Ein postsäkularer katholischer Roman? Heinrich Manns „Mutter Marie“ in einer von Ariane Martin bearbeiteten Studienausgabe
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseEin junges Dienstmädchen verschlägt es nach Berlin, wo es sein Kind aussetzt. Viele Jahre später, in der Zwischenzeit auf abenteuerliche Weise zur reichen Baronin geworden, glaubt Marie in dem jungen Valentin ihren Sohn wiederzuerkennen, von dem sie sich zugleich erotisch angezogen fühlt. In Szene gesetzt wird die innere Wandlung der Protagonistin, die einen Triebverzichtskonflikt durchlebt, der sich in der im Roman zentralen, als Psychoanalyse gestalteten Beichte löst.
Der Autor greift ein Phänomen der Zeit auf, die Hinwendung zum Katholizismus, um psychologisch auszuloten, wie der Verantwortungslosigkeit zu begegnen sei, die eine desorientierte Nachkriegsgesellschaft prägt.
„Mutter Marie“, jetzt neu in einem von Ariane Martin bearbeiteten Band der von Michael Stark herausgegebenen Studienausgabe erschienen, ist Heinrich Manns erster Roman über die Weimarer Republik. Ausgehend von der Gewissensnot der Hauptfigur, erzählt er von den Krisen der zwanziger Jahre und breitet das Panorama einer ganzen Epoche aus. Die Handlung, 1925 in Berlin angesiedelt, zeigt Verlierer und Gewinner der Inflationszeit, das gewandelte Verhältnis zwischen den Geschlechtern und das problematische zwischen den Generationen. Der in Spannung zur Mentalität der Nachkriegsjahre geschriebene Zeitroman hat ein offenes Ende. Erzählt ist er in einem Stil, der Filmtechnik literarisch adaptiert und so, zeitdiagnostisch prägnant und gedächtnispolitisch ambitioniert, die Gegenwart und Vergangenheit kunstvoll wie kritisch in Beziehung setzt.
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