussion um den Stellenwert zu sehen, der der materiellen Ausstattung in einer Gesellschaft einzuräumen ist. Allein schon, dass Mann in seiner Publizistik der Jahre 1936 und 1937 dem NS-Regime ein gehöriges Versagen nachzuweisen versucht, was die Versorgung der breiten Bevölkerung angeht, zeigt, wie eng Roman und das politische Engagement Manns dieser Jahre miteinander verbunden sind.

Neben den umfangreichen ersten Textband der Essays und Publizistik Heinrich Manns, der schon 550 Seiten umfasst, hat der Herausgeber Wolfgang Klein einen Kommentarband gestellt, der nochmals mehr als 750 Seiten stark ist. Klein, der auf Vorarbeiten von Werner Herden im Zusammenhang mit den Gesammelten Werken Heinrich Manns, und damit auf Material verweist, das bereits in der DDR aufgearbeitet worden ist, stellt die einzelnen Texte jeweils in ein dichtes Geflecht von Bezügen, Dokumenten und in einen dynamischen politischen Kontext, mit denen die publizistische Biografie Heinrich Manns gerade auch in ihrer Entwicklung in diesen beiden Jahren nachvollzogen werden kann: Beginnend bei den Interventionen zu Carl von Ossietzky, Ernst Thälmann oder zu den Olympischen Spielen, verschiebt sich das Engagement Manns im Laufe dieser beiden Jahre mehr und mehr in Richtung Volksfront, in Richtung der Diskussion des Vorbilds Sowjetunion oder in Richtung Spanischer Bürgerkrieg. Er verliert zwar einzelne Repräsentanten des deutschen Widerstands nicht aus den Augen, aber die übergreifenden Artikel verstärken sich, nicht zuletzt nach der Gründung der Volksfrontinitiative. Dabei zeigen sich die Möglichkeiten, die sich einem Publizisten vom Schlage Heinrich Manns im Exil eröffneten, aber eben auch die engen Grenzen, die ihm gesetzt waren. Die Jahre 1936 und 1937 bilden „den Höhepunkt des Engagements des Intellektuellen Heinrich Mann“, wie Wolfgang Klein in der Einleitung des Kommentarbandes hervorhebt. Mann hatte ein Anliegen und vertrat es mit den Mitteln, die ihm zur Verfügung standen: er schrieb und publizierte. Zugleich, so Klein, markieren dies beiden Jahre aber eben auch das Scheitern Manns, in das er sich freilich nicht ergeben habe.

Im Kampf gegen den Faschismus gescheitert zu sein, teilt Heinrich Mann mit vielen andern. Das aber, so auch Klein, kann nicht das Maß sein, an dem Heinrich Manns Engagement und Manns Publikationen der Jahre 1936 und 1937 beurteilt werden. Seine Texte wenigstens können zugleich daraufhin gesichtet werden, so Klein, wie in ihnen „Sittlichkeit und Vernunft“ auch unter schwierigen Bedingungen aufrecht gehalten worden und welchen Gefährdungen sie ausgesetzt gewesen seien. Dabei hilft nicht zuletzt der umfangreiche und detaillierte Kommentar, der eben nicht nur Publikationsorte und Textvarianten verzeichnet, sondern eine unerhört große Menge an Dokumenten und Zeugnissen präsentiert, mit denen die Texte Manns erschlossen und kontextualisiert werden können.

Sieben der geplanten zehn Bände der Kritischen Ausgabe der Essays und Texte Heinrich Manns sind bislang erschienen, was eine ungeheure Strecke ist, die die Herausgeber/innen und Bandbearbeiter/innen in diesem Projekt seit 2010 abgegangen sind. Geplant sind noch zwei weitere Bände, die die Jahre bis 1950 umfassen. Ein zehnter Band mit Ergänzungen, Korrekturen und einem Gesamtregister soll das Projekt dann abschließen.

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Heinrich Mann: Essays und Publizistik. Band 7: 1936-1937. Hg. von Wolfgang Klein mit Vorarbeiten von Werner Herden. 2 Bände.
(Heinrich Mann: Essays und Publizistik. Kritische Gesamtausgabe. Hg. von Wolfgang Klein, Anne Flierl und Volker Riedel. Bd. 7).
Aisthesis Verlag, Bielefeld 2020.
1227 Seiten, 278,00 EUR.
ISBN-13: 9783849815486

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